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Studierende sitzen in einem Hörsaal, vorne spricht ein Dozent, an einem anderen Pult sind studentische Hilfskräfte zu sehen.

© Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa

50 Jahre Bafög: Gebt ihnen den Glauben an die Bildungsgerechtigkeit zurück!

Mehr Chancengleichheit durch Bafög? Das war einmal. Die finanzielle Förderung von Studierenden braucht eine grundlegende Reform. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Amory Burchard

Bafög zu bekommen heißt, dass man studieren kann, obwohl das Geld zu Hause knapp ist. Bafög heißt auch, dass man nach einer Ausbildung und ein paar Jahren im Job an einer Universität neu durchstarten kann, auch wenn die Eltern den zweiten Bildungsweg nicht unterstützen.

Im Zuge der Bildungsexpansion nach dem Wirtschaftswunder wurde vor 50 Jahren unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt das Bafög eingeführt – ein Name, der sich mit einer Abkürzung auf das Bundesausbildungsförderungsgesetz bezieht. Das Bafög ist seitdem eine einklagbare staatliche Sozialleistung für Studierende und in weit geringerem Umfang auch für Schüler:innen, die ungleiche soziale Chancen beim Zugang zur Bildung ausgleichen soll.

Ein breiter Zugang zu einer Hochschulbildung, in der sich nicht mehr nur das Bürgertum und die Beamtenschaft selber reproduzieren: Dieses Versprechen hat das Bafög allerdings nur in den frühen Jahren eingelöst. Schon lange funktioniert es nicht mehr als zentrales Instrument, um Chancengerechtigkeit herzustellen.

1972 wurden 44,6 Prozent gefördert, heute nur noch elf Prozent

Denn noch immer nehmen von 100 Kindern mit mindestens einem studierten Elternteil 79 ein Studium auf, bei Nicht-Akademikerkindern sind es nur 27. Und statt 44,6 Prozent im Jahr nach der Einführung des Bafögs werden heute nur noch elf Prozent der Studierenden gefördert.

[Lesen Sie auch unsere kleine Geschichte des Bafög: Vom "Kahlschlag" nie erholt]

Woran das liegt, ist keineswegs so einfach, wie es von den in Folge über das Bafög wachenden CDU-Bundesbildungsministerinnen diagnostiziert wurde. Dass bei einer guten Einkommensentwicklung nun einmal weniger Elternhäuser die Kriterien erfüllen, ist ein zynisches Argument. Eine Mittelschichtsfamilie kann trotz zweier Gehälter damit überfordert sein, zwei, drei Kinder durchs Studium zu bringen. Bafög-Anspruch haben sie aber nicht – aufgrund der seit Jahren nicht hinreichend angepassten Eltern-Freibeträge.

Außerdem besteht ein Informationsdefizit: Viele Studierende und ihre Eltern wissen nicht, dass sie berechtigt wären, Jahr für Jahr wird der Bafög-Etat nicht ausgeschöpft. Und schließlich scheuen gerade „Arbeiterkinder“ die Rückzahlung des Darlehensanteils nach dem Studium.

Grafik-Diagramm zum Thema "Geförderte Personen nach dem Bafög seit 1977".
Absteigende Tendenz. Die Entwicklung der Zahl der Bafög-Empfänger:innen seit 1977.

© dpa; A. Zafirlis; Redaktion: M. Lorenz

Ein Wahlkampfthema ist das Bafög trotz seiner Krise nicht. Das liegt daran, dass eben nur noch gut ein Zehntel der Studierenden gefördert wird. Als Helmut Kohl 1982 zum „Bafög-Kahlschlag“ ausholte, gingen bundesweit Zehntausende auf die Straßen, heute fehlt die kritische Masse für solche Demos. Die Jungen sind in Deutschland ohnehin eine zu kleine Klientel, um sie in den Mittelpunkt von Wahlkampfforderungen zu stellen – abgesehen von der wohlfeilen Parole, die Bildung müsse besser werden.

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Wer nebenbei jobben muss, hat nicht genug Zeit fürs Studium

Dabei hängt auch das Bafög eng mit der Qualität der Bildung zusammen: Wer ein Studium beginnt und nebenbei durch Jobben zum eigenen Lebensunterhalt beitragen muss, hat nicht genug Zeit, um konzentriert und ernsthaft zu studieren. Der Zeitaufwand gerade in den ersten Semestern – inklusive der für den Einstieg so wichtigen Übungen, Tutorien und studentischen Arbeitsgruppen – liegt bei über 40 Stunden.

[Lesen Sie auch diesen Beitrag zum Bafög-Geburtstag: Vier Zeitzeugen-Berichte über Erfahrungen mit der Ausbildungsförderung]

Wie also die Studierenden vom Zwang befreien, dauerhaft zu jobben? Eine Grundsicherung für alle bis zum 25. Lebensjahr – auch für Auszubildende –, wie sie die Grünen vorschlagen, ist bei Weitem nicht so utopisch wie das bedingungslose Grundeinkommen. Die Grundsicherung würde sich aus einem Äquivalent für das Kindergeld, Kosten für Wohnung und Versicherung sowie einem elternabhängigen Bedarfszuschuss zusammensetzen und auf gut 1000 Euro kommen. So viel brauchen Studierende heute zum Leben. Und das wäre die richtige Messlatte für die anstehende Bafög-Reform.

Ein Top-Thema für die nächsten Koalitionsverhandlungen

Was kein Wahlkampfthema ist, kann trotzdem ein Top-Thema für die Koalitionsverhandlungen werden. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn es gibt bereits einen breiten rot-rot-grün-schwarzen Konsens darüber, dass die Bafögsätze an die tatsächlichen Lebenshaltungs- und Wohnkosten angepasst werden und ebenso automatisch wie regelmäßig erhöht werden müssen.

Ebenso ist man sich einig, das Bafög der Lebensrealität nicht nur junger Menschen anzupassen – mit der Aufhebung von Altersgrenzen und einer längeren Förderdauer. Den in der Coronakrise von SPD, Grünen und Linken geforderten Notfallmechanismus, mit dem es etwa bei Pandemien, Naturkatastrophen und individuellen Notlagen elternunabhängig für alle geöffnet wird, hat zuletzt sogar Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zugestimmt.

Vor 50 Jahren war das Bafög ein sozialdemokratisches Projekt, um der revoltierenden studentischen Jugend das Vertrauen in den Staat zurückzugeben. Jetzt könnte eine umfassende Reform, die diesen Namen verdient, eine ähnliche Funktion erfüllen. Der Jugend zu vertrauen, dass sie den richtigen Weg beschreitet. Ihr dabei zu helfen, ihn selbstbestimmt zu gehen und sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Und ihr den Glauben an die Bildungsgerechtigkeit zurückzugeben. Das würde sich lohnen.

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