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Es gibt immer weniger Pflegekräfte, wodurch schon etwas mehr Intensivpatienten größere Auswirkungen haben können.

© Sebastian Gollnow/dpa

3000 schwerkranke Corona-Patienten und mehr: Schon nächste Woche droht die Überlastung der Intensivstationen

Bereits vor Wochen warnte ein führender Intensivmediziner vor der 200er-Inzidenz als kritischer Schwelle. Die ist bald erreicht, Ärzte schlagen Alarm.

Die rollende Herbstwelle der Corona-Pandemie droht die Intensivmedizin in Deutschland bereits in der kommenden Woche an ihre Belastungsgrenze zu bringen. Innerhalb einer Woche stieg die Zahl der Corona-Intensivpatienten zuletzt um 500 auf mehr als 2300. Das geht aus Daten der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hervor.

Verstetigt sich der Trend, könnte bereits am nächsten Wochenende die Belastungsschwelle von 3000 Corona-Intensivpatienten erreicht werden. Diesen Wert hatte Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters, dem Tagesspiegel bereits im September als kritisch genannt.

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Dabei berief er sich auf eine Prognose zum Intensivbettenbedarf im Herbst und Winter, wonach die erhebliche Belastung von mehr als 3000 Corona-Intensivpatienten ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 zu erwarten ist. Am Freitag lag sie bei 170 – Tendenz steil steigend.

„Wenn wir wieder die kritische Schwelle an Intensivpatienten überschreiten, dann wird das letzten Endes dazu führen, dass wir wieder aus dem geordneten Betrieb in den Krankenhäusern rausgehen müssen“, sagte Karagiannidis dem Tagesspiegel. „Wir müssen dann wieder anfangen, die ganzen geplanten Operationen zu verschieben. Aber diesmal ist die Stimmung unter den Mitarbeitern eine andere als letztes Jahr.“

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Damit sprach Karagiannidis den Fakt an, dass mangels Pflegepersonals viele Intensivbetten nicht mehr betrieben werden können. Die Divi warnt davor, dass in der kommenden Zeit „mit einer spürbaren Einschränkung in der Versorgung der Bevölkerung zu rechnen“ sei.

Derzeit sind exakt 22.200 Intensivbetten als betreibbar gemeldet, zu Jahresbeginn, als die Zahl der Corona-Intensivpatienten mit 5722 ihren Höchststand erreichte, waren es 26.475 gewesen. Die vergangenen Monate hätten zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften geführt, so die Divi.

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„Eine absehbar schwere Herbst- und Winterwelle“ mit vielen Covid-19-Patienten, aber auch Erkrankten mit anderen Atemwegsinfektionen wie Grippe könne die Intensivmedizin in Deutschland „erneut an und über ihre Grenzen bringen“, sagt Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

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Zwar sind immer noch rund 2500 Intensivbetten in Deutschland frei. Doch bedeutet das nicht, dass die Krankenhäuser ohne Weiteres darauf zugreifen können. Denn: Ein Pfleger darf nur maximal zwei Intensivpatienten auf einmal betreuen, so ist es gesetzlich vorgeschrieben. Außerdem wäre eine angemessene Versorgung anderenfalls nicht zu schaffen.

Wie sich die Lage darstellt, zeigt das Beispiel des Uniklinikums Jena. „Auf meiner Intensivstation haben wir eigentlich 50 Betten, nutzen können wir aber etwa heute nur 34“, sagte Michael Bauer, Leiter der Intensivstation zur „Welt“. 

Um die gesperrten Betten nutzen zu können, müssen dort bereits akute Operationen verschoben werden. Dass Pflegepersonal, dass dadurch frei werde, kann dann auf den Intensivstationen eingesetzt werden. „Ich gehe von einer Überlastung des Gesundheitssystems in Thüringen aus“, so Bauer.

Die einzige Möglichkeit, die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern, ist eine kurzfristige Stagnation der Zahlen. Denn, so Karagiannidis, „wir vertragen einen gewissen Satz an Patienten auf der Intensivstation“. Dazu bräuchte es aber einen „steady state“, sodass man sagen könne: „Es sind zwar viele Patienten, aber die Zahl steigt nicht. Das können bis zu 3000 Corona-Intensivpatienten sein.“

Weil Zunahme und Abnahme der Zahl der Intensivpatienten immer erst einige Wochen nach der Entwicklung der Sieben-Tage-Inzidenz folgt, wird die Impfquote kurzfristig aller Voraussicht nach nichts ausrichten können. Für den Fall, machte Karagiannidis bereits vor Beginn des Herbstes klar, „brauchen wir Kontaktbeschränkungen“. Die erste Maßnahme wäre da 2G, wie es bereits in Bund und Ländern diskutiert wird.

Ramelow pro, Buyx contra Triage für Ungeimpfte

Der Ministerpräsident Thüringens, wo die Lage in den Kliniken beschrieben besonders prekär ist, bringt sogar bereits eine Triage für Ungeimpfte ins Gespräch. „Wir haben eine Pandemie der Ungeimpften. Und wir werden niemandem mehr garantieren können, der ungeimpft ins Krankenhaus kommt, dass er überhaupt noch in Thüringen behandelt wird“, sagte Bodo Ramelow am Freitagmorgen im ZDF.

Eine solche Triage für Ungeimpfte hatte Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, bereits in der vergangenen Woche abgelehnt. „Solche Kriterien sollten bei der Triage keine Rolle spielen. Natürlich ist erkennbar, wo die Intuition herkommt, aber es gilt kein Schuldprinzip bei lebensrettenden Maßnahmen im Gesundheitswesen“, sagte Buyx dem Tagesspiegel.

„So schwer das für die Betroffenen ist: Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht wichtigen ethischen Prinzipien der Medizin.“ Unter der Triage versteht man die Priorisierung von Patienten, sollten nicht genügend Ressourcen zur gleichzeitigen Behandlung zur Verfügung stehen.

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