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John Glenn 1962 vor der Raumkapsel Friendship 7.

© picture alliance / dpa

100. Geburtstag John Glenns: Vom Fluch, ein Held zu sein

John Glenn umrundete als erster Amerikaner die Erde in einem Raumschiff - und flog im tiefen rentneralter erneut ins All.

Als Testpilot hatte John Glenn schon einige Extremsituationen erlebt. Dieser Flug sollte noch spektakulärer werden: die erste Umrundung der Erde durch einen Amerikaner in einem Raumschiff. Glenn sollte diesen Ritt übernehmen mit einer „Mercury“-Kapsel. Eine solche hatte zuvor den Schimpansen Enos zwei Mal um den Planeten getragen und heil zurückgebracht, womit sie für Orbitalflüge von Astronauten qualifiziert war.

Nun war Glenn, der am Sonntag vor 100 Jahren in Cambridge (Ohio) geboren wurde, an der Reihe. „Endlich“ sollte man hinzufügen, denn vielleicht hätte er schon früher im All sein können.

Der strenge John

Der Legende nach hatte der fromme Mann seine lebenslustigen Astronautenkollegen 1961 angeherrscht, nicht jeder Frau hinterherzurennen, weil sie damit den Ruf des gesamten Raumfahrtprogramms gefährdeten. Die Kollegen waren sauer und stimmten dagegen, dass Glenn als erster oder zweiter Amerikaner ins All fliegt.

So war er nur Backup-Pilot für den ersten Amerikaner im All, Alan Shepard, ebenso für den zweiten, Virgil Ivan „Gus“ Grissom. Erst für den dritten astronautischen Flug der Nasa war der ausgebildete Marines-Kampfpilot mit Einsätzen im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg gesetzt. Am 20 Februar 1962 zwängt er sich in die enge Kapsel „Friendship 7“. Immer wieder wird der Countdown unterbrochen, weil es technische Probleme gibt. Schließlich zündet die Rakete und trägt ihn in den Himmel. In knapp fünf Stunden geht es dreimal um die Erde, ehe die Kapsel im Atlantik wassert.

Die Mission sei der „beste Tag seines Lebens“ gewesen, erklärte er später. Die Nasa-Führung und Präsident John F. Kennedy sind heilfroh, dass die USA nun ebenfalls einen Raumfahrer in eine Umlaufbahn bekommen haben – fast ein Jahr nach Gagarins Orbitalflug im April 1961 und Shepards „Hüpfer“ in die Schwerelosigkeit im Mai desselben Jahres.

Das lange Warten auf Flug 2

Wie Gagarin wird auch Glenn als Held gefeiert mit allem Drum und Dran, inklusive im Geheimen verhängter Sperre für weitere Flüge. Die Raumfahrt war damals weitaus gefährlicher als heute, die Helden der Nation sollten dem Risiko eines Unfalltods nicht ausgesetzt werden. Von der Weisung Kennedys, ihn am Boden zu lassen, erfährt Glenn erst Jahre später. Trotzdem wird er stutzig, dass sämtliche Anfragen nach einem weiteren Raumflug mit „Jetzt noch nicht“ abgewehrt werden. Ihm wird klar, dass er niemals zum Mond fliegen wird. Da ist er Anfang vierzig.

Frustriert verlässt er die Nasa, macht als Manager einer Getränkefirma und Politiker Karriere. Keine schlechte Wahl, hatten doch Nasa-Psychologen bei Tests herausgefunden, dass er am besten von den sieben Männern des Astronautenkorps für ein Leben in der Öffentlichkeit geeignet sei. 1974 errang er einen der Sitze für seinen Heimatstaat Ohio im Senat, wurde 1980, 1986 und 1992 wiedergewählt. 1983/84 wagte er sogar eine Präsidentschaftskandidatur für die Demokraten, unterlag aber und zog zurück. Bis 1999 war Glenn im Senat aktiv.

Der "erste Weltraumtourist"

Seinen Traum vom zweiten Raumflug hatte er nicht aufgegeben und vieles versucht, ihn wahr werden zu lassen: Vom 29. Oktober bis 7. November 1998 umkreist er abermals die Erde. Dieses Mal aber viel bequemer im Spaceshuttle „Discovery“. Mit 77 Jahren ist er der bislang älteste Mensch auf einer Weltraummission. Offiziell ist er Proband, um die Wirkung der Schwerelosigkeit auf ältere Menschen zu untersuchen. Da der Flug aber in seiner Zeit als Senator stattfindet, hat der Trip ein „Geschmäckle“, manche Kritiker bezeichnen Glenn gar als den ersten Weltraumtouristen.

Er ist nicht der einzige Politiker, der mit der Nasa – die jedes Jahr etliche Milliarden Dollar Steuergeld vorrangig in die heimische Industrie bringt – ins All fliegt. Auch Jake Garn aus Utah und Bill Nelson aus Florida flogen Mitte der Achtzigerjahre im Shuttle mit. Ex-Senator Nelson ist übrigens seit Mai dieses Jahres Chef der Nasa.

John Glenn hat das nicht mehr erlebt. Er starb am 8. Dezember 2016 in Columbus (Ohio). Sein Name fällt dieser Tage wieder häufiger, nicht nur wegen des 100. Geburtstags. Schon bald könnte nämlich sein Rekord als ältester Mensch im All fallen. Der Unternehmer Jeff Bezos will am 20. Juli einen Weltraumflug mit seiner Firma Blue Origin wagen und unter anderem Wally Funk mitnehmen. Die Pilotin hatte sich in den Sechzigerjahren ebenfalls um eine Astronautenkarriere bemüht, war aber aufgrund ihres Geschlechts nicht berücksichtigt worden.

Einsichtiger alter weißer Mann

Eine Ungleichbehandlung, die damals weit verbreitet war und die auch Glenn nicht störte, im Gegenteil. 1962 erklärte er, dass dies nun mal so sei: Männer kämpfen in Kriegen, fliegen Flugzeuge und Frauen eben nicht, das liege an der Gesellschaftsordnung. Später änderte er seine Meinung und unterstützte auch Astronautinnen in ihrer Karriere. Wenn Funk nun ins All kommt, wird sie mit 82 Jahren die neue Rekordhalterin sein.

Glenn ist außerdem Namenspate für die Schwerlastrakete, die Blue Origin derzeit entwickelt. Ende 2022 soll „New Glenn“ erstmals fliegen und künftig unter anderem Menschen zum Mond bringen. John Glenn hätte das sicher gefallen.

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