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Das Gastgewerbe gehört zu den Branchen, in denen häufig nur der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird.

© imago/Ralph Peters

Zwölf Euro Mindestlohn: Mehr Geld für acht Millionen Menschen

Die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro durch eine Ampel-Koalition könnte sich positiv auf die Volkswirtschaft auswirken - wenn sie zum richtigen Zeitpunkt kommt.

Das hatten sich die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission im Juni letzten Jahres fein ausgedacht. Ein paar Schrittchen im Coronajahr 2021 und dann für 2022 eine ordentliche Erhöhung des Mindestlohns auf 10,45 Euro, damit das Thema nicht im Wahlkampf auftaucht.

Und dann das: „Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen.“ So steht es im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) schimpft über den „brandgefährlichen, schweren Eingriff in die Tarifautonomie“.

Dabei verschweigt die BDA ihre Rolle bei der Beschädigung des Tarifsystems, indem sie die Etablierung von Verbänden ohne Tarifbindung vorantrieb. Das war schließlich der Grund für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro im Januar 2015: Immer weniger Beschäftigte arbeiten unter dem Schutz eines Tarifvertrags, sodass sich die große Koalition veranlasst sah, eine Lohnuntergrenze einzuziehen.

Die Union setzte damals - mit Unterstützung von Ökonomen, die vor Arbeitsplatzabbau warnten – den im internationalen Vergleich geringen Stundensatz von 8,50 Euro durch. Im Bundestagswahlkampf versprach SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz das zu korrigieren. Nun steht die Zwölf im Sondierungspapier.

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Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann fordert seit langem einen Mindestlohn von 12 Euro.
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann fordert seit langem einen Mindestlohn von 12 Euro.

© dpa

Die volkswirtschaftlichen Effekte haben die Mannheimer Ökonomen Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau im Auftrag der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung ausgerechnet.

Weitere Texte zur Ampel lesen Sie hier:

Danach kosten die zwölf Euro zumindest langfristig keine Arbeitsplätze. Vielmehr erwarten die Wissenschaftler einen Anstieg der Produktivität um ein Prozent, eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion um eineinhalb Prozent und Mehreinnahmen der öffentlichen Hand von 20 Milliarden Euro im Jahr; Lohnsteigerungen im Niedriglohnbereich erhöhen Steuereinnahmen und Sozialabgaben.

„Zwar steigen auch die Ansprüche aus der Rentenversicherung, aber dieser Anstieg ist wesentlich geringer als der entsprechende Anstieg der Einnahmen“, heißt es bei Krebs/Drechsel-Grau. Zudem reduziere die Erhöhung die Zahl der erwerbstätigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger (Aufstocker): die Sozialausgaben sinken.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ist ein striktes Gegner einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ist ein striktes Gegner einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns.

© imago/photothek

Ähnliche Zusammenhänge hatte Christian Dustmann vom University College London vor anderthalb Jahren festgestellt. Entgegen den Bedenken habe der landesweite Mindestlohn in Deutschland nicht zu einem Beschäftigungsrückgang geführt. „Im Gegenteil, unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass der Mindestlohn die gesamte Produktionseffizienz durch die Umverteilung von Arbeitnehmern von weniger produktiven zu produktiveren Betrieben erhöht.“

Das gilt auch bei einer Erhöhung auf zwölf Euro. Aber wie genau, ist offen. Einerseits führen zwölf Euro zu einem Rückgang der Arbeitsnachfrage der Unternehmen im Niedriglohnbereich, weil Jobs durch den Mindestlohn unprofitabel werden. Andererseits steigt das Arbeitsangebot, denn ein höherer Lohn erhöht die Motivation der Erwerbstätigen und den „Suchanreiz“ der Arbeitslosen. Ob unterm Strich mehr oder weniger Arbeitsplätze stehen, weiß indes kein Mensch.

Für eine schrittweise Erhöhung

Auch deshalb plädieren die Ökonomen Krebs und Drechsel-Grau für eine schrittweise Erhöhung auf zwölf Euro. „Zum Beispiel könnte die bereits geplante Erhöhung auf 10,45 Euro zeitlich auf den 1. Januar 2022 vorgezogen werden und dann in zwei weiteren Schritten die Anhebung auf zwölf Euro bis zum Ende des Jahres 2022 erfolgen.“

Was die Wissenschaftler zu bedenken geben: Je robuster die Konjunktur, desto risikoärmer ein gesetzlicher Mindestlohn. „Kurzfristig negative Beschäftigungseffekte sind wesentlich schwächer ausgeprägt in einem konjunkturellen Umfeld, in dem die Wirtschaft expandiert und die Neueinstellungen auf dem Arbeitsmarkt hoch sind.“ 2015 lief die deutsche Wirtschaft rund; 2022 könnte ein gutes Jahr werden.

Mindestlohnkommission beschließt im Juni 2022

Die paritätisch von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern zusammengesetzte Mindestlohnkommission würde nach derzeitiger Rechtslage im Juni 2022 über die Erhöhung des Mindestlohns 2023 und 2024 befinden und sich dabei an den Tarifabschlüssen der vorangegangenen zwei Jahre orientieren. Zwölf Euro, das ist absehbar, würden nach dieser Systematik erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erreicht. Auch deswegen hatten SPD und Grüne die Zwölf in ihre Wahlprogramme geschrieben.

Von der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro profitierten 2015 rund vier Millionen Erwerbstätige. Nach Berechnungen von Dustmann erhöhte sich ihr Stundenlohn um durchschnittlich sieben Prozent. Die nun anstehenden zwölf Euro würden den Ökonomen Krebs und Drechsel-Grau zufolge etwa acht Millionen Beschäftigte einen höheren Stundenlohn bringen.

Das könnte stimmen, denn nach der letzten Verdienststrukturanalyse des Statistischen Bundesamtes arbeiteten 2018 knapp zehn Millionen Beschäftigte hierzulande für weniger als zwölf Euro. Das war gut ein Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Seitdem sind ein paar Jahre vergangen und in vielen Branchen stiegen die Gehälter, sodass die Zahl von acht Millionen plausibel erscheint.

Für die Befürworter eines höheren Mindestlohns ist der Rückgang der Minijobs ein willkommener Nebeneffekt. Gerade in der Pandemie sind Minijobber durch das soziale Netz gefallen, der Ruf nach Abschaffung dieser prekären Arbeitsverhältnisse wurde lauter. Doch hier hat sich die FDP durchgesetzt. „Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht“, heißt es im Sondierungspapier.

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