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In Schieflage. Kleine Verlage leiden darunter, dass Zwischenhändler ihre Bücher aus dem Programm nehmen.

© iStock/Gettyimages

Zwischenhändler sortieren Buchtitel aus: "Wir sind mitten drin im Verlagssterben"

Ohne Zwischenhändler kommen Bücher nicht in den Handel. Doch die Anbieter stehen unter Druck. Vor allem für kleine Verlage hat das finanzielle Folgen.

Von Carla Neuhaus

Nachts, wenn Kunden und Mitarbeiter schlafen, fahren vor den Buchhandlungen in Deutschland die Transporter vor. In großen Plastikwannen laden die Fahrer dann bestellte Bücher aus. Meist haben sie einen eigenen Schlüssel und wissen, wie sie die Alarmanlage oder das Rollo vor der Tür bedienen. Im Laden stellen sie die Bücherwannen ab, weiter geht es für sie zum nächsten Geschäft. Abgesehen von Medikamenten wird kaum etwas in Deutschland so schnell ausgeliefert wie Bücher. Wer einen Titel bestellt, weil die Buchhandlung ihn nicht vorrätig hat, kann ihn in der Regel schon am nächsten Tag abholen. Ein einzigartiges System – das jedoch ausgerechnet in Zeiten des schnellen Onlineversands an seine Grenzen stößt.

Dabei sind Verlage wie Buchläden auf diesen Zwischenhandel angewiesen. Wer als Kunde zum Beispiel ein Buch zu Weihnachten verschenken will, hat die Qual der Wahl: Rund 80 000 neue Titel kommen jedes Jahr auf den  Markt – kein Buchhändler kann sie alle in seinem Laden zeigen. Deshalb arbeiten sie mit den Zwischenhändlern zusammen, die ein sogenanntes Barsortiment haben. Sie kaufen die Bücher bei den Verlagen ein und liefern sie über Nacht an die Buchhandlungen aus, sobald die sie benötigen. Von diesen  Zwischenhändlern hängt also ab, ob ein Buch zum Leser findet. Zumal sie nicht nur mit stationären Händlern zusammenarbeiten, sondern auch für viele Onlineshops Bücher versenden.

Immer mehr Verlage klagen derzeit jedoch darüber, dass ihre Werke von den Zwischenhändlern aus dem Sortiment geworfen werden. „Wir brauchen Ihre Hilfe“, schrieb erst vor wenigen Tagen der Berliner Verbrecher Verlag auf Twitter. Die Werkausgabe von Giwi Margwelaschwili sei bedroht. Margwelaschwili ist ein deutsch-georgischer Autor, der in seinen Büchern die eigene Geschichte verarbeitet: die Verhaftung durch den sowjetischen Geheimdienst, die Zeit in einem Speziallager in Sachsenhausen.

Zehn Bücher umfasst das Werk des mittlerweile 92-Jährigen. Alle zehn Bücher sind theoretisch lieferbar – doch bestellen kann man in vielen Buchhandlungen und Onlineshops nur zwei der Titel. Der Grund: Der Zwischenhandel hat Margwelaschwilis Bücher aussortiert.

Zum Teil ist die Hälfte des Angebots aussortiert worden

Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Axel von Ernst, der den Lilienfeld Verlag leitet, berichtet, dass gleich ein Drittel seines Programms in diesem Jahr ausgelistet worden sei. Lilienfeld hat sich auf Literatur aus dem 20. Jahrhundert spezialisiert, veröffentlicht hauptsächlich bibliophile, in Leinen gebundene Ausgaben. Beim Amrun-Verlag wiederum, der sich auf Fantasy, Science-Fiction und Horror konzentriert, sind fast die Hälfte der lieferbaren Bücher rausgeworfen worden: Von 180 Titeln des unabhängigen Verlags können Buchhändler für ihre Kunden mittlerweile nur noch 100 über den Zwischenhandel besorgen.

Für die Verlage ist das ein ernsthaftes Problem. Denn immer weniger ihrer Bücher kommen dadurch noch zum Leser. „Die Verlage verlieren ihre Sichtbarkeit“, sagt Björn Bedey, der im Börsenverein des Buchhandels die Interessen der unabhängigen Verlage vertritt. Zwar können Buchhändler theoretisch die Titel auch einzeln beim Verlag bestellen. Doch das ist aufwendig und teuer, noch dazu dauert die Lieferung. „Das kann zwei Tage dauern oder zwei Wochen“, sagt Bedey. Es hänge davon ab, wie die Verlage die Auslieferung organisierten. Auch muss der Buchhändler dann mit jedem Verlag einzeln abrechnen. Ein Aufwand, den viele scheuen – gerade im Weihnachtsgeschäft. „Viele konzentrieren sich deshalb auf die Titel, die der Zwischenhandel ihnen anbietet“, sagt Bedey.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich diesen Zwischenhandel im Wesentlichen zwei Unternehmen untereinander aufteilen. Die eine Firma heißt Libri und betreibt ein großes Bücherlager in Bad Hersfeld, von wo aus sie nach eigenen Angaben bundesweit rund 4000 Buchhandlungen mit neuer Ware versorgt. Je nach Saison liegen dafür zehn bis zwölf Millionen Bücher parat. Das zweite Unternehmen ist Koch, Neff und Volckmar (KNV), das die Bücher von Erfurt aus an Geschäfte in 2200 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz liefert. Entsprechend groß sind die Folgen, wenn das Geschäft dieser beiden stockt – wie in diesem Jahr.

Bis zu 12 Millionen Bücher lagern bei Libri in Bad Hersfeld.
Bis zu 12 Millionen Bücher lagern bei Libri in Bad Hersfeld.

© promo

Los ging das Dilemma im Frühjahr, als KNV Insolvenz anmelden musste. Zwar hat sich mit dem Berliner Logistiker Zeitfracht ein Käufer für KNV gefunden. Trotzdem spüren Verleger die Folgen der Pleite bis heute. So soll der Zwischenhändler bereits Monate vor der Insolvenz seine Rechnungen nur noch spärlich und schließlich gar nicht mehr bezahlt haben. Jürgen Eglseer vom Amrun-Verlag etwa wartet noch immer auf Geld von KNV. Seine Forderungen hat er beim Insolvenzverwalter angemeldet – ob er noch eine Überweisung erhält, ist offen.

Auch bei den Zwischenhändlern sinkt die Marge

Zu verkraften wäre das noch gewesen, wäre für die Verleger nicht gleich der nächste Schlag gekommen. Denn auch Konkurrent Libri steht nach eigenen Angaben unter einem steigenden Kostendruck. Die Marge in ihrem Geschäft sei „schon lange rückläufig“, heißt es auf Anfrage. Die Zwischenhändler verdienen also pro ausgeliefertes Buch immer weniger. „Dazu trägt auch die Buchpreisentwicklung bei, die nicht mit den Kostensteigerungen für Personal und Transport Schritt hält“, schreibt Libri. Wohl auch mit Blick auf die Insolvenz des Konkurrenten hat das Unternehmen reagiert und Bücher, die sich schlecht verkaufen, aus dem Sortiment genommen. Das trifft insgesamt ein Viertel des Angebots: Statt einer Million Titel hat Libri nun nur noch 750 000 auf Lager.

Warum ihre Bücher aussortiert worden sind, können die Verleger jedoch längst nicht in allen Fällen nachvollziehen. So berichtet Eglseer vom Amrun- Verlag zum Beispiel, dass aus einer dreiteiligen Serie lediglich der erste Band ausgelistet worden sei. „Wer kauft aber denn noch den zweiten oder dritten Band, wenn er den ersten nicht bekommt?“, fragt der Verleger.

Axel von Ernst vom Lilienfeld Verlag wiederum schmerzt, dass ausgerechnet ein Band mit Gerichtsreportagen von Paul Schlesinger aus den zwanziger Jahren ausgelistet worden ist. Das Buch verkaufe sich das Jahr über zwar nur mäßig – kurz vor Weihnachten dafür aber umso besser. „Das schenken Verwandte gerne den Rechtsanwälten oder Jurastudenten in ihrer Familie zum Fest“, sagt von Ernst. In diesem Jahr dürfte es dagegen unter sehr viel weniger Weihnachtsbäumen liegen – schlichtweg weil es in vielen Buchhandlungen nicht bestellbar ist.

Liefert der Zwischenhandel das Buch nicht, muss der Händler es direkt beim Verlag bestellen. Doch das ist aufwändig und teuer.
Liefert der Zwischenhandel das Buch nicht, muss der Händler es direkt beim Verlag bestellen. Doch das ist aufwändig und teuer.

© Kitty Kleist-Heinrich

Verstärkt wird der Druck auf die Verlage noch durch einen weiteren Effekt. Die Zwischenhändler kaufen ihnen die Bücher zwar ab, die sie in ihr Lager aufnehmen. Sie behalten sich jedoch vertraglich vor, sie wieder zurückzugeben, sollten sie sie nicht loswerden. Remissionen nennt sich das, wenn die Zwischenhändler angekaufte Bücher an die Verlage Retour schicken. Gerade für kleine Häuser ist das heikel. „Das ist wie Lottospielen“, sagt Eglseer. Man wisse nie, mit wie viel verkauften Büchern man tatsächlich rechnen könne.

Kleine Verlage bangen um ihre Existenz

Remissionen, Auslistungen, die KNV-Insolvenz: All das hat vor allem kleineren Verlagen in diesem Jahr zugesetzt. Das „gefährdet kleinste Verlage in ihrer Existenz“, heißt gar es in einem öffentlichen Brief der Kurt-Wolff-Stiftung, die sich für die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene einsetzt. „Schon jetzt geben viele auf“, bestätigt Bedey vom Börsenverein. „Wir sind mittendrin im Verlagssterben.“ Bedey sieht deshalb auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse Verlage stärker finanziell fördern. Von kaum einem anderen Kulturbereich werde erwartet, dass er sich ohne Unterstützung wirtschaftlich trage.

Dass manche  Kollegen ihren Verlag aufgrund des finanziellen Drucks dicht machen, kann Verleger Eglseer verstehen. Er selbst habe aufgrund der KNV-Insolvenz, der Remissionen und der Auslistungen in diesem Jahr einen Umsatzrückgang von 40 Prozent verkraften müssen. Fürs Erste versucht er allerdings durchzuhalten, das hat er seinen Autoren versprochen. Im kommenden Jahr will Eglseer seine Bücher verstärkt über einen eigenen Onlineshop verkaufen. „Noch habe ich nicht aufgegeben“, sagt er.

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