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"Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen." ZF-Chef Stefan Sommer im Tagesspiegel-Interview.

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Exklusiv

Zukunft der Autoindustrie: „Auch Roboter müssen bremsen können“

Stefan Sommer, Chef des Autozulieferers ZF, über die Tücken der elektrischen Revolution, die Zukunft des Diesels und synthetische Kraftstoffe.

Herr Sommer, ZF wurde vor mehr als 100 Jahren von Luftschiffbauern als Zahnradfabrik gegründet. Können Sie es mit Google & Co aufnehmen?

Ja, richtig. Wir wurden als Zahnradfabrik gegründet. Heute heißen wir aber nur noch ZF.

Zahnräder spielen keine Rolle mehr?

Doch, sie bewegen ZF immer noch. Wir kommen ja vom klassischen Getriebe für Autos, Nutzfahrzeuge und Landmaschinen. Diese Tradition entwickeln wir weiter und wir sind fest davon überzeugt: Mechanik brauchen wir auch in der Zukunft.

Wofür?

Auch Roboterwagen brauchen eine Radaufhängung, sie müssen beschleunigen, lenken und bremsen können, auf einem hohen Sicherheitsniveau. Die Mechanik wird intelligenter, weil sie elektronisch ist und vernetzt. So wird zum Beispiel der Verbrennungsmotor sparsamer und sauberer, weil das Getriebe intelligenter ist. Wir kümmern uns auch um rein elektrische Antriebe. Bei denen spielen Zahnräder eine weniger wichtige Rolle.

Wie groß ist der Anteil des „alten Eisens“, der Mechanik am ZF-Geschäft?

Eigentlich ist keines unserer Produkte nur noch rein mechanisch. Stoßdämpfer, Bremsen, Lenkungs- und Fahrwerkssysteme oder Airbags werden von Computern angesteuert, das Getriebe wird auch durch GPS-Daten gesteuert.

Die technologische Revolution, von der viele in der Autoindustrie sprechen, ist also eher eine Evolution?

Man muss unterscheiden. Das autonome Fahren setzt sich evolutionär durch. Es wird irgendwann als neue Technologie alltäglich sein, so wie einmal der Computer auf den Markt kam und jetzt Alltag ist. Dabei startet das automatisierte Fahren in der Oberklasse und wird sich schrittweise auf dem Pkw-Markt ausbreiten.

Und die Revolution?

Sie findet bei der Elektrifizierung des Antriebsstrangs statt. Weil hier die Regulierer in den Markt eingreifen, obwohl der Markt Elektroautos bislang eigentlich gar nicht haben will.

Woher wissen Sie das? Bei Tesla stehen die Kunden doch Schlange.

Tesla ist eine Ausnahme. Die Autos sind Lifestyle-Produkte, meistens als Zweitwagen, für Menschen, die es sich leisten können. Nehmen Sie aber eine Familie, die sich für 20 000 oder 30 000 Euro ein zuverlässiges Auto kauft, das sie fünf Jahre lang fahren will. Diese Familie würde sich kein Elektroauto kaufen, sondern am liebsten einen Diesel, weil er das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Doch hier greift plötzlich der Gesetzgeber ein – zum Beispiel mit individuellen Fahrverboten für Diesel. Das ist für die Industrie schwer verträglich.

Das hat sich aber lange angedeutet.

Wir werden gezwungen, das Thema zu wechseln. Und zwar so schnell, dass andere Investitionen, die Milliarden gekostet haben, ins Leere laufen. Eben noch haben wir uns – politisch gewollt – auf die Reduzierung von CO2 konzentriert. Die Autohersteller haben deshalb auf den Diesel gesetzt, weil er weniger CO2 ausstößt als ein Benziner. Doch jetzt wird politisch umgesteuert, die Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf Stickoxid-Emissionen – verbunden mit der Forderung, möglichst schnell Elektroantriebe auf den Markt zu bringen. Diesen Kurswechsel schafft die Industrie nicht über Nacht.

Die Autokonzerne verdienen sehr gut und haben enorme finanzielle Polster.

Trotzdem ist es ein Kraftakt. Verbrennungsmotoren sind überwiegend Mechanik und die deutsche Industrie ist weltweit führend in der Mechanik. Jetzt werden aber ganz andere Qualitäten gefordert: Batterietechnologie, Elektromotoren, Zellchemie. All dies wird auch in anderen Regionen der Welt beherrscht, zum Teil viel besser als von uns.

Old Economy und Hochtechnologie: Ein ZF-Mitarbeiter in Friedrichshafen baut das Getriebe für einen Omnibus zusammen.
Old Economy und Hochtechnologie: Ein ZF-Mitarbeiter in Friedrichshafen baut das Getriebe für einen Omnibus zusammen.

© picture alliance / dpa

Wie wichtig ist, dass es hierzulande eine eigene Batteriezellen-Fertigung gibt?

Es wird eine Zellenfabrik in Europa geben müssen, schon aus logistischen Gründen. Ich sehe das als klassische Aufgabe für die Autohersteller. Ob die Fabrik aber von deutschen Unternehmen betrieben werden muss, ist fraglich. Auch, ob sie in Deutschland steht. Wenn man sich die Energie- und Arbeitskosten anschaut, dann sind wir nicht wettbewerbsfähig.

Wie groß ist generell die Gefahr, im Wettbewerb der Elektromobilität zu verlieren?

Wenn es zu schnell geht und die deutsche Industrie sich auf den Wechsel nicht vorbereiten kann, öffnen wir neuen Spielern Tür und Tor, die aus ganz anderen Industrien kommen, die die Mobilität für sich erkannt haben und risikobereit sind. Es ist nicht garantiert, dass wir die Technologieführer und Arbeitgeber der Zukunft sind. Die Fotovoltaik ist ein abschreckendes Beispiel: Der Schuss könnte für die deutsche Autoindustrie auch nach hinten losgehen.

Was wird aus den vielen kleinen mittelständischen Autozulieferern?

Je tiefer man in der Wertschöpfungskette geht, desto größer wird das Risiko. Kleine Firmen, die sich stark als Zulieferer spezialisiert haben, werden hart getroffen, wenn der Wechsel zur Elektromobilität zu schnell kommt. Das kann existenziell sein. Nirgendwo ist der Wettbewerb so aggressiv wie in der Elektromobilität, getrieben oft von starken Unternehmen aus Asien, vor allem aus China.

Die Bundesregierung will der Branche helfen und klimaneutrale synthetische Kraftstoffe fördern. Wird E-Fuel das Leben des Verbrennungsmotors verlängern?

Lassen Sie mich als Ingenieur ganz rational antworten: Ja, das wäre die sinnvollste Lösung, wahrscheinlich auch kommerziell. Die Industrie würde Geld sparen und wettbewerbsfähig bleiben. Die Tankstellen-Infrastruktur ist auch schon da. Wir könnten uns finanziell und intellektuell mehr mit der Digitalisierung und Automatisierung beschäftigen. Für uns ist Datenverarbeitung neu, für Apple, Google & Co ist es das Kerngeschäft.

Dann hat also der Verbrennungsmotor noch eine Zukunft? 

Ich glaube nicht, dass sich das Rad noch einmal zurückdrehen lässt. Politik und Gesellschaft wollen eine andere Form der Mobilität. Das hat nicht nur mit dem Diesel-Skandal zu tun. Der Trend zur Urbanisierung und zu Megacitys wird den Verbrennungsmotor – egal ob Diesel oder Benziner – langfristig verdrängen. Das betrifft nicht nur das Privatauto, sondern auch den Lkw-Verteilverkehr oder den öffentlichen Nahverkehr. Es ist nicht die Frage, ob die neue Mobilität kommt, sondern wann und wo sie kommt.

Sie haben kürzlich ein Konzeptfahrzeug aus ZF-Komponenten vorgestellt. Wird ZF selbst Autos herstellen?

Das ist nicht denkbar, wenn wir über klassische Fahrzeuge reden. Da wären wir Wettbewerber unserer eigenen Kunden. Uns fehlt auch die Kompetenz, etwa im Karosseriebau, bei der Innenausstattung oder der Crashsicherheit. Näher dran sind wir aber an zwei- oder dreirädrigen Fahrzeugen mit Elektroantrieb, die im städtischen Liefer- oder Transportverkehr eingesetzt werden.

Und die nachgefragt würden, wenn die Innenstädte für Verbrenner gesperrt sind.

Wir werden keine E-Busse bauen oder komplette Verteilerfahrzeuge. Aber die Nachfrage nach Fahrzeugen auf der letzten Meile in die Innenstadt wird steigen, wenn es sich für die Kunden rechnet. Diese Fahrzeuge müssen nicht die komplexen Anforderungen klassischer Autos erfüllen. Ein Beispiel ist der Streetscooter, den die Deutsche Post baut.

Bosch und Daimler haben eine enge Kooperation vereinbart. Ist so etwas auch für ZF vorstellbar?

Wir arbeiten auch mit Kunden eng zusammen. Wir wollen dies aber nicht exklusiv tun, weil wir glauben, dass die neuen Geschäftsmodelle so komplex sind, dass nicht nur ein Hersteller mit einem Zulieferer zusammenarbeiten sollte – und seien beide noch so stark. Wir wollen alle Schnittstellen für viele Partnerschaften offenhalten.

Wie inspirierend sind Start-ups für ZF? Gerade in Berlin gibt es viele, die sich mit Mobilitätsthemen beschäftigen.

Wir laden regelmäßig deutsche und internationale Start-ups ein, die ihre Ideen darstellen. Hier werden wir weiter investieren. Unsere Philosophie ist dabei, uns zunächst als Minderheitsaktionär zu beteiligen, um den Start-ups ihre Agilität, Schlankheit und Kreativität zu lassen. Wenn dann ein Autohersteller Interesse an einer Technologie oder einem Dienst hat, dann braucht man Masse und Substanz, dann kaufen wir uns bei Bedarf auch komplett ein.

Viele Unternehmen aus der Automobilbranche haben digitale Labs und andere Dienstleistungen in Berlin angesiedelt. Plant ZF Ähnliches?

Wir sind in Gesprächen, haben aber noch keine konkreten Pläne. Grundsätzlich sehen wir weltweit zwei oder drei wichtige Start-up-Hubs: für uns derzeit das Silicon Valley und Berlin. Wobei ich glaube, dass das Silicon Valley eher an Bedeutung abnimmt, weil wir die fachliche und technologische Tiefe, die wir als europäisches Unternehmen suchen, dort immer weniger finden. Es ist auch aus meiner Sicht häufig überbewertet. In Berlin bekommt man mehr Qualität für weniger Geld.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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