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Wirtschaft: Züge für Amerika

Öffentlicher Nahverkehr liegt in den USA im Trend – aus ökologischen und ökonomischen Gründen. Siemens profitiert davon

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten stößt an seine Grenzen. Land war immer billig im Central Valley von Kalifornien. Darum wuchsen Städte unkontrolliert, Siedlungen dehnten sich immer weiter in das fruchtbare Tal aus – mit den entsprechend negativen Folgen für die Umwelt. So leben heute etwa 2,1 Millionen Menschen in der Metropolregion Sacramento, der Hauptstadt Kaliforniens. „Das ist kein nachhaltiger Weg zu wachsen“, konstatiert Christopher Cabaldon, Bürgermeister von West Sacramento. „Wir können uns diese Lebensweise nicht mehr leisten.“

Das hat ökologische Gründe, weil zum Beispiel die Standards für saubere Luft nicht eingehalten werden können. Und es hat ökonomische Gründe: Kalifornien ächzt unter einer enormen Schuldenlast, die Arbeitslosigkeit liegt bei nie gekannten zwölf Prozent. Die lange boomende Bauwirtschaft des Landes liegt am Boden. Die Region Sacramento will umsteuern und hat unter anderem begonnen, Städte kompakter zu planen und statt in Straßen in öffentliche Transportsysteme zu investieren. Davon möchte auch der deutsche Technologiekonzern Siemens profitieren, der in Sacramento ein Werk hat.

Doch ein effizientes Transportsystem dort aufzubauen, wo gerade einmal sechs Häuser pro Acre (5000 Quadratmeter) stehen, sei gar nicht so einfach, meint Bürgermeister Cabaldon. Hinzu kommt, dass die Kalifornier radikal umdenken müssen. Einst war Sacramento der Ausgangspunkt für die transkontinentale Bahnlinie über Chicago bis nach New York und Boston. Seit 1940 sind die Schienen für den Personenverkehr überteert. „Öffentliche Transportsysteme sind in den Augen der Menschen hier etwas für arme Leute“, sagt Cabaldon. „Und sie haben Angst, dass diese Leute kommen, um sie auszurauben, wenn eine Bahnstation in ihrer Nachbarschaft entsteht.“ Doch die ersten Light-Rail-Linien, die inzwischen nach Sacramento hineinführen und die den deutschen S-Bahnen entsprechen, haben schon einen Wandel bewirkt. Auch gut situierte Menschen nutzten inzwischen die Züge, um in die Stadt zu pendeln, hat Cabaldon beobachtet.

Siemens baut bereits seit 25 Jahren Light-Rail-Wagen in Sacramento. Inzwischen gehören auch Lokomotiven und Straßenbahnen zum Portfolio. 1000 Wagen für 17 Städte in den USA und Kanada habe das Werk schon ausgeliefert, sagt Oliver Hauck, der die Siemens-Verkehrssparte in den USA leitet. „Jeder dritte Light-Rail-Wagen in Nordamerika kommt von uns.“ 80 bis 90 Wagen pro Jahr verlassen das Werk, die Kapazität reicht für bis zu 120 Wagen pro Jahr. „Die Auftragsbücher sind bis 2014 gut gefüllt“, sagt Hauck. 850 Mitarbeiter beschäftigt das Werk derzeit. Sie bauen an Light-Rail-Wagen für Atlanta, Denver, Salt Lake City, San Diego oder Houston. „In den kommenden 18 Monaten wollen wir auf knapp 1000 Mitarbeiter aufstocken“, sagt Hauck. Platz ist auf dem Gelände für 1700 Arbeitsplätze.

Wer das Werk im Gewerbegebiet an der French Road von Sacramento besucht, wähnt sich fast in der Wüste. Im Sommer kann es hier tagsüber mehr als 40 Grad heiß werden. Die Sonne brennt unerbittlich. Das macht sich Siemens zunutze. „Wir haben hier eine Zwei-Megawatt-Solaranlage“, erklärt Siemens-Manager Armin Kick. „Das ist die zweitgrößte private Anlage im Staat.“ Nur Aerojet, ein Hersteller von Raketenantrieben, hat gerade eine noch größere Anlage eröffnet. Zwischen 80 und 85 Prozent der vom Werk benötigten Energie könne Siemens mit seiner Anlage selbst erzeugen, sagt Kick. „Für uns hat das auch den Vorteil, dass wir unsere Stromrechnung schon Jahre im Voraus kennen.“ Gleichzeitig spenden die Panele Schatten für die Autos der Mitarbeiter auf dem Parkplatz.

Drinnen in den Werkshallen ist es kühler, dafür aber laut. Vor drei Jahren haben die Arbeiter begonnen, auch die Drehgestelle, die für den Fahrkomfort in den Bahnen so wichtig sind, hier vor Ort zu schweißen. „Da sind wir sehr stolz drauf“, sagt Kick. Früher kamen die Drehgestelle fertig aus dem Werk im österreichischen Graz. An einer anderen Stelle pressen Arbeiter die Getriebe auf die Achsen. „Das muss in den USA stattfinden“, erklärt Kick. Die US-Regierung hat klare Regeln, welcher Anteil in den USA hergestellt werden muss, wenn man mit ihr Geschäfte machen will. Eine Station weiter montieren vier Arbeiter einen Wagenkasten auf ein Fahrgestell. „Das sind Künstler, die hier arbeiten“, sagt Kick. „Sie wissen genau wo man mit dem Hammer hinschlagen muss, damit am Ende alles aufeinanderpasst. Man braucht dafür sehr viel Erfahrung.“

Auf dem Werksgelände vor der Halle liegt ein flacher Hügel, ein paar Büschel ausgedörrtes Gras stehen darauf. „Hier kommt die Lokfertigung hin“, sagt Kick zuversichtlich. „Nächstes Jahr soll die Halle stehen.“ Kicks eigentlicher Job ist nicht, Besucher durch die Hallen zu führen, sondern das Hochgeschwindigkeitsgeschäft in den USA voranzubringen – oder was man in den USA dafür hält.

Im Herbst vergangenen Jahres hat Siemens von der US-Eisenbahngesellschaft Amtrak einen Auftrag von knapp 500 Millionen Dollar erhalten. 70 neue Lokomotiven soll Siemens liefern – mit je 10 000 PS und bis zu 125 Meilen pro Stunde schnell. Das entspricht rund 200 Stundenkilometern, womit die Züge deutlich langsamer sind als die Hochgeschwindigkeitsbahnen in Europa oder Asien. Die ersten zehn Elektroloks werden noch im deutschen Werk gebaut, alle weiteren dann in Sacramento. Amtrak will sie im Nordosten der USA einsetzen. Viele andere Strecken werden noch mit Dieselloks befahren. Nach Angaben von Siemens ist dies die einzige Lokomotiven-Fertigung in den USA. Im März 2013 will das Unternehmen die ersten Exemplare an Amtrak ausliefern. „Wir wollen neben dem führenden Light-Rail-Anbieter auch zum führenden Anbieter von High-Speed-Lokomotiven in den USA werden“, sagt Oliver Hauck optimistisch.

Die Voraussetzungen dafür sahen allerdings für Siemens und auch für Konkurrenten wie Alstom oder Bombardier schon einmal besser aus. 2009 hatte Präsident Barack Obama seine Highspeed- Initiative verkündet, mit der er Amerika ins Hochgeschwindigkeitszeitalter bringen wollte. Doch die Budget-Krise hat diese Pläne zerschlagen. Eine Strecke, die in Florida gebaut werden sollte und deren Finanzierung bereits zum großen Teil stand, wurde vom dortigen Gouverneur als überflüssig abgelehnt. Das Umdenken hat noch nicht überall begonnen. Im aktuellen Konjunkturprogramm sind zwar zusätzliche Mittel für die Modernisierung der Transportnetze vorgesehen. Ob und wann sie in Hochgeschwindigkeitsstrecken fließen, ist aber offen.

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