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Hongkong hat noch immer einen Sonderstatus, profitiert von lockeren Gesetzen und Visa-Regeln.

© imago/Mehrdad Samak-Abedi

Zu abhängig von Dienstleistungen: Hongkong muss seine Wirtschaft neu erfinden

Weil Banken und Hafen Konkurrenz vom chinesischen Festland bekommen, muss sich die frühere britische Kronkolonie Hongkong wandeln. Start-ups sollen helfen.

Von Carla Neuhaus

Wenn Kevin Wong telefoniert, bleibt sein Smartphone in der Tasche. Der Gründer aus Hongkong drückt dann einfach nur seinen rechten Zeigefinger aufs Ohr, schon hört er seinen Gesprächspartner. Wie das funktioniert? Wong lacht und zeigt auf den schwarzen Ring an seinem Finger. Per Bluetooth ist der mit seinem Smartphone verbunden. Ein Lautsprecher ist im Ring aber nicht integriert. Stattdessen werden die Schallwellen über die Fingerknochen direkt ins Ohr übertragen – eine Technik, die auch bei Hörgeräten zum Einsatz kommt.

Zwei Jahre hat Wong an diesem smarten Ring gearbeitet, 20 Prototypen hat er gefertigt, bis er zufrieden war. Schon bald will er mit der Serienproduktion starten. Das nötige Geld dafür kommt unter anderem vom chinesischen Internetkonzern Alibaba, der bei ihm als Investor eingestiegen ist. Auch die Regierung von Hongkong unterstützt Wong  – sowohl finanziell als auch mit Büroräumen auf dem Start-up-Campus Cyberport im Süden der Stadt. Als Gründer ist Wong einer der Hoffnungsträger in der Sonderverwaltungszone. Denn Hongkong muss seine Wirtschaft neu erfinden.

Der Wohlstand hängt an den Banken und der Logistik

Über Jahrzehnte war die Stadt an der Mündung des Perlflusses für Ausländer das Tor nach China. Als britische Kronkolonie hatte Hongkong einen Sonderstatus, den sie auch dann behielt, als Großbritannien die Stadt vor 21 Jahren an China zurückgab. So herrscht noch heute in Hongkong eine größere Meinungsfreiheit als sonst in der Volksrepublik, auch hat die Stadt laxere Visaregeln und einen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt. Deshalb haben sich so viele Banken in Hongkong angesiedelt, obwohl ein Großteil ihrer Kunden vom chinesischen Festland kommt. Gleichzeitig verschifft Hongkong für China Exportgüter ins Ausland. Bis heute hängt der Wohlstand der Stadt stark von diesen beiden Branchen ab – was jetzt zum Problem wird. Denn sowohl bei den Banken als auch bei der Logistik macht das chinesische Festland Hongkong Konkurrenz.

So öffnet China allmählich seinen früher strikt abgeschotteten Finanzsektor und lässt nach und nach mehr internationale Transaktionen zu. Langfristig könnte es daher für manche Banken sinnvoller sein, in Schanghai zu sitzen als in Hongkong. In der Logistikbranche ist die Entwicklung sogar noch einen Schritt weiter. Entlang der chinesischen Küste sind in den letzten Jahren gigantische Häfen entstanden, die von der Größe her längst mit dem von Hong Kong mithalten können. So werden in den Häfen von Schanghai, Shenzhen und Ningbo-Zhoushan schon jetzt mehr Waren verschifft als in Hongkong.

Es ist nicht Hongkongs erster Wandel

Noch wächst die Wirtschaft in der Sonderverwaltungszone zwar um vier Prozent im Jahr, die Arbeitslosigkeit ist mit drei Prozent gering. Doch das kann sich schnell ändern. In Hongkong weiß man aus Erfahrung, wie rasch die Stadt abgehängt wird, wenn China seine Wirtschaftspolitik neu aufstellt. So war Hongkong zum Beispiel in den fünfziger, sechziger Jahren noch ein industrielles Zentrum. Spielzeug, Zahnbürsten, Knöpfe, Schuhe: Worauf heute „Made in China“ steht, stand damals „Made in Hong Kong“. Doch dann entdeckte Chinas Staatschef Deng Xiaoping die sozialistische Marktwirtschaft, lockte die Unternehmen mit günstigem Land und niedrigen Arbeitslöhnen aus Hongkong in die Volksrepublik. Der Sonderverwaltungszone blieb nichts anderes übrig, als sich anzupassen – und zu Chinas Dienstleister zu werden.

Eine Strategie, die heute nicht mehr so recht aufgeht. „Wir dürfen uns nicht länger rein auf die Dienstleistungsindustrie verlassen. Das ist eine Frage des Überlebens“, sagt Albert Wong, der lange für Konzerne wie General Electric gearbeitet hat und seit zwei Jahren den Gewerbepark Science Park im Norden von Hongkong leitet. Er will die Unternehmen dazu animieren, innovativer zu werden. Firmen, die sich auf dem weitläufigen Gelände ansiedeln, verpflichten sich, mindestens die Hälfte ihrer Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung abzustellen. Jedes Jahr müssen die Unternehmen einen Bericht über ihre Tätigkeiten abliefern. „Wer zu wenig forscht, fliegt raus“, sagt Wong.

Eines der Unternehmen, das hier seinen Sitz hat, ist die Firma O-matic, die Roboter für den Einsatz auf Baustellen herstellt. Auf den weißen, rollenden Kisten lässt sich nach Belieben Werkzeug anbringen, so dass der Roboter eigenständig Wände hochfahren und streichen, Löcher bohren, Rohre inspizieren oder Solarpaneele säubern kann. „Es ist heute schwer, hochqualifizierte Arbeiter für die Baustelle zu finden“, sagt Gründer Cheung. Sein Roboter soll sie daher bei der Arbeit unterstützen. Schon bald soll das Gerät auch unter Wasser zum Einsatz kommen, um etwa die Seepocken von Schiffswänden zu entfernen. Weil große Schiffe dafür nicht mehr extra in die Werft müssten, könnten die Reeder so eine Menge Geld sparen.

Die Stadt soll zum Silicon Valley Asiens werden

Es sind Menschen wie Edwin Cheung, auf die Hongkong setzt. „Innovation und Technologie werden Hong Kongs Wirtschaft stärken, die Existenzgrundlage der Menschen verbessern und qualifizierte Jobs für den Nachwuchs schaffen“, sagte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam in ihrer letzten Grundsatzrede. Die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung hat sie jüngst auf 35 Milliarden Hongkong-Dollar (4,6 Milliarden Euro) verdoppelt. Auch die Förderung von Start-ups wird weiter ausgebaut. Steigt zum Beispiel ein privater Investor bei einer jungen Techfirma ein, legt die Regierung noch einmal Geld drauf – allein dafür stehen zwei Milliarden Hongkong-Dollar (207 Millionen Euro) bereit. Das soll sowohl mehr Gründer als auch mehr Investoren in die Stadt locken und aus Hongkong eine Art Silicon Valley Asiens machen.

Kevin Wong (links) hat einen smarten Ring gebaut, mit dem man telefonieren kann.
Kevin Wong (links) hat einen smarten Ring gebaut, mit dem man telefonieren kann.

©  promo

„Die Techbranche soll zu einer Schlüsselindustrie in Hongkong werden“, sagt Toa Charm vom staatlichen Gründercampus Cyberport, wo sich bereits 1000 Digitalfirmen angesiedelt haben. Richtig groß sind davon bislang aber nur wenige. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Gogovan, eine Art Taxidienst für Transporter, der inzwischen mehr als eine Milliarde US-Dollar wert ist. Von solch einem Erfolg träumen die meisten anderen Gründer noch. Insgesamt gibt es in Hongkong zwar 2200 Start-ups und damit fast genauso viele wie in Berlin. Allerdings sind die meisten von ihnen sehr klein: Gerade einmal 6300 Angestellte beschäftigen sie zusammen – während in der Berliner Start-up-Szene bereits 60.000 Menschen arbeiten.

Die hohen Mieten sind für Gründer ein Problem

Dass sich Gründer in Hongkong schwerer tun, dürfte auch an den extrem hohen Mieten liegen. Büroräume findet man in der Stadt zwar schnell, berichtet ein Start-up-Manager, aber man müsse sie sich leisten können. Für 30 Quadratmeter in der Innenstadt zahle man monatlich etwa 60 000 Hongkong-Dollar (6200 Euro). Für ein Start-up geht das nur, wenn früh ein zahlungskräftiger Investor einsteigt und es nicht allzu lange dauert, bis die Firma Gewinne macht. Lange über die Geschäftsidee nachzudenken oder an der App herumzubasteln, ist da nicht drin. Wer nach zwei bis drei Monaten keine Erfolge vorweisen kann, gehe unter, heißt es.

Auch deshalb versucht die Stadt inzwischen verstärkt Gründer aus dem Ausland anzulocken, die bereits mehr haben als eine Idee – wie zum Beispiel Irad Kuhnreich aus Israel. Er hat eine selbstlernende Software entwickelt, mit der man große Mengen an Dokumenten untersuchen kann, um Betrug im Unternehmen aufzudecken. Gefüttert wird das Programm zum Beispiel mit E-Mails und Dateien, die Mitarbeiter auf dem Server gespeichert haben. Bei auffälligen Begriffen und Kontakten schlägt das System Alarm. Kuhnreich will Konzernen auf diese Weise helfen, Skandale wie es sie zuletzt bei Volkswagen und der Deutschen Bank gegeben hat, intern aufzudecken, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen. Programmiert hatte er die Software, nur die Kunden fehlten noch, als man Kuhnreich bei einer Start-up-Veranstaltung in Tel Aviv fragte, ob er und seine Mitgründer sich nicht für ein Förderprogramm von Accenture in Hongkong bewerben wollten. Eine große Chance: In Hongkong hat er auf Anhieb vier Banken als Kunden gewonnen.

Die Finanzaufsicht unterstützt den Wandel

Dass Kuhnreich mit seiner Firma Sherlock Garden in Hongkong gelandet ist, ist kein Zufall. Vor allem Start-ups aus den Bereichen Finanzen und Datensicherheit will man hier anziehen. Schließlich sitzen nicht nur viele Banken in der Stadt sondern auch viele Finanzexperten. Hongkongs Regierung hat deshalb bereits vor drei Jahren eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich ausschließlich mit der Frage beschäftigt, wie Hongkong für Start-ups aus dem Finanzbereich (Fintechs) attraktiver werden kann.

Auch die Finanzaufsicht zieht dabei mit. Anders als in Deutschland gibt es in Hongkong eine „regulatorische Sandkiste“: In der Anfangsphase müssen Gründer sich dadurch noch nicht an die strengen Regeln für Banken halten. Zusätzlich gibt es inzwischen sogar einen Chatroom, in dem sich die Gründer mit Aufsehern austauschen können. So sollen sie frühzeitig ausloten können, ob sie sich mit ihrem Geschäftsmodell im rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Nelson Chow, Manager bei Hongkongs Bankenaufsicht, sagt, das habe auch für sie Vorteile: „Auf diese Weise bekommen wir schneller mit, an welchen Ideen die Start-ups gerade arbeiten.“

Die Reise wurde durch ein Journalistenprogramm der Regierung von Hongkong ermöglicht.

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