zum Hauptinhalt
Die nächste Kanzlerschaft ist zu einem Wettrennen geworden.

© Getty Images/iStockphoto

Zocken mit der Demokratie: So viel bringt eine Wette auf Merz als nächsten Kanzler

Demoskopen irren sich, Außenseiter gewinnen Wahlen: Wer auf sie setzt, kann bei Wettanbietern richtig Geld machen. Demokratieforscher sehen das kritisch.

Von Laurin Meyer

Und plötzlich ist ein neues Wettrennen gestartet: Wer wird der nächste deutsche Bundeskanzler? Nach der Rücktrittsankündigung von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bringen sich erste Nachfolger in Stellung, politische Lager werben schon für ihren Favoriten. Und Beobachter spekulieren längst, wer die Nase vorn hat.

Wer will, muss bei diesem Wettrennen nicht nur zuschauen – sondern kann teilnehmen. Mit einem Wettschein. Einige Online-Wettanbieter lassen ihre Kunden nämlich auf den nächsten deutschen Kanzler tippen. Wer jetzt auf der Plattform „Bwin“ zehn Euro auf Friedrich Merz (CDU) setzt, bekäme im Erfolgsfall rund 22 Euro ausgezahlt. Ein Wettschein auf die SPD-Vorsitzende Saskia Esken würde ganze 210 Euro bringen. Und wer ganz besonders risikofreudig ist, kann mit einem Tipp auf den Satiriker Martin Sonneborn auf mehr als 1000 Euro hoffen.

Den Anbietern selbst dürfte es vor allem ums Marketing gehen. Auf der Suche nach politischen Prognosen schauen Beobachter zunehmend auch auf die Quoten der Buchmacher. Denn eigentlich verdienen Portale wie „Bet-at-home“ und „Bwin“ ihr Geld mit Tipps auf Sportereignisse. „Die Wetten runden das Wettprogramm als Ergänzung zur Sportwette ab“, heißt es etwa von „Bet-at-home“. Wirtschaftlich würden politische Wetten jedenfalls keine Rolle spielen, die Umsätze seien zu vernachlässigen, erklärt ein Sprecher ohne konkrete Zahlen zu nennen.

Der gesamte Markt konnte zuletzt kräftig zulegen. Im vergangenen Jahr brachen die Sportwettenanbieter einen Umsatzrekord. Kunden haben hierzulande rund 9,3 Milliarden Euro an Einsätzen getätigt, wie aus jüngst veröffentlichten Zahlen des Bundesfinanzministeriums hervorgeht. Das entspricht einem Anstieg von 21 Prozent gegenüber 2018 – und das in einem Jahr ohne internationales Fußballturnier, das üblicherweise als Umsatztreiber gilt.

Wer auf Außenseiter setzt, kann ein kleines Vermögen machen

Politische Wetten würden jedoch nicht darunter fallen, erklärt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage. Denn die Tipps auf Wahlen oder Politiker gehörten per Steuergesetz nicht zu den Sportwetten. Und deshalb gebe es auch keine konkreten Zahlen zum Markt.

Eines könnte Zocker zunehmend an politischen Wetten reizen: Demokratische Entscheidungen scheinen immer unberechenbarer zu werden. Meinungsforscher liegen häufiger daneben, Außenseiter gewinnen überraschend Wahlen. Wer frühzeitig auf einen Brexit gesetzt hat, für den dürfte es sich richtig ausgezahlt haben. Noch einen Tag vor dem Referendum konnten Kunden ihren Einsatz bei manchen Anbietern verachtfachen. Und auch Wetten auf einen US-Präsidenten Donald Trump noch vor dessen Nominierung im Jahr 2016 hat manchem wohl ein kleines Vermögen eingebracht.

Trump liegt deutlich vor seine demokratischen Konkurrenten

In diesem Jahr geht der Amtsinhaber bei den Buchmachern als Favorit ins Rennen ums Weiße Haus. Wer zehn Euro auf Trump setzt, bekommt im Erfolgsfall gerade einmal zwischen 15 und 17 Euro ausgezahlt. Die Wette auf den aussichtsreichsten Kandidaten der Demokraten, Bernie Sanders, ist deutlich riskanter. Mit zehn Euro können Kunden auf einen Gewinn von bis zu 50 Euro hoffen. Und wer an einen Sieg von Elizabeth Warren glaubt, bekommt mehr als 1000 Euro heraus.

US-Demokrat Bernie Sanders als Stofftier.
US-Demokrat Bernie Sanders als Stofftier.

© dpa

Den Wettschein auf den nächsten Präsidenten können Hartgesottene bei einigen Anbietern sogar noch veredeln: Wer meint, dass Trump wegen einer politischen Verfolgung nach seiner Amtszeit ins Asyl flüchtet, der kann seinen Einsatz auf der Plattform „Bet-at-home“ noch einmal verzehnfachen.

Auch Anleger können auf den Wahlausgang wetten

Die Wette auf den Wahlausgang ist keineswegs nur ein Glücksspiel für den spielfreudigen Wähler. Auch wohlhabende Anleger zocken mit der Demokratie. Der Vermögensverwalter Julius Bär hat jetzt zwei Zertifikate aufgesetzt, mit denen Investoren entweder auf den Sieg der Demokraten oder der Republikaner spekulieren können. Dafür haben die Schweizer ein Paket aus Unternehmensaktien geschnürt, das je nach Wahlausgang im Wert steigen oder fallen dürfte.

Der sogenannte „US Presidential Election-Democrat Victory Basket“ enthält vor allem Konsumaktien wie Walmart, Coca Cola und McDonalds. So spekuliert Julius Bär, dass diese Konzerne von einem Triumph der Demokraten profitieren würden. Das republikanische Gegenstück setzt voll auf die Papiere der US-Techfirmen wie Amazon, Facebook und Alphabet.

Demokratieforscher sehen das kritisch

Auf einen Sieg von Donald Trump zu setzen, ist derzeit übrigens günstiger. Das republikanische Aktienpaket ist seit Ausgabestart vor gut drei Wochen um fast ein Prozent gefallen, das Demokraten-Zertifikat hat sich bereits um rund 0,7 Prozent verteuert. Die Derivate will der Vermögensverwalter mit einem Gesamtvolumen von bis zu 40Millionen Dollar verkaufen.

Wetten auf den nächsten Präsidenten oder das vorzeitige Ende einer Kanzlerschaft? Demokratieforscher sehen das kritisch. „Das ist Zocken im Zwielicht des Halbseriösen“, sagt etwa Wolfgang Merkel, Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Dass diese Wetten gar politische Partizipation fördern könnten, glaubt Merkel jedenfalls nicht.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Österreicher

Der Politikwissenschaftler sieht darin eher eine weitere Kommerzialisierung durch Onlinefirmen, die nun demokratische Entscheidungen in den Fokus rücken. „In der Politik geht es um die Krankenversicherung, gerechte Löhne und Renten oder Bundeswehreinsätze“, sagt Merkel. „Darauf sollte man nicht wetten.“

Bei den Buchmachern ist Friedrich Merz (CDU) Favorit auf den Kanzlerposten.
Bei den Buchmachern ist Friedrich Merz (CDU) Favorit auf den Kanzlerposten.

© Reuters

Hinzu kommt: Wo gewettet wird, da besteht auch die Möglichkeit der Manipulation. Die österreichischen Behörden ermitteln laut Medienberichten derzeit gegen zwei Wiener, die kurz vor Bekanntwerden des sogenannten Ibiza-Skandals mehr als 1000 Euro auf vorgezogene Neuwahlen gesetzt hatten. Im Mai ist die österreichische Regierung geplatzt, nachdem ein Video veröffentlicht wurde, in dem der damalige Vizekanzler Heinz- Christian Strache seine Bereitschaft zur Korruption gezeigt hatte.

In Dänemark macht der Staat mit

Der Wettanbieter verdächtigte die beiden Männer offenbar des Insiderwissens und erstattete Anzeige. Eine Sonderkommission durchsuchte die Wohnungen der beiden – jedoch ohne Ergebnis. Im Vergleich zu den klassischen Sportwetten dürfte Wettbetrug in der Politik jedoch kaum zum Problem werden. Oft sind die Einsätze limitiert, erklären die Wettanbieter. Außerdem dürften politische Entscheidungen schwerwiegendere Konsequenzen haben als etwa ein verlorenes Fußballspiel.

In Dänemark bietet auch die staatliche Lotteriegesellschaft „Danske Spil“ selbst Wetten auf die Politik an – und verdient daran. Zwar haben die Dänen erst im Sommer gewählt, doch schon jetzt können Wähler ihr Geld auf den nächsten Regierungschef setzen. Und sogar Wetten auf den Wahltermin nimmt die Lotteriegesellschaft an. Den Wahltag legt nämlich der amtierende Ministerpräsident fest, und der kann das ohne langfristige Ankündigung tun. Diese Spannung könnte einer der Gründe sein, warum politische Wetten bei dänischen Spielern immer beliebter werden, schätzen Beobachter.

Keine Sportwettensteuer auf politische Wetten

Der deutsche Staat dürfte hingegen kaum von den politischen Wetten profitieren. Weil die Tipps auf Wahlen nämlich nicht als Sportwetten gelten, fällt darauf auch keine Sportwettensteuer von fünf Prozent an, erklärt das Bundesfinanzministerium. Die Anbieter müssen lediglich Umsatzsteuer in ihren Heimatländern zahlen – und das sind meist Malta oder Zypern. Von einer freudigen Vorstellung muss sich der künftige Kanzler also verabschieden: den ein oder anderen Euro zu verteilen, den er vorher durch Wetten auf sich selbst eingenommen hat.

Zur Startseite