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Gemeinsam auf der Matte. Firmen bieten ihren Mitarbeitern im Rahmen ihres Gesundheitsmanagements Achtsamkeitstrainings an.

© fizkes - stock.adobe.com

Work-Life-Balance: Tief durchatmen

Wie kann man Stress im Job reduzieren? Mit Achtsamkeit zum Beispiel. Eine Einführung.

Jeden Morgen, bevor sie ihren ersten Kaffee trinkt, setzt sich Carmen Steinkamp im Schneidersitz auf ihr Meditationskissen. Sie nimmt ihren Atem wahr, spürt bewusst ihren Körper. „Dank dieser zehn bis 15 Minuten bin ich gleich viel ruhiger, das merke ich den ganzen Tag über“, sagt die Projektmitarbeiterin der Messe Berlin. Gerade arbeitet sie im Homeoffice und findet manchmal auch nachmittags Zeit zum Meditieren. Dazu geht sie in der Natur spazieren, lauscht Wind und Wasser.

Gelernt hat sie die Übungen in einem Achtsamkeitskurs, den die Messe Berlin während der Arbeitszeit anbietet. In einem Sportraum mit Yogamatten und Sitzkissen bringt die Achtsamkeitstrainerin Ruth Seehausen den Teilnehmern in drei eintägigen Modulen Achtsamkeitstechniken bei. Sie erklärt, welche körperlichen Reaktionen Stress hervorruft und wie eine achtsame Kommunikation gelingt.

Carmen Steinkamp, die sich selbst eher als unruhigen Typen bezeichnet, war begeistert: „Nach dem Kurs fühlte ich mich, als würde ich nach Hause schweben“, erinnert sie sich. Auch bei der Arbeit halfen ihr die erlernten Übungen, zum Beispiel drei Atemzüge bewusst zu beobachten. „Das kriege ich selbst im Messestress hin, zum Beispiel auf dem Weg zu einem Aussteller.“

In Balance kommen, wenn es stressig wird

Als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements hat Bianca Beebe, Leiterin Personalentwicklung und Gesundheitsmanagement im Bereich Human Resources der Messe, die Seminare vor vier Jahren eingeführt. „Wir möchten den Mitarbeitern Techniken an die Hand geben, wie sie auch in stressigen Situationen schnell wieder in Balance kommen“, erklärt Beebe. Ob der Krankenstand durch die Achtsamkeitstrainings tatsächlich gesunken ist, lässt sich schwer belegen, da viele andere Faktoren in die Statistik einfließen. Mitarbeiter berichten ihr jedoch, dass die Kurse nicht nur helfen, mit Stress umzugehen, sondern auch die Kommunikation und das Betriebsklima verbessern.

Zahlreiche Studien haben den gesundheitlichen Nutzen solcher meditativen Übungen untersucht. Viele bestätigen, dass sie helfen können, Stress abzubauen und besser mit Ängsten oder Schmerzen umzugehen. Wer aber unter psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen leidet oder anfällig ist für Psychosen, sollte vor dem Start seinen Therapeuten fragen. Kritiker sehen den Achtsamkeitstrend zudem als eine Form der Selbstoptimierung, die dazu führen soll, noch mehr zu leisten – und so mit dem buddhistischen und hinduistischen Ursprung nur noch wenig zu tun hat.

Ein Programm, um Achtsamkeit weitgehend losgelöst von religiösen Ansichten zu erlernen, ist die von dem US-Molekularbiologen Jon Kabbat-Zinn in den 70er Jahren entwickelte „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ (Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR). Bei der verwandten „Mindfulness Based Cognitive Therapy“ (MBCT) spielen auch verhaltenstherapeutische Elemente eine Rolle. Sie wird zum Beispiel Menschen empfohlen, die depressive Episoden hinter sich haben.

Laut dem MBSR-MBCT-Verband kommt der Wunsch nach Achtsamkeitstrainings in Unternehmen oft aus der Belegschaft. „Ein Achtsamkeitskurs ist weder Wellness noch Esoterik. Es geht nicht darum, vieles gleichzeitig zu machen, sondern eine bewusste Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment zu trainieren. Der auf diese Weise gewonnene Abstand kann hilfreich sein, um aus üblichen Reaktionsmustern auszusteigen“, erklärt die Hamburger Arbeitsmedizinerin und MBSR-Lehrerin Martina Aßmann, die Unternehmen auch zu New Work-Maßnahmen berät. „So kann man Freiräume für neues Handeln und mehr Fürsorge für sich selbst und andere entwickeln.“

Manchen fällt es schwer, in Stille zu sitzen

Manchen Menschen helfen Apps mit angeleiteten Meditationen beim Einstieg in eine regelmäßige Praxis. Gerade für Anfänger, denen es schwerfällt, längere Zeit in Stille zu sitzen, sind konkrete Anweisungen hilfreich. Die Techniker Krankenkasse hat, angelehnt an das MBSR-Programm, einen frei zugänglichen Online-Kurs ins Netz gestellt, mit dem Einsteiger meditieren lernen können.

Im besten Fall sollte an jedem Tag geübt werden, denn Achtsamkeit ist wie ein Muskel, der trainiert werden sollte, betont Agnes Kick, Geschäftsführerin des MBSR-MBCT Verbands: „Es ist effektiver, täglich wenige Minuten zu üben, als einmal die Woche zwei Stunden. Am besten ist eine feste Zeit am Tag, etwa vor dem Frühstück oder dem Zubettgehen.“

Bei Carmen Steinkamp dauerte es eineinhalb Jahre, bis sie eine regelmäßige Meditationspraxis in ihr Leben integrierte. Sie ist insgesamt ruhiger geworden und geht nicht mehr so schnell in die Luft, hat sie festgestellt.

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