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In unterschiedliche Richtungen? Ost- und Westdeutschland haben sich noch nicht in allen Bereichen angenähert.

© Lars von Törne

Wiedervereinigung: Die Lücke zwischen Ost und West wird sich kaum schließen

Komplexe Zahlungsströme sollten Ostdeutschland aufholen lassen. Doch geringe Steuerkraft macht Länder und Kommunen vom Westen abhängig. Ein Gastbeitrag.

Die Angleichung von Ost und West lässt sich nicht nur mit Blick auf die Wirtschaft, sondern auch auf die öffentlichen Haushalte ablesen. In allen Teilen der Republik standen die öffentlichen Haushalte in den vergangenen drei Jahrzehnten unter einem enormen Druck. Seit 30 Jahren lässt sich eine stetige Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Ost und West verzeichnen, wenngleich der ostdeutsche Aufholprozess in den letzten Jahren stagnierte.

Im Jahr 1991 belief sich das Pro- Kopf-Steueraufkommen des Ostens auf nur etwa 15 Prozent des westdeutschen Wertes. Nach einer Phase des Aufholens bis 1994 folgte eine Stagnation. Die Steueraufkommen im Osten wuchsen langsamer als im Westen beziehungsweise gingen sogar zurück. Erst neuerdings ist ein langsames Aufschließen zu beobachten. Aktuell erreichen die ostdeutschen Haushalte knapp 60 Prozent des westdeutschen Steueraufkommens.

Wie konnte Ostdeutschland auf dieser mangelnden steuerlichen Basis die Modernisierung finanzieren? Ein Teil wurde durch eigene Kreditaufnahme, der größte Teil jedoch durch den Bund und die Ländergesamtheit aufgebracht. Bis 1994 wurde Ostdeutschland schwerpunktmäßig aus dem Fonds Deutsche Einheit finanziert, der zunächst mit einem Volumen von 58,8 Milliarden Euro ausgestattet, doch schon bald auf 82,2 Milliarden aufgestockt wurde.

Ostdeutschland steht nicht auf eigenen Füßen

Seit 1995 sind die neuen Länder in den Finanzausgleich eingebunden. Dieses Verfahren sorgt für eine massive Angleichung der Finanzkraft zwischen Ost und West. Die ostdeutschen Länder waren in den vergangenen drei Jahrzehnten in besonderem Maße von den Einnahmen aus dem Finanzausgleich abhängig und sind es bis heute. Rund 70 Prozent ihrer Einnahmen kommen daher (westdeutsche Länder: 45 Prozent). In den vergangenen zehn Jahren hat sich dieses Gewicht nicht verändert. Die ebenfalls steuerschwachen ostdeutschen Kommunen sind ihrerseits abhängig von den Länderhaushalten. Im Osten finanzieren sich die Kommunen rund zur Hälfte aus Zuweisungen ihrer Länder, im Westen ist es rund ein Drittel.

Ostdeutschland steht demnach noch immer nicht finanziell auf „eigenen Füßen“. Vielmehr sorgt ein komplexes System von Zahlungsströmen zwischen den staatlichen Ebenen dafür, dass das Ziel einer gleichwertigen Versorgung mit öffentlichen Leistungen in Ost und West überhaupt realisiert werden kann.

Mario Hesse (l.) und Oliver Rottmann.
Mario Hesse (l.) und Oliver Rottmann.

© privat

Nach der Vereinigung gab es in Ostdeutschland einen überdurchschnittlichen Personalbestand in den Verwaltungen, der stark abgebaut wurde. Die Quote der Beschäftigten je 1000 Einwohner im öffentlichen Dienst lag nach der Vereinigung noch bei fast 167, im Vergleich zu rund 107 in Westdeutschland. Vor allem in den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre reduzierten die ostdeutschen Länder und Kommunen die Zahl um insgesamt mehr als die Hälfte. Ein weiterer Rückgang wird sich angesichts neuer Aufgaben kaum realisieren lassen. Auch im Westen steigt der Personalbestand aktuell wieder an, vor allem vor dem Hintergrund des Ausbaus der kommunalen Kinderbetreuungsangebote.

Aufholprozess teilweise zum Erliegen gekommen

Eine weitere Herausforderung lag in der Sanierung der maroden öffentlichen Infrastruktur Ostdeutschlands. Allein den Investitionsbedarf für die Verkehrsinfrastruktur bezifferte das Bundesministerium der Finanzen auf rund 64,9 Milliarden Euro. Dabei investierten die ostdeutschen Gebietskörperschaften in den 1990er Jahren pro Kopf knapp doppelt so viel wie die westdeutschen. Auch heute investiert der Osten, unterstützt durch Fördermittel des Bundes und der EU, noch überdurchschnittlich viel. Auf der kommunalen Ebene, die die Hauptlast der öffentlichen Investitionslast trägt, liegen die Investitionsausgaben dagegen bereits seit 2012 unter dem Niveau der westdeutschen Kommunen – aktuelle pro Kopf rund 15 Prozent weniger. Der Aufholprozess ist an dieser Stelle bereits zum Erliegen gekommen. Viele Infrastrukturlücken konnten bereits geschlossen werden, neue Herausforderungen entstehen jedoch durch die Digitalisierung, den demografischen Wandel oder die Energiewende.

Auch die öffentliche Verschuldung von Ost und West gestaltete sich sehr unterschiedlich. Innerhalb weniger Jahre bauten die Ost-Flächenländer und -Kommunen ein Schuldenvolumen von knapp 7000 Euro je Einwohner auf und erreichten damit rund 110 Prozent des westdeutschen Vergleichswerts. Seit Mitte der 2000er Jahre fahren die ostdeutschen Länder und Kommunen ihre Schuldenstände langsam zurück, während sie in Westdeutschland weiter zugenommen haben.

Was bleibt nach 30 Jahren Einheit? Trotz eines erkennbaren Aufholens liegen Wirtschaftskraft- und Einnahmenniveau der neuen Länder weiterhin deutlich unter den Werten des Westens. Dennoch endet der „Aufbau Ost“ mit dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019. Der neu gestaltete Finanzausgleich ab 2020 sieht keine gesonderten Regelungen mehr vor, die ausdrücklich dem Osten zugute kommen. Unter diesen neuen Rahmenbedingungen lässt sich eher eine Verstetigung der bestehenden Finanzkraftlücken als eine weitere Annäherung erwarten. Folglich bleibt die Abhängigkeit der neuen Länder hoch.
Mario Hesse (links) und Oliver Rottmann sind Wissenschaftler am Kompetenzzentrum öffentliche Wirtschaft (Komkis) an der Universität Leipzig.

Mario Hesse, Oliver Rottmann

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