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Hat's in sich: Moderne Kühlschränke können viel mehr als frisch halten.

© iStock, Illustration: Christiane Heim

Wie moderne Technik den Haushalt organisiert: Kühlschrank mit Hirn

Lebensmittelhersteller suchen zunehmend die Nähe zu Elektronikkonzernen: Ihnen gehört das Geschäft der Zukunft.

Von Maris Hubschmid

Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause – und der Kühlschrank hat schon eingekauft. Womöglich ein gar nicht mehr so fernes Szenario: Alles um uns herum wird digitaler. Da ist es kaum verwunderlich, dass diese Entwicklung vor unserem Gemüsefach nicht Halt macht.

Lange Zeit durfte man den Eindruck haben, die Digitalisierung der Lebensmittelbranche erschöpfe sich in modernen Melkmaschinen und einem scannbaren QR-Code auf dem Joghurtbecher, anhand dessen sich die Herkunft der Zutaten zurückverfolgen lässt. Mit dem Start von Amazon Fresh in Deutschland nimmt derzeit jedoch der Onlinehandel mit Lebensmitteln Fahrt auf. Inzwischen haben auch Konsumgüterhersteller wie Nestlé die Chancen erkannt – und bringen sich in Stellung.

Haben wir noch Eier? Der Kühlschrank schickt ein Beweisfoto

Auf Verbraucherseite hat das Einkaufs- und Ernährungsverhalten längst digitale Komponenten: Von unterwegs aus werden Rezepte im Internet abgerufen und Angebote abgeglichen. Jeder zweite Deutsche hat schon einmal Fotos von seiner Mahlzeit bei Facebook, Instagram oder sogar im eigenen Blog gepostet.

In der „Nestlé Future Kitchen“, einem Schauraum in Frankfurt am Main, soll das Kochen im Jahr 2030 erlebbar werden. Partner ist der Elektronikkonzern Samsung. „Sprachgesteuert, multimedial, vernetzt“ sind die Schlagworte, mit denen der Hersteller für seine „Küche der Zukunft“ wirbt. Der Samsung Family Hub 2.0, ein intelligenter Kühlschrank, ist nicht mehr bloß ein Gerät zum Kühlen und Lagern von Eiern und Co: Auf einem W-Lan-fähigen, großen Touchscreen-Monitor können Kochvideos angesehen oder Informationen abgerufen werden wie: Haben wir noch Ketchup? Reicht die Margarine? Wie lange ist die Milch haltbar?

Um das herauszubekommen, könnte man freilich auch einfach die Kühlschranktür öffnen. Aber am Bildschirm lässt sich mit diesen Daten allerhand anstellen. Jedes Mal, wenn die Tür geschlossen wird, nehmen integrierte Kameras Bilder des Innenraums auf. Auf der Funk-Ausstellung IFA Anfang September will Samsung ein neues Feature vorstellen, mittels dessen sich die Milch auf dem Foto direkt anklicken und auf die digitale Einkaufsliste ziehen lässt. Die wird automatisch auf den Smartphones der Familienmitglieder aktualisiert.

Nachbestellung auf Kommando

Andersherum funktioniert es ebenfalls. Im Supermarkt können sich etwa auch Besitzer des Bosch-Kühlschranks KGN36HI32 die neuesten Aufnahmen schicken lassen – und so per Tastendruck checken, was zu Hause noch fehlt. Der Kühlschrank schickt überdies eine warnende SMS, wenn man ihn versehentlich offen gelassen hat. Schließ mich, bitte!

Im nächsten Schritt könnte er vorschlagen: Was lässt sich aus dem Vorhandenen Leckeres zaubern? Amazon kooperiert in den USA mit LG Electronics. Deren Kühlschrank offenbart seinen Inhalt, indem man zweimal leicht gegen die schwarze Glasfront klopft. Dann geht drinnen das Licht an, die Scheibe wird durchsichtig. Weil das Gerät über den Amazon-Sprachdienst Alexa verfügt, kann auf Kommando eine Zubereitungsanleitung gefunden, aber auch: nachbestellt werden.

An diesem Punkt wird deutlich, was sich die Lebensmittelindustrie langfristig von den Partnerschaften verspricht. Eigentlich hat sie kein Interesse daran, dass der Konsument seinen Kühlschrankinhalt jederzeit und überall im Blick hat. Sie profitiert schließlich, wenn über Bedarf eingekauft wird. Andererseits erlangen auch die Hersteller Kontrolle. Wenn der Kühlschrank eines Tages tatsächlich fehlende Produkte autark nachbestellt, tun sie gut daran, dafür zu sorgen, dass es die eigenen sind. Weder bei Nestlé noch bei Unilever möchte man zu diesem Szenario konkreter werden.

Neue Geräte spielen auch Kellner

Im Ansatz gibt es aber bereits Features, die in eine ähnliche Richtung zielen. Zum Beispiel für die Kaffeekapselmarke Nespresso. Gebe der Nutzer den entsprechenden Befehl, werde „eine Kaffeekreation nach seinem Wunsch zubereitet“, teilt der Hersteller mit. „Mach mir einen Milchkaffee“: Der Kühlschrank wird zum Kellner. In den Samsung-Modellen für den europäischen Markt sei die App bereits einprogrammiert. Weitere Anwendungen für Nestlés Markenportfolio befänden sich in der Entwicklung, heißt es.

In der Küche trifft sich die Familie. Ihr Mittelpunkt ist der Kühlschrank. Dem folgend hoffen die Großkonzerne darauf, sich dank technischer Errungenschaften und Spielereien noch fester im Leben ihrer Kunden zu etablieren. Preislich bewegen sich die Geräte je nach Ausstattung und Finessen aktuell zwischen 1000 und 4000 Euro.

Einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PWC aus dem Jahr 2016 zufolge wollen 66 Prozent der Lebensmittelhersteller in digitale Technik investieren. Noch ist vieles nur Theorie – und oft hapert es in der Praxis. Die meisten Informationen spuckt der Kühlschrank nur dann aus, wenn man ihn vorher damit gefüttert hat. Aber wer hat schon Lust, jedes Verfallsdatum einzeln einzutippen? Bequemer wäre es, die Strichcodes zu scannen. Dafür müssten jedoch alle Produkte auf Höhe der Technik sein. Denkbar wären auch Sensoren an der Packung, die sich automatisch mit dem Hausgerät in Verbindung setzen.

Beim Kochen gewinnt der Mensch die Kontrolle zurück

Manchen mögen diese Möglichkeiten faszinieren. Andern machen sie vielleicht Angst. Wenn der Kühlschrank einkauft und der Thermomix die Speisen zubereitet, was bleibt dann in der Küche noch zu tun? Kochen und essen, das sind ja eigentlich zutiefst analoge, sinnliche Handlungen. Brot schneiden, einen Fisch filetieren – für manchen Bürojobber sind das die einzigen Handarbeiten, die er leistet. Beim Kochen gewinnt der Mensch die Kontrolle zurück. Noch.

In einem Onlineforum schreibt ein Nutzer: „Dank dem Internet der Dinge habe ich zweieinhalb Kilo abgenommen. Die Kühlschranktür ließ sich nach dem Update nicht mehr öffnen.“

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