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Führungskräfte müssen gerade ohne nonverbale Kommunikation einen guten Job machen.

© imago images/Cavan Images

Wie Führung aus der Ferne gelingt: „Zwischen zwölf und zwei macht jeder was Schönes an der frischen Luft“

Viele Führungskräfte müssen ihre Teams leiten und motivieren ohne sie zu sehen. Die Expertin Birgit Wahmes sagt: Das Niveau ist viel höher - und gibt Tipps.

Birgit Wahmes ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung offstandards. Vorher war die 53-Jährige viele Jahre im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Eines ihrer Themen: Führung auf Distanz. In ihrer Freizeit liebt Birgit Wahmes das Radfahren.

Frau Wahmes, wie führe ich Menschen ohne sie zu sehen?
Im Grund führe ich wie gewöhnlich, mit den gleichen Methoden, aber um dem Faktor hoch zwei. Ich muss doppelt so strukturiert sein, doppelt so gut kommunizieren. Das Niveau ist viel höher.

In Deutschland wollten viele Unternehmen nicht an der Präsenzkultur rütteln. Plötzlich müssen Chefs Kontrolle abgeben und vertrauen.
Das ist meist ein diffuses Misstrauen. Eine Führungskraft sollte sich selbst reflektieren: Wieso glaube ich, dass mein Mitarbeiter zu Hause nichts macht? Wann habe ich gute, wann schlechte Erfahrungen gemacht? Was war mein Anteil daran? Das Bild, das ich von anderen Menschen habe, hat mehr mit mir zu tun als mit meinem Gegenüber. Ich sage Führungskräften: Springt ins kalte Wasser! Macht neue Erfahrungen! Ihr habt gerade keine andere Wahl – und werdet mit Sicherheit Positives erleben!

Birgit Wahmes ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung offstandards.
Birgit Wahmes ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung offstandards.

© privat

Umfragen zeigen: Im Homeoffice arbeiten Mitarbeiter oft mehr. Niemand soll denken, man liegt nur auf dem Sofa.
Ich muss als Chef klar sagen, was ich erwarte. Ein Beispiel: Das Projekt muss bis übermorgen fertig sein. Geht das ohne Überstunden? Wenn nicht, sag es ruhig. Wenn ja, ist es ausgemacht und beide halten sich daran. Man kann mit dem Team auch Regeln aushandeln: Mails nicht nach 19 Uhr. Antworten innerhalb von zwei Stunden oder zwischen neun und 13 Uhr immer erreichbar sein.

Um einen Rahmen für den Tag zu schaffen...
Ich sehe ja nicht mehr, ob sich die Kollegin gerade einen Kaffee holt oder am Telefon spricht. Gut ist es auch, über Arbeitszeiten zu diskutieren: Wann wollen wir morgens alle miteinander sprechen? Wollen wir eine feste Mittagspause? Wie wollen wir miteinander kommunizieren? Mit welcher App? Welchem Programm? Kann jeder damit umgehen?

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Wie kann man festhalten, was besprochen wird?
Viele Tools wie zum Beispiel Zoom haben eine Whiteboard-Funktion. Im Grund können alle digital darauf schreiben wie auf einem Flipchart. Nach einem Meeting ist es außerdem sinnvoll, dass jemand ein kurzes Gesprächsprotokoll anfertigt und allen schickt. Haben alle das Gleiche verstanden? Dann kommt es zu weniger Missverständnissen.

Reicht eine Konferenz am Tag?
Da gibt es keine Patentlösung. Aber: Es gibt in einem Team Binde- und Fliehkräfte. Manches bindet Mitarbeiter. Manches drückt sie raus wie in einem Karussell. Jetzt, wo alle in ihren Wohnungen sitzen, muss ich die Menschen umso mehr an mich und das Team binden. Ich kann aber nicht kurz lächeln. Also brauche ich Worte. Lieber zu viele als zu wenige. Es geht gerade nicht nur darum, die Krise zu managen. Es ist auch enorm wichtig, Menschen, die völlig verunsichert sind, anzuleiten. Das auszugleichen, was reduziert ist: die emotionale, zwischenmenschliche Ebene. Nähe. Verbundenheit.

Wie kann das mit so viel Distanz gelingen?
Einmal in der Woche könnte der Chef eine Konferenz zur Stimmungslage einberufen: Wie würde euch jemand beschreiben, der euch sieht? Habt ihr genug Kontakt? Was überfordert euch? Was macht die Isolation mit euch? Er kann auch den positiven Blick schärfen: Jeder erzählt mal von einem schönen Moment in den letzten Tagen. Was ist im Team besonders gelungen? Worauf seid ihr stolz? Vergebt mal einen Hashtag für die Woche!

Gut Kritik geben ist an sich schon schwer. Aber jetzt...
Noch mehr als sonst gilt ein gutes Feedback: Ich-Botschaften senden, sachlich bleiben. Ich kann durchaus erklären: Das haben wir vereinbart. Das Ergebnis ist ein anderes – was mich ärgert. Aber nicht: Du regst mich auf! Du bist faul! Gut sind auch konstruktive Fragen: Woran hat es gelegen? Wie kann es nächstes Mal besser laufen. Und ganz wichtig ist Wertschätzung. Lobt viel!

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Wie kann jemand sein Team motivieren, wenn bald allen die Decke auf den Kopf fällt?
Ruft abends mal die Mitarbeiter an. Ohne Grund. Bloß um zu fragen, ob alles gut ist oder ob er Hilfe braucht. Dir fehlt der Austausch? Dann bilden wir ein Zweierteam. Möglich ist auch mal eine gemeinsame Gymnastiksession. Oder das Team legt fest: Wir verlängern die Mittagspause. Zwischen zwölf und zwei Uhr macht jeder was Schönes an der frischen Luft. Um zwei wird kurz konferiert: Was habt ihr gemacht?

Wie gehe ich fair damit um, dass manche den ganzen Tag arbeiten können und andere sich nebenbei um ihre Kinder kümmern müssen?
Wer diesen Konflikt nicht anspricht, provoziert einen. Ich rate dazu, so offen wie möglich miteinander zu reden, auch bei allen anderen Themen. Sonst schwillt der Unmut an. Einer hat das Gefühl, für drei zu arbeiten? Verständlich. Die Mutter von zwei Kindern leidet aber auch, hat ein schlechtes Gewissen, muss gerade Mitarbeiterin, Erzieherin und Lehrerin sein. Die Gruppe sollte überlegen, wie es allen in einer so schweren Zeit bestmöglich geht. Wir erleben gerade viel Hilfestellungen und Akzeptanz. Deswegen glaube ich: Die meisten Gruppen werden eine Lösung finden, wenn Probleme ohne Anklage und Unterstellungen besprochen werden. Oft glauben wir, den Kollegen und seine privaten Nöte zu kennen. Tun wir aber nicht.

Sehen Sie gerade auch Chancen?
Ja! Das ist gerade ein Booster für eine neue Kultur. Unnötige Meetings fallen weg. Die Menschen können flexibler arbeiten. Die Art des Arbeitens wird digitaler, agiler. Im besten Fall vertraut man einander mehr, lernt sich persönlicher kennen. Wir können gerade viel Gutes lernen. Wer sich als Führungskraft aber nicht umstellt, weiter strenge Ansagen von oben macht, schafft es nicht.

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