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Bis zu ein Drittel mehr Geld bekommen Beschäftigte im Gastgewerbe, das in der Pandemie massiv Personal verloren hat.

© picture alliance/dpa

Wie entwickeln sich die Einkommen 2022?: Inflation frisst Lohnerhöhung

Die Tarifeinkommen steigen eher mäßig. Doch die Ankündigung des Mindestlohns von zwölf Euro zeigt bereits Wirkung.

Corona bringt für die Betriebe und die Beschäftigten im Gastgewerbe eine Zeitenwende. In Brandenburg etwa arbeiteten vor der Pandemie gut 40 000 Personen in Hotels und Gaststätten. Jetzt sind es noch 35 000. „Zwischen Lockdowns und Kurzarbeit haben rund 5000 Beschäftigte der Branche den Rücken gewandt und sich beruflich neu orientiert“, heißt es bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Viele Jahre hat sich die NGG vergeblich um gute Arbeitsbedingungen bemüht in einem Wirtschaftsbereich, in dem überproportional viele geringfügig Beschäftigte (Minijobs) eingesetzt werden. Jetzt explodieren geradezu die Gehälter als Reaktion auf die prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt; ohne höhere Löhne kein Personal.

1000 Euro für Azubis im ersten Jahr

In Brandenburg steigen die Einkommen für angelernte Kräfte zum 1. Januar um bis zu 23,2 Prozent. Fachkräfte bekommen eine Tariferhöhung um acht Prozent, und im Oktober 2022 gibt es für alle Beschäftigten weitere vier Prozent. Erstaunlich ist auch der Tarifvertrag, den die NGG in Rheinland-Pfalz mit den Arbeitgebern aus dem Gastgewerbe abgeschlossen hat. Das Entgelt für Fachkräfte im ersten Berufsjahr erhöht sich im April 2022 um 676 Euro oder 36 Prozent auf 2535 Euro im Monat. Für die Azubis gibt es künftig im ersten Jahr 1000 Euro und der Branchenmindestlohn steigt um 25 Prozent auf zwölf Euro. Damit reagieren die Tarifpartner auf den Koalitionsvertrag der neuen Regierung, der eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro vorsieht. Sollte es diese Erhöhung schon vor Oktober 2022 geben, steigt der Mindestlohn im Gastgewerbe auf 12,50 Euro.

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Viele Tarifverträge unter zwölf Euro

Die Ankündigung der Ampel wirkt also bereits, obgleich offen ist, ob die zwölf Euro noch 2022 oder Anfang 2023 kommen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will keine Tarife mehr abschließen mit einem geringen Einstiegslohn. Noch gibt es im Organisationsbereich von Verdi mehr als 100 Tarifverträge mit Stundenlöhnen unter zwölf Euro. Nach einer Untersuchung von 40 Tarifbranchen lag Anfang 2019 sogar rund ein Fünftel aller Tarifgruppen unter zwölf Euro. Das ist bald Geschichte. Verdi hat entschieden, keine Verträge mehr unter zwölf Euro zu schließen.

Keine Lohn-Preis-Spirale

Ökonomen befassen sich angesichts der hohen Inflationsrate - im November stiegen die Preise hierzulande um 5,2 Prozent, für 2022 erwartet die Europäische Zentralbank EZB im Jahresdurchschnitt 3,2 Prozent - mit der Frage, ob die Gewerkschaften im kommenden Jahr die Preissteigerungen auszugleichen versuchen mit hohen Tarifabschlüssen. Die steigenden Personalkosten könnten dann von den Arbeitgebern über höhere Preise ausgeglichen werden und im Ergebnis die Inflation weiter treiben. „Bisher deuten die recht verhaltenen Tarifabschlüsse noch nicht auf eine mögliche Lohn-Preis-Spirale hin“, befindet das Münchener Ifo Institut. Dabei haben die Ifo-Wissenschaftler den öffentlichen Dienst und die Metallindustrie im Blick.

Die Angestellten der Kommunen und des Bundes bekommen im April nächsten Jahres 1,4 Prozent mehr Geld, für die Beschäftigten der Bundesländer gibt es 2,8 Prozent - aber erst im nächsten Dezember. Unter Pandemiebedingungen konnte Verdi nicht mehr durchsetzen, die Streikbereitschaft war gering, sodass die Realeinkommen 2021 und 2022 sinken; trotz Coronaprämien. In der Metallindustrie mit fast vier Millionen Beschäftigten setzte die IG Metall auch nur eine Einmalzahlung in Höhe von 18,4 Prozent des Monatseinkommens durch, die im kommenden Februar gezahlt wird. Spannend wird es im Herbst, wenn der Tarifvertrag ausläuft. Nach vier Jahren ohne prozentuale Erhöhungen will die IG Metall wieder zulangen - sofern der Aufschwung da ist.

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Die größte deutsche Gewerkschaft beansprucht traditionell die Tarifführerschaft hierzulande und berechnet ihre Tarifforderung mit drei Faktoren: gesamtwirtschaftliche Produktivität, Zielinflationsrate der EZB und Umverteilungskomponente. Die Zielinflationsrate beträgt zwei Prozent - und daran will die IG Metall auch festhalten, wenn sie am 12. Juli ihre Forderung aufstellt und die Inflationsrate dann womöglich noch über drei Prozent liegt. Die Verhandlungen mit den Metallarbeitgebern beginnen in der ersten Septemberhälfte.

Die IG BCE konzentriert sich auf die Inflation

Einen anderen Weg geht die zweitgrößte Industriegewerkschaft, die IG BCE, die bereits im Frühjahr für rund 600 000 Chemiebeschäftigte verhandelt. Streiks sind verpönt in der Chemie, die Gewerkschaft verfolgt einen kooperativen Ansatz. Und ist damit nach Angaben von Tarifchef Ralf Sikorski gut gefahren ist. Von 2000 bis 2020 seien die Verbraucherpreise hierzulande um 34 Prozent gestiegen, die Tarifeinkommen in der Chemie gleichzeitig um 66 Prozent.

Die Gewerkschaft verzichtet für die März anstehenden Verhandlungen auf eine prozentuale Forderung und will sich schlicht auf die Sicherung der Realeinkommen konzentrieren. Dann müssten allerdings die Tarifeinkommen um mindestens drei Prozent steigen, denn bis zum zweiten Quartal werden die Verbraucherpreise allen Prognosen zufolge noch um gut drei Prozent steigen.

Coronaprämie bis zu 1300 Euro

Mit Coronaprämien können die Tarifparteien 2022 nicht mehr rechnen: Die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben läuft im März aus. Grundsätzlich sind Prämien und überhaupt Einmalzahlungen bei den Gewerkschaften verpönt. Das Geld ist schnell weg, doch Mieten und Preise bleiben dauerhaft hoch. In der Pandemie trugen die Prämien dazu bei, dass die prozentualen Entgelterhöhungen mäßig ausfielen. Es wurden 2021 Coronaprämien vereinbart, die zwischen 90 Euro in der Süßwarenindustrie und 1300 Euro im öffentlichen Dienst der Bundesländer liegen.

Reallohnverlust von 1,4 Prozent

Das gewerkschaftliche WSI-Tarifarchiv hat für 2021 eine durchschnittliche Steigerung der Tariflöhne um 1,7 Prozent ermittelt. Angesichts einer Jahresinflationsrate von 3,1 Prozent „ergäbe sich hieraus ein ungewöhnlich starker Reallohnverlust von 1,4 Prozent“, schreibt das WSI. Alles in allem wurden für zwölf Millionen Beschäftigte neue Tarife abgeschlossen. Im kommenden Jahr laufen für zehn Millionen Beschäftigte die Tarifverträge aus, darunter die 2,7 Millionen Arbeitnehmehrinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes. Verdi hat nach den schwachen Abschlüssen in der Coronazeit viel aufzuholen. Ob das gelingt, hängt wiederum ab vom Pandemieverlauf im nächsten Winter, denn der aktuelle Tarif für die Kommunen gilt bis Ende 2022.

500 000 Gebäudereiniger bekommen Mindestlohn

Unabhängig vom Tarifgeschäft steigt der gesetzliche Mindestlohn: Zum 1. Januar auf 9,82 Euro und dann im Juli auf 10,45 Euro. Im größten Handwerksbereich, der Gebäudereinigung, erhöht sich der tarifliche Mindestlohn zum 1. Januar auf 11,55 Euro und 2023 weiter auf zwölf Euro. „Wenn die Ampelkoalition ernst macht und den allgemeinen Mindestlohn im nächsten Jahr auf zwölf Euro setzt, dann liegt die Marge in der Gebäudereinigung drunter. Das wäre katastrophal“, heißt es bei der IG BAU, die den Arbeitgeberverband zu Verhandlungen über eine Erhöhung des Branchenmindestlohns auffordert. Rund 500 000 von etwa 700 000 Gebäudereinigerinnen bekommen nur den Mindestlohn.

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