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In vielen Berliner Unternehmen lief der Start der Angebotspflicht holprig.

© Fabian Strauch/dpa

Wer zahlt? Wer darf testen?: Wie holprig der Start der Testpflicht für Arbeitgeber in Berlin lief

In Berlin müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern seit Mittwoch zwei Testangebote pro Woche machen. Es gibt viele offene Fragen.

Am Mittwoch war es so weit. Was viele Politiker:innen und Arbeitnehmervertreter:innen seit einiger Zeit gefordert hatten, wurde Realität: eine Testangebotspflicht für Unternehmen. „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind verpflichtet, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an ihrem Arbeitsplatz präsent sind, zweimal pro Woche ein Angebot über eine kostenlose Testung in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV2 mittels eines Point-of-Care(PoC)-Antigen-Tests, einschließlich solchen zur Selbstanwendung unter Aufsicht, zu unterbreiten und diese Testungen zu organisieren.“ So steht es in der angepassten Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin, die gestern in Kraft trat.

Lange ging es in der Debatte um den Beitrag der Wirtschaft in der Pandemie um die Verpflichtung zum Homeoffice, die in Berlin nun ebenfalls teilweise eingeführt ist – es dürfen maximal 50 Prozent der eingerichteten Büroarbeitsplätze gleichzeitig genutzt werden. Inzwischen steht der Einsatz von Schnelltests im Büro und der Werkhalle im Fokus.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“ gesagt, dass sie unzufrieden mit der Umsetzung der Selbstverpflichtung der Wirtschaft sei, und deutete eine Testangebotspflicht an. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ging noch einen Schritt weiter und forderte nicht nur eine Angebots-, sondern gleich eine Testpflicht für Beschäftigte vor Ort.

Arbeitgeber wehren sich gegen Testpflicht

Das rief sogleich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger auf den Plan. Die privaten Unternehmen hätten ihre Testanstrengungen stark ausgeweitet, sagte er. „Mit dem ständigen Drohen einer gesetzlichen Regelung wird dieses Engagement nicht anerkannt. Ein Testgesetz schafft nicht mehr Schutz, sondern mehr Bürokratie, mehr Kosten, weniger Eigeninitiative und einen Haufen ungeklärter rechtlicher und organisatorischer Fragen.“

Vor denen stehen nun die Unternehmen in Berlin. Sie müssen nicht nur Tests anbieten. Für Personal mit Kundenkontakt sind diese sogar verbindlich. Doch was bedeutet die Pflicht für Betriebe konkret? Christoph Tismer berät als Geschäftsführer des Unternehmens Betriebsarztservice Unternehmen hinsichtlich der Arbeitsmedizin und des Arbeitsschutzes. Er sieht bei der Berliner Regelung noch viele offene Fragen.

Sieht keinen Anlass für eine Angebotspflicht: Rainer Dulger, Arbeitgeberpräsident.
Sieht keinen Anlass für eine Angebotspflicht: Rainer Dulger, Arbeitgeberpräsident.

© Sebastian Gollnow/dpa

„Es wird definitiv am Anfang noch nicht rundlaufen“, sagte Tismer dem Tagesspiegel Background. „Viele Fragen, die damit zusammenhängen, sind mit der neuen Verordnung noch gar nicht geklärt.“ So seien zwar inzwischen ausreichend Tests auf dem Markt, allerdings sei nicht wirklich geregelt, was ein Unternehmen tun müsse, falls ein Test positiv ausfalle. „Viele Unternehmen wissen nicht, dass ein PoC-Schnelltest meldepflichtig ist, ein Selbsttest für Laien jedoch nicht“, sagt Tismer. Auch dass PoC-Selbsttests nicht in den Müll geworfen werden könnten, sondern speziell entsorgt werden müssen, sei vielen nicht bekannt.

Wer darf die Tests durchführen?

Ungeklärt ist auch, wer überhaupt die Tests durchführen und bescheinigen darf. Der Berliner Senat stiftete am Mittwoch noch zusätzliche Verwirrung, als er zunächst eine falsche Version der Verordnung ins Internet stellte – die die Nachweise einer von der Gesundheitsverwaltung „beauftragten Stelle“ vorbehielt. Das wurde zwar korrigiert. Doch auch bei der richtigen Verordnung bleibt unklar, was der Senat will: Sollen sich die Unternehmen selbst helfen dürfen – oder müssen sie immer externe Dienstleister beauftragen?

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Der einfache Selbsttest „unter Aufsicht“ wäre zwar eine praktische Lösung, gerade für kleine Betriebe. Aber nur geschultes Personal darf die Bescheinigung ausfüllen. Wie die Schulung aussehen soll, ist nicht bekannt. Auf den Musterbögen ist denn auch gleich von einem „Testzentrum“ die Rede, wo es um die bescheinigende Stelle geht, nicht von Unternehmen. Und in der Fußnote wird mit Anzeige bei Urkundenfälschung gedroht.

IHK warnt vor hohen Kosten für Corona-gebeutelte Betriebe

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) war schon am Dienstag nicht mit den Regelungen zufrieden. Sie schrieb auf Anfrage des Tagesspiegels: „Die Wirtschaft steht zu ihrer Verantwortung, allerdings hat die Kurzfristigkeit der Einführung bei den Betrieben für erhebliche Verunsicherung und Ratlosigkeit gesorgt.“ Die IHK Berlin fordert, dass Selbsttests auch ohne Aufsicht durchgeführt werden können. Ein weiteres Problem seien die Kosten, hier kämen bei mittelständischen Betrieben schnell Tausende Euro an zusätzlichen Ausgaben zusammen.

Gerade für Unternehmen, die unter den Folgen der Pandemie leiden, sind diese zusätzlichen Kosten ein großes Problem. Auf eine Anfrage, ob und wie die Einhaltung der Angebotspflicht überprüft und gegebenenfalls sanktioniert wird, antwortete die Berliner Senatsverwaltung nicht.

Und noch eine Tagesspiegel-Anfrage ließ die Senatsverwaltung für Gesundheit unbeantwortet. Denn in der Verordnung ist nicht von Unternehmen, sondern von Arbeitgebern die Rede. Dazu gehören auch alle Landes- und Bundesbehörden in Berlin. Auf die Frage, ob pünktlich zum Inkrafttreten allen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ein Testangebot gemacht werden kann, reagierte das Haus von Dilek Kalayci (SPD) nicht. Über wie viele Selbsttests diese Ämter derzeit verfügen, blieb ebenfalls offen.

Wie sich die Testpflicht in der Praxis darstellen kann, zeigt Sachsen. Hier gilt bereits, bundesweit kaum beachtet, seit einer Woche eine Pflicht von Arbeitgeber:innen, den Beschäftigten zwei Mal pro Woche einen Corona-Test anzubieten. Der Sprecher der IHK Dresden schreibt auf Anfrage: „Von möglichen Lieferengpässen hat man ganz am Anfang mal etwas munkeln hören, mittlerweile ist aber das Gegenteil der Fall, es melden sich Unternehmen bei uns, die Tests in Größenordnungen anbieten und darum bitten, dass wir diese Angebote bei Bedarf an unsere Mitglieder weiterleiten.“ Man gehe davon aus, dass sich „unsere Unternehmen mehrheitlich gemäß der geltenden Rechtslage verhalten“.

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