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Übersetzen mit den Händen. In einem Bericht über barrierefreie Erwachsenenbildung wird unter anderem das Fehlen von Gebärdendolmetschern beklagt. Notwendig sind dafür etwa Kooperationen mit Gehörlosenverbänden. Die Frau auf dem Foto gehört zum Gebärdenchor des Berufsbildungswerkes Leipzig und gebärdet gerade ein Lied.

© Hendrik Schmid/picture alliance / dpa

Weiterbildung: Barrieren in den Köpfen überwinden

Wer Kurse für Erwachsene gibt, ist selten darin geschult, auch Menschen mit einer Behinderung zu unterrichten. Fortbildungen zur Inklusion können helfen.

Spricht man sie auf die inklusiven Möglichkeiten der Erwachsenenbildung an, gerät Monika Kil fast ins Schwärmen. Insbesondere Volkshochschulen seien per definitionem eigentlich „Vorreiterinnen der Inklusion“, stünden diese doch laut Programm „Menschen aller sozialen Schichten und Einkommensgruppen, (...) mit und ohne Behinderung“ offen. In der Realität aber, so die Professorin für Weiterbildungsforschung, die bis 2013 die Forschungsabteilung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) geleitet hat, könnte Inklusion in Volkshochschulen noch viel mehr gelebte Praxis sein. Und die Lage in anderen Bereichen des lebensbegleitenden Lernens sei noch schlechter.

Um das zu ändern, müssten nicht zuletzt die in der Erwachsenenbildung tätigen Fachkräfte darin geschult werden, ihre Kursangebote inklusiv zu gestalten. Aber ein Blick in Fortbildungsangebote beispielsweise der VHS-Landesverbände zeigt: Außer zu Leichter Sprache und Alphabetisierung – und dem großen Feld Mehrsprachigkeit und Integration – gibt es kaum erkennbar inklusionsfördernde Angebote. Josef Mikschl, Leiter der Fachgruppe Erwachsenenbildung der schleswig-holsteinischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), gesteht: „Das Thema wird sehr stiefmütterlich behandelt.“ Das liege auch daran, dass gemeinsame Bildung als Menschenrecht in Schulen wegen der Schulpflicht präsenter sei, vor allem aber an der finanziell prekären Lage vieler Einrichtungen. Wer am Markt überstehen wolle, müsse „mit seinen Angeboten und der Zielgruppenansprache hohe Deckungsgrade erzielen“ und möglichst viele Kursgebühren in die Kassen spülen, erklärt der – inzwischen pensionierte – ehemalige Programmbereichsleiter der VHS Kiel.

Inklusiver Unterricht braucht kleine Gruppen

Damit fielen kleine Gruppen, die es für inklusiven Unterricht braucht, schon aus finanziellen Gründen flach. Auch die Dozenten – meist freie Mitarbeiterinnen – stünden, angesichts niedriger Stundensätze und infolge hoher Unterrichtsverpflichtungen, unter Druck. „Die individuelle Ansprache von Menschen, die nicht auf Anhieb mitkommen oder spezielle Unterstützung brauchen, können sie kaum leisten.“

Aus diesen Gründen haben bislang Weiterbildungen zu inklusivem Unterricht in der Erwachsenenbildung keine große Relevanz. Dabei ist längst klar: Eine Einrichtung, die bei ihrem Personal Wert auf Inklusionskompetenz legt, „erweitert den Kundenkreis, verbessert die Qualität der Lehre und ist für die Zukunft besser gerüstet.“ Darauf weist Ellen Kubica hin, die im Auftrag der VHS Mainz den Bericht „Barrierefreie Erwachsenenbildung“ verfasst hat. Zwei Jahre lang, von 2014 bis 2016, erforschte sie bundesweit, was dafür nötig und was in Modellprojekten schon möglich ist. Die Hürden, von denen Kursteilnehmer und Lehrkräfte Kubica in Hinblick auf die inklusive Arbeit im Kurs erzählten, reichten von sehr niedrig bis hoch.

Mancher Teilnehmerin mit Behinderung hätte bereits eine Vorstellungsrunde zu Kursbeginn gutgetan, um sich vertrauter zu fühlen und auf ihre Lage hinzuweisen; ebenso wären Dozenten gern vorab informiert worden, um sich didaktisch vorbereiten zu können. Doch auch das Fehlen von Gebärdendolmetschern oder barrierefreier Materialien wurde beklagt – beides ist mit viel Aufwand verbunden. Kubicas Resümee: „Eine generelle Fortbildungsmaßnahme gibt es nicht und kann es nicht geben.“ Es brauche Netzwerke und Kooperationen mit spezialisierten Einrichtungen wie Gehörlosenverbänden ebenso wie mit Zentren für selbstbestimmtes Leben, die etwa Sensibilisierungsschulungen für Lehrkräfte anböten.

"Wir müssen weg von Modellprojekten"

Kubica, die heute als Seminarkoordinatorin in der Weiterbildung arbeitet, hält es für überfällig, die breite Masse der Weiterbildungseinrichtungen und -dozenten in die Pflicht zu nehmen. „Wir müssen weg von Modellprojekten g“, fordert sie; bereits kurze Workshops, die durchaus in der Breite wirken könnten, führten zu Sensibilisierung, Nachdenken und ersten Unterrichtsreformen. Mindestens, erklärt sie, sollte möglich sein, fest angestellte Mitarbeiter entsprechend zu schulen.

Bildungswissenschaftlerin Kil, die heute an der Donau-Universität Krems in Österreich forscht, benennt einen weiteren Punkt, den das Personal in der Erwachsenenbildung angehen müsste: Zentral sei, dass Bildungsberater wie Dozenten ihre eigenen inklusiven und exklusiven Anteile überprüfen. „Zu sehen, wann und wo man selbst ausgrenzt, ist in der Pädagogik unerlässlich.“ Dieses Gebot werde bisher kaum beachtet. Dabei könne eine solche Selbstreflexion nicht zuletzt die Kursleiter selbst auch vor drohendem Burn-out schützen. „Heterogene Gruppen zu unterrichten, ist eine Herausforderung“, erklärt Kil. „Wer individuell unterrichtet, muss nicht nur wissen, wie das geht. Er oder sie muss auch damit rechnen, Konflikte zu moderieren; etwa weil Teilnehmende ungeduldig reagieren, wenn Dinge mehrfach erklärt werden.“ Ein Mittel, um Lernen in individuellem Tempo zu ermöglichen, könnte der Einsatz digitaler Medien sein, ergänzt Kil. „Doch auch den muss man lernen.“

Unterstützung für inklusionswillige Einrichtungen bietet ein Praxisleitfaden, der das Kernstück des Berichts von Ellen Kubica bildet. Er enthält unter anderem Tipps für die Vorbereitung der Lehrkräfte und eine Einführung in besondere Bedürfnisse von Kursteilnehmenden mit verschiedenen Beeinträchtigungen. Der Leitfaden appelliert, „mutige Wege“ zu gehen und neue Formate zu testen. Dafür, erklärt Kubica, brauche es vor allem eines: die entsprechende Grundhaltung. „Wenn diese stimmt, ist schon viel gewonnen.“ Weil das so ist, rät sie zudem dazu, „Offenheit und Bereitschaft für inklusiven Unterricht“ zur Einstellungsvoraussetzung zu machen, auch für freie Dozenten.

"Im Grunde bräuchte es flächendeckende Angebote"

In Rheinland-Pfalz richtete der Landesverband der Volkshochschulen mit Unterstützung der Landesregierung als Konsequenz aus Kubicas Bericht eine Service- und Beratungsstelle „Inklusion in der Weiterbildung“ ein. Von dieser Stelle im Weiterbildungszentrum Ingelheim aus unterstützt Thomas Landini Einrichtungen dabei, sich inklusiv(er) aufzustellen; etwa durch die Vermittlung von Referentinnen und Referenten mit und ohne Beeinträchtigungen. Auch inklusives didaktisches Material ist in der Erprobung und soll anschließend unter Dozentinnen und Dozentender Weiterbildung verbreitet werden. Landini sagt: „Im Grunde bräuchte es flächendeckend solche Angebote – meines Wissens bin ich allerdings bundesweit der einzige, der aus Landesmitteln finanziert eine solche Anlaufstelle bietet.“ Und selbst seine Beratungsstelle ist zunächst nur befristet eingerichtet. Ebenfalls vorankommen könnte das Feld, wenn die Ergebnisse eines von der Bremer Professorin Marianne Hirschberg durchgeführten Projekts vorliegen. Seit August erhebt sie mithilfe eines Onlinefragebogens bundesweit, wie VHS-Dozentinnen und -Dozenten die inklusive Praxis in ihrer Einrichtung erleben und welche Unterstützung sie sich wünschen; von Materialien bis zu Weiterbildung. Die Ergebnisse sollen – zusammen mit Erkenntnissen aus Gruppendiskussionen mit Kursleitenden der Alphabetisierung und des zweiten Bildungswegs – die Grundlage bilden für die Entwicklung und Erprobung eines Fortbildungsmoduls für inklusive Erwachsenenbildung.

Der Text stammt aus dem Magazin „Menschen, Inklusiv leben“ Ausgabe 2/2019 zum Thema „Lebenslang lernen“. Das Fachmagazin kann man kostenfrei unter www.aktion-mensch.de/magazin bestellen. Weitere Informationen bietet das Fachportal https://www.aktion-mensch.de/inklusion.

Jeanette Goddar

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