zum Hauptinhalt
Die Daten immer im Blick: Viele Menschen wollen wissen, wie viel sie trainiert haben und wie fit sie sind. Das Angebot an passenden Geräten ist groß. Sie messen, wie lange man gelaufen ist, wie viele Kalorien man verbraucht, aber auch wie schnell das Herz schlägt oder wie lange man geschlafen hat. Das Problem: Wie sicher sind die Daten?

© Getty Images

Wearables: Die Selbstvermessung

Fitnesstracker und Gesundheits-Apps boomen. Doch was bringen die Geräte wirklich?

Wer in die Zentrale von Fitbit möchte, muss ausgerechnet das tun, was die Fans des Unternehmens eigentlich strikt vermeiden wollen: Er muss den Aufzug nehmen. Denn über Treppen sind die Büros im dritten Stock des modernen Bürogebäudes in der Howard Street in San Francisco nicht zu erreichen. Aus Sicherheitsgründen. Woody Scal, Vertriebschef und Vorstandsmitglied bei Fitbit, muss über dieses Paradox selbst ein bisschen lachen, er komme aber trotzdem täglich auf seine rund 10 000 Schritte, erzählt er, 4500 Schritte habe er bis zu diesem Mittag bereits geschafft. Das US-Unternehmen gehört weltweit mit zu den größten Herstellern sogenannter Wearables und Fitnesstracker. Die Armbänder, die Schritte zählen, den Kalorienverbrauch, die Schlafdauer, und die teilweise auch die Herzfrequenz aufzeichnen können, erleben einen enormen Boom.

Jeder dritte Deutsche nutzt Gesundheitstracker

Auch auf der Ifa werden viele neue Fitnessarmbänder und Smartwatches gezeigt. Samsung bewarb in einer pompösen Abendveranstaltung die wasserbeständige neue Uhr Gear Sport als persönlichen Fitness-Coach am Armgelenk und kündigte Partnerschaften mit dem Schwimmausrüster Speedo, dem Musik-Streamingdienst Spotify und dem Adidas-Rivalen Under Armour an. Der IT-Verband Bitkom prognostiziert, dass allein der Absatz von Computeruhren in der Bundesrepublik im laufenden Jahr um rund 27 Prozent auf 1,26 Millionen Exemplare anzieht. Etwa jeder dritte Deutsche nutze solche Tracker und Apps, um seine Gesundheitsdaten aufzuzeichnen. Die digitale Selbstvermessung ist ein Massenmarkt geworden – mit großen Chancen, aber auch vielen Risiken.

Zu Woody Scals Job gehört es selbstverständlich, auf die positiven Seiten hinzuweisen. „Wir wollen die Nutzer dabei unterstützen, sich mehr zu bewegen, sie dazu motivieren, gesünder zu leben“, erklärt er. Dabei seien die Tracker keineswegs nur für solche Leute gedacht, die ohnehin schon einen gesunden Lebensstil hätten, sondern auch für diejenigen, die bisher eher Bewegungsmuffel gewesen seien. Aber helfen die Tracker tatsächlich dabei, fitter zu werden?

Studie: Nutzer von Fitnessarmbändern nehmen nicht ab

Dazu gibt es unterschiedliche Studien. Nach einer im Fachjournal „Jama“ veröffentlichten Studie nimmt man mit den Armbändern nicht zwingend ab. Fast 500 junge Übergewichtige hatten für die Untersuchung eine Langzeitdiät und bekamen dazu Sportempfehlungen. Nach sechs Monaten erhielt die Hälfte von ihnen noch Fitnessarmbänder, die für einen zusätzlichen Bewegungsanreiz sorgen sollten. Im Ergebnis speckte die Armband-Gruppe jedoch 3,5 Kilogramm weniger ab als die Vergleichsgruppe. John Jakicic, Hauptautor der Studie, hat dafür zwei mögliche Erklärungen: „Es könnte sein, dass die Leute denken: Ich war jetzt so aktiv, also kann ich auch einen Cupcake essen.“ Andererseits sei ein solches Armband auch nicht für jeden motivierend – wer an Trainingszielen häufig scheitere, werde eher frustriert.

Nils B. Heyen, der das „Quantified Self“-Projekt am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) leitet, verweist zwar ebenfalls darauf, dass es bisher keine konkreten wissenschaftlichen Belege dafür gibt, welche Vorteile die Wearables für die Gesundheit bringen. Doch könnte mithilfe der Geräte „das Wissen über die eigene Gesundheit und den eigenen Körper gestärkt werden“. Darüber hinaus seien Fortschritte in Medizin und Wissenschaft möglich, wenn etwa die entsprechenden Daten zur Krankheitsdiagnose oder zur Individualisierung von Therapien sinnvoll genutzt werden können.

Die digitalen Selbstvermessungstechnologien wecken Begehrlichkeiten

Doch genau in diesen Chancen liegen auch die Risiken – denn die digitalen Selbstvermessungstechnologien wecken Begehrlichkeiten, schließlich können die erhobenen Daten viel preisgeben über die Gesundheit und Fitness der Nutzer, was wiederum für Institutionen wie Versicherungen, Arbeitgeber oder Banken interessant sein könnte. Im schlimmsten Fall könnten die Daten genutzt werden, um Nutzer zu diskriminieren oder zu stigmatisieren. Zumal der Big-Data-Berg an sensiblen Daten dank des boomenden Marktes der Tracker stetig weiter wächst.

Versicherungen wie die Generali bieten Kunden Rabatte bei der Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, die mit Wearables zeigen wollen, dass sie Wert auf einen gesunden Lebensstil legen. Krankenkassen unterstützen ihre Kunden finanziell beim Kauf der Fitnesstracker. Aetna, einer der größten Krankenversicherer der USA, zahlt seinen Mitarbeitern sogar einen Bonus von 500 Dollar, wenn sie beweisen, dass sie im Schnitt sieben Stunden pro Nacht schlafen.

Wird es weiterhin ein „Recht auf Unvernunft“ geben?

Bei der Schlafdauer und den erledigten Schritten pro Tag handelt es sich aber noch um vergleichsweise harmlose Daten. Was, wenn die Wearables künftig technisch so ausgereift sind, dass sie auch Auskunft über Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum geben können? Wird es dann weiterhin ein „Recht auf Unvernunft“ geben? Oder wird es keine Alternative dazu geben, sich selbst zum „gläsernen Patienten“ zu machen?

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff warnt vor den erheblichen datenschutzrechtlichen Risiken, die die Tracker und Gesundheits-Apps bergen. Selbst wenn personenbezogene Daten aus Apps anonymisiert würden, könnten die erfassten Körperdaten mit Daten kombiniert werden, die an anderer Stelle über die Nutzer frei verfügbar sind, und so zu einer Re-Identifizierung der Nutzer führen. Dadurch ließen sich umfassende Gesundheitsprofile einzelner Menschen erstellen und im Geschäftsverkehr, im Versicherungswesen oder in anderen Zusammenhängen ohne Wissen der Nutzer gegen diese verwenden. Nutzer müssten deshalb umfassend über die Erhebungs- und Verarbeitungszwecke sowie bestehende Risiken aufgeklärt werden und jederzeit Auskunft darüber erhalten können, welche Daten von ihnen gespeichert werden. Dazu müsse der Gesetzgeber durch regulatorische Vorgaben die Rechte der Verbraucher schützen.

Aber was ist mit den Chancen, die Digital Health bietet? Damit die Medizin von den neuen Selbstvermessungstechnologien profitieren kann, müssten auch die Ärzte in ihrer Datenkompetenz gestärkt werden, betont Nils Heyen vom Fraunhofer ISI. Auch müssten sie sich auf einen neuen Patiententypus einstellen, der durch seine Selbstvermessung eine hohe Selbstexpertise und neue Daten mitbringt. Die Mediziner sollten ihren Patienten dabei helfen, die richtigen Schlüsse aus den erhobenen Daten zu ziehen. Zumal nicht alle Tracker bereits hinreichenden Qualitätsstandards entsprechen.

Die Recherchen wurden unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika

Zur Startseite