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Ein Arbeiter im indischen Jammu sortiert Plastikflaschen, bevor sie in einer industriellen Anlage am Stadtrand recycelt werden. Immerhin. Denn rund zwei Milliarden Menschen leben ohne ein Abfallsystem.

© dpa

Was passiert mit dem Plastikmüll?: Langlebig und äußerst weit verbreitet

Recycling ist in Deutschland beliebt, doch nur 30 Prozent des Plastikabfalls wird hierzulande wiederverwertet. Ein Großteil geht in den Export.

Das schlechte Gewissen meldet sich am Obststand: Darf man die Äpfel in die sogenannten Hemdchenbeutel packen? Oder fressen irgendwann Delfine die Tütenreste und krepieren jämmerlich. Könnte sein, ist aber nicht wahrscheinlich. Nur rund elf Prozent der Verpackungen hierzulande gehen auf das Verhalten der Endverbraucher zurück, der überwiegende Teil sind Transport- und Industrieverpackungen. Und die bleiben größtenteils im Lande. Die Kunststoffrückstände, die es auch im „deutschen“ Wasser gibt, müssen nicht unbedingt mit verrotteten Tüten und Trinkhalmen zusammenhängen.

Der Marktführer in Sachen Müll, Remondis aus dem westfälischen Lünen, weist auf eine andere Schadstoffursache hin: Autos und Lkw. Der Eintrag von Plastik in die Gewässer hierzulande entstehe überwiegend durch Reifenabrieb auf den Straßen.

Rückstände im Trinkwasser, Verschmutzung der Weltmeere und Beschleunigung des Klimawandels durch Methangas auf Mülldeponien – die Folgen des Abfalls sind immer wieder Thema. Nach Angaben des Bundesverbandes der Entsorgungswirtschaft (BDE) entstehen in der Bundesrepublik sechs Millionen Tonnen Verpackungsmüll im Jahr, rund ein Drittel davon landet im gelben Sack oder der gelben Tonne vor der Haustür, zwei Drittel entfallen auf die Industrie.

Von den zwei Millionen Tonnen der privaten Haushalte verbleiben „mehr als 99 Prozent“ in Deutschland, wie BDE- Sprecher Bernd Schodrowski sagt. Was genau damit passiert, weiß kein Mensch.

Der Plastikmüll der Verbraucher wird seit der Einführung des grünen Punktes vor fast 30 Jahren von privaten Unternehmen gesammelt, sortiert und verwertet, in Berlin zum Beispiel von Alba. Das ärgert die Kommunen schon lange, deshalb fordert der Deutsche Landkreistag, die Politik möge „die Verantwortung zumindest für die Sammlung dieser Wertstoffe den Kommunen übertragen“.

100.000 Tonnen Plastik nach Malaysia

Flankiert wurde diese Forderung gerade mit dem Hinweis auf Exporte: Allein nach Malaysia habe Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 100.000 Tonnen Plastikmüll verschifft. Da klingt der Vorwurf durch, dass die vom Verbraucher in die gelbe Tonne geworfene Shampoo-Flasche in Malaysia deponiert wird oder in Gewässern landet. Und die privaten Entsorgungsfirmen würden hierzulande eben nicht den Abfall wiederverwerten, sondern nach Übersee verschiffen.

„Zu den größten Quellen des Plastikmülls zählen Flüsse in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Mittel- und Südamerikas, in denen keine angemessenen Systeme zur Müllsammlung und Entsorgung entstehen", heißt es beim Landkreistag.

Zwei Milliarden leben ohne Abfallsystem

Nach Angaben der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) leben rund zwei Milliarden Menschen in Regionen ohne funktionierende Abfallsysteme. Der Müll wird schlicht vor die Tür geworfen, gerne in Gewässern entsorgt. Vermutlich auch der Müll aus den reichen Industriestaaten. Japan, die USA und Deutschland sind die größten Exporteure.

Nach Schätzungen des Landkreistags werden weltweit 14 Millionen Tonnen Kunststoffe in Drittländer geliefert – häufig nach Indonesien, Vietnam und Thailand, nachdem die Chinesen vor zwei Jahren ein Importverbot verhängten: China ist der größte Müllproduzent und bemüht sich um den Aufbau einer eigenständigen Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört das Kunststoff-Importverbot ebenso wie ein Deponieverbot – dass allerdings erst 2035 voll wirksam wirkt.

Materialien aus 18 Warengruppen werden von Deutschland nach Südostasien exportiert: Darunter Schnitzel von Polymeren des Ethylens sowie Schnitzel von Polymeren des Propylens; Bruch von Kunststoffen, Nylon und andere Polyamid-Spinnfasern. „Plastikabfälle sind wie Altpapier oder Metallschrotte Güter, die international gehandelt werden“, heißt es beim BDE. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im vergangenen Jahr von der Warengruppe „WA3915 Abfälle, Schnitzel und Bruch von Kunststoff“ 1,05 Millionen Tonnen aus Deutschland exportiert und 465.175 Tonnen importiert.

Exportverbot von 2021 an

Die Europäer wollen von 2021 an den Export von unsortierten und durchmischten Plastikmüll, der also nicht aufbereitet und wiederverwertet werden kann, verbieten. Ferner hat die EU ein Verbot von Einwegartikeln wie Strohhalmen, Geschirr und Wattestäbchen ebenfalls ab 2021 beschlossen. Die Bemühungen der europäischen Recyclingpolitiker werden jedoch die Weltmeere kaum sauberer machen: Der Anteil Europas an der Meeresvermüllung macht knapp zwei Prozent aus – sagt jedenfalls der Deutsche Landkreistag und plädiert trotzdem für ein sofortiges Exportverbot. „Der in Deutschland anfallende Müll ist auch hier zu verwerten.“

Das deutsche Verpackungsgesetz sieht vor, dass Kunststoffe von 2022 zu 90 Prozent zu verwerten sind. Da ist indes der Wunsch der Vater des Gesetzes: Häufig wird mit Verbundstoffen gearbeitet, sodass die Verpackung gar nicht für eine Wiederverwertung aufbereitet werden kann. Dazu wären Vorschriften für recyclinggerechte Kunststoffhüllen erforderlich sowie Mindestquoten für den Einsatz von Rezyclaten in Verpackungen.

Recyclingquote ist gering

Diskutiert wird darüber seit Jahren. Industrie und Handel werben grundsätzlich für freiwillige Selbstverpflichtungen und versuchen, strenge Vorgaben zu verhindern. Wo der Kunststoff bleibt, ist im Übrigen nicht wirklich klar: Nach Angaben aus dem „Plastikatlas 2019“ werden nur 16 Prozent des deutschen Kunststoffmülls aus privaten Haushalten wiederverwertet. Der Rest kommt in die Müllverbrennungsanlage oder wird doch ins Ausland verfrachtet. Zuzüglich der Mengen aus der Industrie beträgt „der Output von Recyclat insgesamt 1,88 Millionen Tonnen“, heißt es beim BDE. Das entspricht rund 30 Prozent der gesamten Kunststoffabfallmenge. Recycling ist abhängig von der Materialqualität. Das betrifft letztlich alle Abfälle: Aus reinen organischen Abfällen werden problemlos wieder Energie und Kompost, der Kreislauf wäre geschlossen. Ist er jedoch mit Kunststoff durchsetzt, verunreinigt das Plastik einerseits den Kompost, der aufwändig nachbehandelt werden muss. Und die Kunststoffreste werden auch nur schlecht oder gar nicht mehr stofflich recycelt werden können.

Kurzum: Am nachhaltigsten ist schlicht die Abfallvermeidung.

Die Bundesregierung bereitet gerade ein „Verbot des Inverkehrbringens von leichten Kunststofftragetaschen vor“. Der Landkreistag, der sich über die deutschen Kunststoffexporte echauffiert, präferiert eine freiwillige Selbstverpflichtung des Handels. Um die Hemdchenbeutel an der Obsttheke überflüssig zu machen, geht es auch gar nicht anders als mit freiwilliger Selbstverpflichtung oder freier Selbstbeschränkung der Verbraucher: Die Hemdchenbeutel sollen nicht verboten werden.

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