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Der Handel gehört zu den am stärksten betroffenen Branchen der Coronakrise - und verspricht sich viel von der Senkung der Mehrwertsteuer.

© Marius Becker/dpa

Mehrwertsteuer sinkt, Kauflaune steigt?: Wo in den nächsten Monaten die Preise fallen – und wo nicht

Der Staat senkt die Mehrwertsteuer auf 16 Prozent, verzichtet bis Ende des Jahres auf 20 Milliarden Euro. Wer von der Steuersenkung profitiert, ist noch nicht eindeutig.

Die Industrie gibt sich zufrieden, der Einzelhandel auch, aber die Ökonomen sind sich nicht einig in der Beurteilung: Sind die 20 Milliarden Euro, die den Staat die sechsmonatige Senkung der Mehrwertsteuer kostet, ein Impuls für die Binnenwirtschaft oder doch nur ein „Strohfeuer“, wie der Wirtschaftsweise Volker Wieland meint. 

Da flackert es hell und und kräftig auf, doch der Schein trügt und der Effekt verpufft. Michael Hüther dagegen, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) findet die Steuersenkung gut. Wenn „sichergestellt wird, dass die Steuerreduktion auch wirklich von den Herstellern an die Konsumenten weitergegeben wird“. Aber wie lässt sich das sicherstellen?

Der Liter Milch werde jetzt nicht günstiger, weil der Mehrwertsteuersatz für ein halbes Jahr von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von sieben auf fünf Prozent fällt, meint Sebastian Dullien, Chef des Instituts für Makroökonomie (IMK). Die Steuersenkung werde „nur zu einem begrenzten Teil an die Verbraucher weitergegeben werden“ und dürfte deshalb auch keinen großen Nachfrageeffekt entfalten. 

Dullien verweist auf Erfahrungen in Großbritannien, wo nach der Finanzkrise 2008/09 die Mehrwertsteuer für 13 Monate um 2,5 Prozent gesenkt worden war. Der Einzelhandel habe damals etwas höhere Umsätze gehabt, doch alles in allen hätte die Maßnahme nicht viel gebracht für die britische Konjunktur.

Der Handel verspricht sinkende Preise

„Die Steuersenkung verbessert die Ertragslage der Unternehmen, und zwar unabhängig davon, ob die Unternehmen von der Krise betroffen sind (etwa stationärer Einzelhandel) oder ohnehin Krisengewinner sind (etwa Online-Einzelhandel)“, kritisiert Dullien die deutsche Regierung. 

Der Handel aber freut sich über das Konjunkturpaket und erhofft sich einen Großteil der 27 Milliarden Euro, die durch die Senkung der Mehrwertsteuer, den Kinderbonus und die Deckelung der EEG-Umlage für zusätzlichen Konsum bereitstehen. Theoretisch. 

Stefan Genth vom Einzelhandelsverband HDE glaubt an eine „tendenziell preissenkende“ Wirkung der geringeren Mehrwertsteuer und deckelt gleichzeitig die Erwartungen. „Entsprechende Auswirkungen werden aber nicht zwangsläufig auf Einzelproduktebene zu beobachten sein, Art und Umfang entsprechender Effekte ergeben sich als Ergebnis von Marktprozessen.“ Soll heißen: Ob und wie stark die Steuersenkung weitergegeben wird, weiß kein Mensch.

Rabatte beim Autokauf

Die Autoindustrie verspricht dagegen deutlich sinkende Preise. Die deutschen Hersteller sagen zu, „dass die Anreizwirkung dieser Maßnahme bei den Endkunden gestärkt wird“, teilte der Autoverband mit. 

Die Autoindustrie verspricht deutlich sinkende Preise.
Die Autoindustrie verspricht deutlich sinkende Preise.

© Jan Woitas/dpa

Die Prozente der Mehrwertsteuer würden „in vollem Umfang den Kunden zu Gute kommen“. Und nicht nur das. Die Unternehmen prüften, „wie die Wirkung der Absenkung der Mehrwertsteuer weiter verstärkt werden kann, um den Absatz moderner Fahrzeuge zu beschleunigen“. Das ist etwas verklausuliert die Ankündigung von Rabatten, die Hersteller und Handel dem Autokäufer in den nächsten Monaten gewähren werden. Die sind auch nötig, denn mit einer dreiprozentige Mehrwertsteuersenkung werden sich die 400 000 Neuwagen auf Halde nicht verkauft werden

Die Industrie ist zufrieden

Der Bundesverband der Deutschen Industrie lobt überraschend deutlich das Konjunkturpaket und die befristete Steuersenkung. „Die Stützung der privaten Konsumausgaben und der Liquidität von Unternehmen mit jeweils gut einem Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung noch in diesem Jahr wird die Rezession deutlich abmildern“, glaubt Industriepräsident Dieter Kempf. 

Und selbst die Maschinenbauer, traditionell eher regierungskritisch und mit gut einer Million Mitarbeiter eine der größten Industriebranchen hierzulande, lobt das Paket der Koalition. „Es enthält viele gute Ansätze, etwa die Absenkung der Mehrwertsteuer, die eine breit angelegte Konsumförderung erreichen kann.“ Das glaubt auch das Handwerk und hofft auf eine Ende des „Verbraucherattentismus“. Doch können drei Prozent Mehrwertsteuer tatsächlich die Kauflaune heben? Gleicht die Steuersenkung das geringere Einkommen (Kurzarbeit) und die Angst um den Arbeitsplatz und vor einer zweiten Coronawelle auf?

Die Wissenschaft kommt zu unterschiedlichen Einschätzungen. „Die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer ist ein mutiger Versuch den Konsum zu stützen, auch wenn nicht klar ist, ob und wie viel dieser Senkung an die Konsumenten weitergegeben wird“, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. 

DIW-Präsident Marcel Fratzscher begrüßt die Senkung der Mehrwertsteuer als mutigen Schritt.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher begrüßt die Senkung der Mehrwertsteuer als mutigen Schritt.

© dpa

„Die Senkung der Mehrwertsteuer beruht auf der problematischen Annahme, dass es in Deutschland für die Erholungsphase an Massenkaufkraft mangele“, meint dagegen Gabriel Felbermayr vom Institut für Weltwirtschaft. Werde der Preisvorteil nicht an die Konsumenten weitergegeben, stütze das zwar die Unternehmen. „ Allerdings ist nicht gewährleistet, dass es gerade diejenigen sind, die unter der Corona-Pandemie am stärksten gelitten haben“, sagt Felbermayr.

Berlin will nachlegen

An diesem Punkt setzt Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) an. Besonders betroffene Branchen wie Gastronomen, Hotels, Clubs und Veranstalter litten unter Einbußen, die nicht über die Steuersenkung ausgeglichen werden könnten. „Wir prüfen daher in Berlin eine Stärkung der lokalen Nachfrage, um diese Berliner Schlüsselbranchen da zu stützen, wo der Bund zu kurz greift.“ 

Nach dem Konjunkturpaket ist vor dem Konjunkturpaket. Nicht nur in Berlin. „Es ist zu befürchten, dass dies nicht das letzte Konjunkturprogramm gewesen sein könnte, denn wir können nicht von einer schnellen Erholung ausgehen“, meint Fratzscher.

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