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An den Börsen steigt die Nervosität.

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Warum die Aktien sinken: Angst vor Stagflation

Weltweit sinken die Aktienkurse, die Inflation steigt und die Notenbanken werden nervös. Was hat sich plötzlich verändert? Und was bedeutet "Stagflation"?

Von Andreas Oswald

Ein Gespenst geht um, nicht nur in Europa. Es ist das Gespenst der Stagflation. Stagflation – das bedeutet stagnierendes Wachstum und steigende Inflation.

„Es ist nicht wie in den 70er Jahren, aber es ist eine neue Stagflation“, sagte Chef-Investmentstrategin Seema Sha von Principal Global Investors der „Financial Times“, die das Thema Stagflation am Freitag aufbrachte.

Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es den Ölschock, der eine Inflationsspirale einleitete und das Wachstum erstickte. Damals wurde der Begriff „Stagflation“ geprägt. Die Inflation wurde in vielen Ländern zweistellig, die Leitzinsen mussten deutlich angehoben werden, die Arbeitslosigkeit stieg, der Konsum sank.

In dieser Woche stieg der Ölpreis auf über 80 Dollar. Und die großen Notenbanken der Welt schicken sich an, die Leitzinsen früher zu erhöhen, als das bisher erwartet wurde. Das würde das Wachstum gefährden.

Wiederholt sich die Geschichte? Hoffentlich nicht als Farce.

Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst des Brokers CMC Markets, bläst ins gleiche Horn. Er erklärte am Freitag in einer Mitteilung an Investoren: „Fundamental hat sich das positive Börsenbild in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert. Der geldpolitische Geleitschutz der Börsen durch die Notenbanken könnte zeitnah wegfallen, während die Wachstumsfantasie nach der Krise im Keim der weltweiten Störung der Lieferketten und Rohstoffknappheit zu ersticken droht.“

Was genau hat sich in den letzten Tagen plötzlich geändert?

Die Aktienmärkte sind seit Mitte August von ihrem Allzeithoch kontinuierlich gefallen. Zwar gab es immer wieder Zwischenerholungen, aber seit fünf Tagen ging es immer nur nach unten. Das gilt für alle maßgeblichen Aktienindizes der Welt. Der Dax fiel am Freitag unter die Marke von 15.000 Punkten, bevor er sich wieder leicht erholte.

Über allem schwebt die Fed. Ein Trader an der Wall Street verfolgt am Bildschirm ein Statement von Fed-Chef Jay Powell.
Über allem schwebt die Fed. Ein Trader an der Wall Street verfolgt am Bildschirm ein Statement von Fed-Chef Jay Powell.

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Etwas Bedrohliches kommt hinzu. Normalerweise steigen die Kurse von Staatsanleihen, wenn die Aktien fallen. Deshalb haben viele Anleger Staatsanleihen im Depot, um sich abzusichern, wenn die Aktien fallen. Nicht so in den vergangenen Tagen. Auch die Kurse der Staatsanleihen fielen – parallel zu den Aktien.

(Anleger sollten nicht auf Einzelaktien setzen, sondern auf den großen Aktienmarkt mit ETFs, sagt eine Studie. Lesen Sie hier.)

Das ist bitter für Anleger, die bewusst ihr Vermögen auf Aktien und Staatsanleihen verteilt haben, wie das seit Jahrzehnten immer wieder empfohlen wurde. Der Schutz vor fallenden Aktien fällt weg, das ganze Portfolio aus Aktien und Staatsanleihen fällt synchron.

Eine große Bedrohung für Aktienkurse und die Kurse von Staatsanleihen sind die Notenbanken. Nachdem sie über zehn Jahre lang die Zinsen auf Rekordtiefs gehalten haben und mit frisch gedrucktem Geld jeden Monat Anleihen und andere Wertpapiere aufkauften und so Geld in den Markt pumpten, sind jetzt plötzlich andere Töne zu vernehmen.

Es fing mit Andeutungen an und plötzlich wurde es deutlich. Am Mittwoch trafen sich Jay Powell, Chef der Fed, Christine Lagarde, EZB-Chefin, Andrew Bailey, Chef der Bank of England und Haruhiko Kuroda, Chef der japanischen Notenbank.

Die Fed und die EZB ändern ihre Meinung

Sie alle hatten noch vor kurzem immer wieder beteuert, dass die steigende Inflation nur vorübergehend sein werde, weshalb sie an ihrer lockeren Geldpolitik festhalten wollten. Am Mittwoch klang das plötzlich anders.

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Jay Powell sagte, es sei „frustrierend“, dass Lieferengpässe die wirtschaftliche Erholung in den USA zurückhielten und den Preisdruck erhöhten. Und dann gab er einen Irrtum zu. „Was nicht gesehen wurde, waren die Einschränkungen auf der Angebotsseite, das war eine Überraschung.“ Und weiter: „Es ist nicht so, dass unsere Inflationsmodelle falsch sind, obgleich sie sicher nicht perfekt sind, aber das Ausmaß und das Andauern der Einschränkungen auf der Angebotsseite wurden nicht erkannt.“

Das ist eine klare Abkehr von den Beteuerungen, der Inflationsdruck sei nur vorübergehend.

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EZB-Chefin Christine Lagarde und die anderen Notenbankchefs pflichteten Powell bei. Die Lieferengpässe „scheinen sich in einigen Bereichen zu verschärfen“, sagte Lagarde.

Der erste Schritt

Powell ist entschlossen. Er sagte, die Fed stehe bereit zu handeln im Falle, dass die Inflation „substanzieller“ sei, als vorhergesehen und bekräftigte, dass die Zentralbank „nahe daran sei“, die Anleihekaufprogramme in Höhe von 120 Milliarden Dollar pro Monat zurückzufahren.

Das wäre der erste Schritt, bevor als nächstes die Leitzinsen erhöht werden.

Höhere Leitzinsen sind Gift für Aktienkurse und Gift für die Kurse von Staatsanleihen. Das scheinen die Anleger in dieser Woche verstanden zu haben.

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