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Coronakonform. Kundgebungen sind in der Pandemie kaum möglich, also ruft die IG Metall ihre Mitglieder zu Protestfahrten mit roten Fähnchen auf.

© dpa

Warnstreiks in der Metallindustrie: Flagge zeigen

Die Tarifverhandlungen für fast vier Millionen Metaller kommen in die entscheidende Phase. IG Metall will Geld und sichere Arbeitsplätze.

Ohne Radau geht es nicht. Am Sonntag endete die so genannte Friedenspflicht, von Montag an darf die IG Metall ihre Mitglieder zu Warnstreiks aufrufen. Das wird sie ausgiebig tun in den kommenden Wochen, um die Arbeitgeber zu ärgern und deren Kompromissbereitschaft zu fördern. Die Arbeitgeber wiederum sind gespannt, wie viele Leute die IG Metall unter Coronabedingungen auf die Straße bekommt. In der zweiten Märzhälfte legt man sich dann die Karten: Gibt es vor Osten einen Tarifabschluss, oder spitzt sich der Konflikt im  April zu, weil sich die Kombattanten verrannt haben.

"Wir müssen Ostern durch sein"

„Wir müssen zwingend vor Ostern zu einem Abschluss kommen“, sagt Angelique Renkhoff-Mücke, Verhandlungsführerin der bayerischen Arbeitgeber. „Vieles ist in der Pandemie extrem schwer vorauszusehen. Auch deshalb sollten wir so schnell wie möglich einen Tarifabschluss erreichen, um zumindest an dieser Stelle Klarheit und Sicherheit zu bekommen“, sagte Renkhoff-Mücke dem Tagesspiegel. Am vergangenen Freitag traf sie sich zum vierten Mal mit ihrem Tarifpartner zu Verhandlungen. Es war nicht mehr als ein Kaffeekränzchen. Beide Seiten sind noch nicht reif für einen Kompromiss.

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In der größten Tarifauseinandersetzung in diesem Jahr geht es nicht nur um Geld für fast vier Millionen Metaller, sondern auch um Beschäftigungssicherung und Zukunftsgestaltung. Die IG Metall fordert ein Entgelt-Volumen von vier Prozent, das zur Stabilisierung der Einkommen, aber auch zur Sicherung von Beschäftigung eingesetzt werden könnte, indem es bei einer Arbeitszeitverkürzung (Vier-Tage-Woche) einen Teillohnausgleich gibt. Außerdem möchte die Gewerkschaft einen tariflichen Rahmen für betriebliche Zukunftstarifverträge schaffen. Die IG Metall ist vor allem eine Autogewerkschaft, und der Wandel in der Branche macht ihr ebenso zu schaffen wie den Unternehmen selbst. Vor allem bei den mittelständischen Zulieferern vermisst die IG Metall zukunftsfähige Alternativen zur Verbrennertechnologie, ganz zu Schweigen von Personalentwicklungs- und Qualifizierungskonzepten.

Arbeitgeber wollen Entlastung

An diesem Punkt sind die Arbeitgeber bereit, tarifliche Regeln zu vereinbaren, „die Betrieben passgenaue Gestaltungsmöglichkeiten zur Begleitung von Strukturwandel und Transformation eröffnen“. Aber nur, wenn die Unternehmen – und das sind nach dem Verständnis der Arbeitgeber die Arbeitgeber – das auch wollen. Auf diese Einseitigkeit und fehlende Verbindlichkeit will sich die IG Metall nicht einlassen.

Angelique Renkhoff-Mücke, Vorstandsvorsitzende von Warema, führt auf Seiten der bayerischen Arbeitgeber die Tarifverhandlungen.
Angelique Renkhoff-Mücke, Vorstandsvorsitzende von Warema, führt auf Seiten der bayerischen Arbeitgeber die Tarifverhandlungen.

© picture alliance / SZ Photo

Das normale Muster einer Tarifauseinandersetzung mit gewerkschaftlicher Forderung, Verhandlung und Kompromiss, wird in diesem Jahr ergänzt um den Anspruch der Arbeitgeber, eine Kostenentlastung zu erreichen. Die Pandemie macht es möglich. Renkhoff-Mückes Verhandlungspartner in Bayern spricht von „Angriffen auf Tarifstandards“. Die „Gegenforderung nach automatischen Abweichungen vom Tarifvertrag“ lehnt die Gewerkschaft ebenso ab wie „ unbestimmte Optionsmechanismen zu Zukunfts-Tarifverträgen und Beschäftigungssicherung“. Außerdem versuchten die Arbeitgeber Teile des Weihnachts- und Urlaubsgeldes aus den Tarifverträgen herauszulösen, behauptet die Arbeitnehmerseite.

Wunsch nach Differenzierung

An dieser Stelle wird es gefährlich für die Arbeitgeber, denn wenn sie den Leuten in die Tasche greifen wollen, forciert das die Konfliktbereitschaft. Sie sei „besonders enttäuscht“, sagt Renkhoff-Mücke, dass die Gewerkschaft die automatische Differenzierung mit einer pauschalen Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld gleichsetze. Das habe sie nie gefordert. „Die wirtschaftliche Situation der Betriebe ist noch viel differenzierter als in normalen Jahren“, begründet Renkhoff-Mücke die Forderung nach Differenzierung. „Wir möchten uns mit der IG Metall auf klare Kriterien verständigen, nach denen eine Abweichung von Tariferhöhungen zum Zwecke der Kostenentlastung im Betrieb möglich ist.“

Das ist gegenwärtig auch schon gestattet – sofern die IG Metall zustimmt. Die Arbeitgeber nervt das, weshalb der Wunsch nach einem Automatismus auf dem Verhandlungstisch gelandet ist: Wenn bestimmte Kriterien zutreffen, etwa eine mickrige Umsatzrendite oder ein Auftragseinbruch, dann können die Betriebe vom Tarif abweichen und ihren Leuten weniger zahlen, ohne vorher die IG Metall fragen zu müssen.

Der letzte Abschluss war vor drei Jahren

Natürlich geht es neben solchen Machtfragen vor allem ums Geld. Der letzte richtige Tarifabschluss liegt drei Jahre zurück, damals setzte die IG Metall 4,3 Prozent durch. Das ist eine Größenordnung, von der in der Pandemie nur geträumt werden kann. Die Arbeitgeber haben eine Einmalzahlung Anfang 2022 und eine Erhöhung der Entgelttabellen für das zweite Halbjahr 2022 angeboten. So billig werden sie nicht aus der Nummer rauskommen. Einen Hinweis, wie die Struktur eines Kompromisses aussehen könnte, gibt die IG Metall selbst mit dem kürzlich erzielten Abschluss für die westdeutsche Textilindustrie. In diesem Jahr erhalten die knapp 100 000 Beschäftigten eine steuer- und abgabenfreie Coronaprämie von 325 Euro. Ab Februar 2022 steigen dann die Löhne und Gehälter um 1,3 Prozent und im Oktober 2022 um weitere 1,4 Prozent. „Wir brauchen einen Tarifabschluss der Augenmaß und Optimismus verbindet“, sagt Arndt Kirchhoff, Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Arndt Kirchhoff. Und den gibt es nicht umsonst.

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