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Nur wer wächst, kann auch innovativ sein.

© Jens Kalaene/zb/dpa

Wachstum und Klimaschutz: „Ein CO2-neutrales Leben ist nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst“

Sollte die durch Corona entschleunigte Wirtschaft Blaupause für den Klimawandel sein? Nein, findet Ökonom Jan Schnellenbach - und erklärt, warum.

Herr Schnellenbach, die Coronakrise hat unser Leben und auch die Wirtschaft entschleunigt. Immer wieder werden Stimmen laut, die sagen, dass sei auch ganz gut so; das "immer höher und weiter" sei vorbei. Warum sollte eine Volkswirtschaft dennoch wachsen?
Das kann man zunächst ganz individuell aus Sicht der Konsumenten beantworten. Langfristig gesehen sind unsere Bedürfnisse wohl nie komplett erfüllt. Trotz allem Wohlstand haben wir ja noch immer Visionen, Wünsche und Vorstellungen, wie unser Leben noch angenehmer werden könnte. Und dafür ist Wachstum eine Voraussetzung.

Wie ist es möglich, dass eine Wirtschaft angesichts begrenzter Ressourcen immer weiter wächst?
Ökonomisch betrachtet ist das ganz einfach. Sie können Wachstum erstens erreichen, indem Sie mehr Ressourcen einsetzen. Bis zur industriellen Revolution war das er wichtigste Weg, um zu wachsen. Man setzte mehr Arbeitskraft ein, erhöhte damit aber über eine sehr lange Zeit das Pro-Kopf-Einkommen nur wenig. Danach hat aber ein enormer technischer Fortschritt eingesetzt, der Wachstum durch Produktivitätsfortschritte ermöglichte und auch die Konsummöglichkeiten der Menschen um ein Vielfaches erhöhte.

Produktivität ist also das Schlüsselwort.
Genau. Der technische Fortschritt lässt Arbeit und Kapital produktiver werden. Nur so schaffen wir es, um ein vielfaches höhere Einkommen zu erzielen, als es durch höheren Einsatz von Ressourcen möglich wäre. Diese werden mit technischem Fortschritt teils frei für andere, neue Aufgaben, was wiederum Wachstum generiert. Und dieser Weg ist ja noch nicht abgeschlossen. Auch heute können die Ressourcen noch produktiver genutzt werden. Wenn Sie das Pro-Kopf-Einkommen wachsen lassen wollen, dann ist technischer Fortschritt der einzige Weg, das zu erreichen.

Doch genau an diesen Fortschritt glauben Umwelt-Aktivisten nicht und fordern stattdessen Verzicht. Was würde das konkret bedeuten?
Das hätte Auswirkungen im Portemonnaie jedes Bürgers, würde aber auch unser staatliches Gemeinwesen betreffen. Wenn wir über längere Zeit eine schrumpfende Volkswirtschaft hätten, wäre es beispielsweise schwierig, all die Versprechen zu erfüllen, die unser Sozialsystem für die Zukunft bereits gegeben hat. Rentenansprüche, Krankenversorgung - das alles setzt vor allem bei der aktuellen demographischen Entwicklung voraus, dass wir produktiver werden und auch wachsen, damit die laufenden Einkommen nicht zu stark mit Steuern und Abgaben belastet werden müssen, um die sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren. Und wenn nicht die Marktteilnehmer damit rechnen würden, dass das Wachstum wieder anspringt, dann würde dem Staat auch aktuell niemand zu vertretbaren Konditionen das Geld leihen, das er braucht, um die Corona-Krise abzumildern.

Hier würden Aktivisten einwenden: Der Klimawandel könnte noch viel mehr Menschenleben kosten.
Die Frage ist ja auch nicht, ob, sondern wie er zu bekämpfen ist. Und die Fraktion der Technikoptimisten würde sagen: Mit Wachstum. Denn nur so können Innovationen entwickelt werden, die uns ein CO2-neutrales Leben ermöglichen, ohne dass die Lebensqualität darunter leidet. Aktuell haben wir die technischen Möglichkeiten schlicht noch nicht.

Und die Coronakrise hat gezeigt, dass auch ein weltweiter Shutdown die CO2-Bilanz nicht ausreichend verbessert.
Ja, die Krise zeigt, wie extrem der Weg über Verzicht sein müsste. Nämlich noch sehr viel schärfere als wir es in den vergangenen Monaten gespürt haben. Und ich denke, die Leute leiden jetzt schon darunter. Der Weg des Schrumpfens ist aus meiner Sicht deshalb auch politisch nicht durchsetzbar. Dafür bräuchte schon einen kompletten Systemwechsel, der uns alle wesentlich ärmer machen würde.

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Damit meinen Sie: Mehr Staat, weniger Privatwirtschaft, oder?
Ja, einige Degrowth-Aktivisten träumen sicherlich von einer Kommando-Wirtschaft, bei der der Staat zum Unternehmer wird oder wenigstens den privaten Unternehmen vorschreibt, wie sie wirtschaften sollen.

Die Journalistin Ulrike Hermann fordert, man solle sich die Kriegswirtschaft Großbritanniens im Zweiten Weltkrieg zum Vorbild nehmen, bei dem der Staat angeordnet hat, was die privaten Unternehmen produzieren.
Genau. Aber wirtschaftshistorisch betrachtet waren das sehr gravierende Einschnitte in den Wohlstand der privaten Haushalte; das würde ich niemandem zumuten wollen. Das Konsumniveau litt immens, weil ein Großteil der Ressourcen nichtmehr für privaten Konsum oder zivile Investitionen zur Verfügung stand, sondern ins Militär floss. Diesmal wäre der Unterschied, dass Produktionspotential bewusst ungenutzt bliebe, anstatt ins Militär gelenkt zu werden. Dabei werden derlei Pläne aber immer in einer seltsam idyllischen Art weichgezeichnet. Man sieht uns dann alle in der Landwirtschaft auf dem Feld Handarbeit leisten und die Zeit wird zurückgedreht. Ich halte technischen Fortschritt da für den sehr viel besseren und realistischeren Weg, unsere ökologischen Probleme zu lösen.

Allerdings hat der bisherige Weg tatsächlich nicht zu einer ausreichenden Senkung des CO2-Ausstoßes geführt.
Der Punkt ist, dass bei der Bepreisung von CO2 eine Kostenwahrheit entstehen muss. Dass also der gesellschaftliche Preis des CO2-Ausstoßes im Preis des Konsums berücksichtigt ist. Man kann das über den Emissionshandel machen oder über eine CO2-Steuer. Das sorgt auf der Konsumentenseite dafür, dass die Einkäufe entsprechend angepasst werden. Und es sorgt auf der Produzentenseite für starke Innovationsanreize. Wenn wir eine glaubwürdige politische Ankündigung hätten, dass der CO2-Preis stetig und nicht zu langsam ansteigen wird, wäre das ein massiver Anreiz, in solche Technologien zu investieren. Dann käme der Fortschritt im Bereich CO2-sparender Technologien auch recht schnell, ohne noch große, spezialisierte Förderprogramme für Unternehmen aufzulegen.

Und geschieht das mit dem Klimapaket der Bundesregierung?
Es ist ein brauchbarer Einstieg, aber der CO2-Preis ist in der Tat zu niedrig. Und man hätte für die nächsten fünf bis zehn Jahre einen schärferen Zielkorridor für steigende CO2-Preise oder stärker sinkende CO2-Mengen im Emissionshandel verbindlich ankündigen sollen. Da war man noch zu vorsichtig.

Zurück zum Wachstum und einem anderen Paket der Bundesregierung; dem Konjunkturpaket. Wird die Mehrwertsteuersenkung das Wachstum wieder ankurbeln?
Ich habe Zweifel, dass es zielgerichtet genug ist. Die Mehrwertsteuersenkung ist sehr teuer, aber der konjunkturelle Effekt wird nicht so groß. Denn die Konsumstimmung ist noch immer eher schwach aufgrund der Einkommensunsicherheit und auch, weil das Konsumieren mit Maske und medizinischer Restunsicherheit noch nicht so viel Spaß macht. Da helfen ein paar Prozentpunkte vermutlich nicht viel.

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Was hätten Sie anders gemacht?
Zunächst einmal sind wir Ökonomen alle froh, dass keine Abwrackprämie im Programm ist. Aber ich glaube, dass in einer Situation wie derzeit ein nachfrageorientiertes Konjunkturpaket nur begrenzte Wirkung hat. Am Ende müssen die Bedingungen für die Angebotsseite verbessert werden, um Unternehmensinvestitionen in Deutschland anzukurbeln - das würde auch dem langfristigen Wachstum helfen. Man hätte kurzfristig mehr auf der Steuerseite tun können. Etwa bei der Einkommenssteuer oder mit der kompletten Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Man hätte auch Unternehmen stützen können, indem man den Verlustrücktrag noch mehr hätte ausbauen können.

Aber wie sieht es langfristig mit dem Wachstum in Deutschland aus?
Wir können davon ausgehen, dass wir im zweiten Halbjahr in eine Erholung sehen werden. Die seriösen Prognosen gehen davon aus, dass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit und falls pandemisch nichts mehr schiefgeht bis Ende 2021 wieder auf dem Vorkrisenniveau sein werden. Corona wird eine starke Delle sein, dennoch werden wir mittelfristig auf wieder auf einen normalen Wachstumspfad zurückkehren. Das bedeutet für eine entwickelte, reiche Volkswirtschaft wie Deutschland aber auch, dass wir eher gemächlich als mit spektakulär hohen Raten weiter wachsen werden und die Bedingungen für Innovation und technischen Fortschritt pflegen müssen.

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Hat sich das Konsumverhalten durch Corona geändert?
Ich glaube nicht nachhaltig. Wenn die Pandemie irgendwann wieder ausgestanden ist und die Leute auch ohne Maske einkaufen können, werden wir relativ schnell sehen, dass die Welt wieder die gleiche ist, die sie vor der Krise war. Die Bedürfnisse der Menschen haben sich nicht geändert.

Also ist die Krise keine Blaupause für einen nachhaltigen Konsum?
Ich finde die Behauptung sehr problematisch, dass die Coronakrise ein Muster sein könnte, das wir anwenden könnten, um die Klimakrise zu lösen. Die Menschen dazu zu bewegen, weniger zu konsumieren, wäre nur mit Zwang erreichbar, freiwillig werden sie es nicht tun. Vielmehr sollte uns die aktuelle Krise vor Augen führen, dass wir Wachstum und Wohlstand brauchen.

Inwiefern?
Eine schrumpfende Volkswirtschaft würde uns nicht nur ärmer machen, sondern wir hätten auch weniger Mittel, um solche völlig überraschenden Krisen wie die aktuelle zu bewältigen. Die technischen und medizinischen Mittel und auch die Einkommen, die uns für solche Krisen robust machen, fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis langfristigen Wirtschaftswachstums. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn eine Pandemie uns nach ein paar Jahrzehnten Degrowth erwischt.

Jan Schnellenbach (47) ist seit 2014 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgisch Technischen Universität (BTU). Zuvor war er Geschäftsführender Forschungsreferent am Walter Eucken Institut in Freiburg. Seine Schwerpunkte sind Mikroökonomik und Wirtschaftspolitik.

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