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Eine Gasturbine aus dem Werk in Berlin-Moabit wird verschifft. Auch dieser Konzernbereich wird abgespalten.

© Thilo Rückeis

Vorstandschef läutet "neue Ära" ein: So baut Joe Kaeser Siemens um

Siemens steht vor einer Transformation: 6000 Jobs in Berlin betroffen. Die Kraftwerkssparte kommt an die Börse. Doch von der IG-Metall kommt Kritik.

Nach Einschätzung der Anleger hat Joe Kaeser alles richtig gemacht. Mit einem Kursplus von bis zu fünf Prozent notierte die Siemens-Aktie am Mittwoch als stärkster Wert im Dax. Dienstagabend hatte der Konzern die Auslagerung der Kraftwerkssparte mitgeteilt und Mittwochvormittag ordentliche Quartalsergebnisse vorgelegt. Vorstandschef Kaeser proklamierte „eine neue Ära mit einem noch fokussierteren und stärkeren Siemens“. Und mit höheren Profiten. Die Gewinnmarge im industriellen Kerngeschäft soll langfristig 14 bis 18 Prozent erreichen – das ist ungefähr doppelt so viel wie bei BMW oder Daimler.

Die IG Metall kritisierte denn auch prompt Kaesers Renditeziel. „Siemens entzieht sich der Verantwortung für die Energiewende mit dem Blick auf höhere Margen“, sagte die Berliner Gewerkschaftschefin Birgit Dietze dem Tagesspiegel. Rund 6000 Siemens-Beschäftigte seien in Berlin von der Ausgliederung der Energieerzeugung betroffen; allein die Belegschaft des Gasturbinenwerks in Moabit zählt rund 3800 Köpfe.

Der Bereich Siemens Gas and Power wird bis September 2020 an die Börse gebracht. Darüberhinaus wird der 59-Prozent-Anteil von Siemens an der „Siemens Gamesa Renewable Energy“ ebenfalls in der neuen Aktiengesellschaft aufgehen. Der jetzige Siemens-Konzern verliert dadurch rund ein Drittel des Umsatzes, will aber dauerhaft mindestens 25 Prozent an dem neuen Unternehmen halten und somit „als starker Ankeraktionär“ engagiert bleiben. Kaeser sieht in der neuen Gesellschaft einen „einzigartig ganzheitlich aufgestellten Spezialisten im Energie- und Elekrizitätssektor, der wie kein anderer Wettbewerber die gesamte Bandbreite im Energiemarkt abbildet“. Siemens Gamesa baut vor allem Windräder, die Kraftwerkssparte ist bei Gasturbinen Weltmarktführer. Das neue Unternehmen wird den Angaben zufolge mit rund 80.000 Beschäftigten einen Umsatz von etwa 30 Milliarden Euro erwirtschaften.

Unter dem Siemens-Dach befinden sich künftig nur noch die Industriebereiche Digital Industries und Smart Infrastructure. Dazu kommt die Schienenfahrzeugsparte, deren Fusion mit Alstom von der EU untersagt worden war, sowie die Mehrheitsbeteiligung an Siemens Healthineers; die Medizintechnik war vor gut einem Jahr von Kaeser an die Börse gebracht worden.

Trennung von Geschäftsbereichen hat Tradition bei Siemens

Die Trennung von Geschäftsbereichen hat Tradition bei Siemens. So trennte sich der der Konzern vor knapp 20 Jahren von der Halbleitersparte, die unter dem Namen Infineon heute im Dax notiert. Die Lichttochter Osram brachte Siemens 2013 an die Börse und aus dem Gemeinschaftsunternehmen Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH) zogen sich die Münchener 2017 zurück. Kaeser, der vor knapp sechs Jahren Peter Löscher als Vorstandsvorsitzender abgelöst hatte, setzt auf Automatisierung, Infrastruktur und Digitalisierung. Die Geschäftsbereiche der Zukunft haben nach Kaesers „Vision 2020*“ folgende Erfolgsmerkmale: „An die Stelle von Breite, Größe und Gleichschritt treten Fokus, Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit.“

Alles in allem will der Konzern durch Umstrukturierungen die Kosten bis 2023 um rund 2,3 Milliarden Euro reduzieren, dabei 20.500 neue Stellen schaffen und 10.400 Arbeitsplätze abbauen. Den „Restrukturierungsaufwand“ für sozialverträgliche Stellenstreichungen beziffert Siemens auf rund eine Milliarde Euro.

Investitionen und Wachstumsprogramm

„Die Arbeitnehmervertretung unterstützt das Wachstumskonzept der Firmenleitung. Wir stehen vor einer grundlegenden Transformation des Unternehmens“, erklärte Birgit Steinborn, die als Siemens-Gesamtbetriebsratsvorsitzende auch den stellvertretenden Vorsitz des Aufsichtsrats innehat. Das Gremium hatte die Abspaltung der Kraftwerkssparte einstimmig gebilligt, wobei die Arbeitnehmerseite Bedingungen geltend machte: Das neue Unternehmen hat seinen Sitz in Deutschland und fällt unter die hier gültigen Mitbestimmungsregeln und Tarifverträge. „Außerdem gehen wir davon aus, dass auch Deutschland von den Investitionen und Wachstumsprogrammen des Vorstands profitiert“, sagte Steinborn.

Welche Folgen der Börsengang für die hierzulande rund 20.0000 Beschäftigten der Kraftwerkssparte hat, ist offen. „Detaillierte Verhandlungen darüber stehen noch aus“, sagte Günter Augustat, Betriebsratsvorsitzender des Berliner Gasturbinenwerks.

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