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 Japans Wirtschaft wächst derzeit auch deshalb so stark, weil die Menschen wieder mehr Geld ausgeben.

© picture alliance / dpa

Vor den Unterhauswahlen: Japan träumt von Normalität

Starke Börsenkurse, solides Wachstum: Japan geht es gut, könnte man meinen. Experten sehen das anders. Am Sonntag wird gewählt.

Von Carla Neuhaus

An der Börse hat Shinzo Abe bereits gewonnen. Kurz vor den Neuwahlen in Japan hat der Leitindex Nikkei am Montag den höchsten Stand seit 21 Jahren erreicht. Sowohl für Aktionäre wie für Japans Ministerpräsidenten, der sich am Sonntag zur Wiederwahl stellt, sieht es gut aus. Die letzten Wirtschaftsdaten zeichnen ein ungewohnt positives Bild von dem Land, das so lange unter fallenden Preisen und einer schwachen Konjunktur gelitten hat. „Japan ist zurück“, jubelt bereits das Fachmagazin Institutional Investor. „Die Abenomics wirken endlich.“

Aber stimmt das? Wird Japan mit seinen Konjunkturprogrammen, seinen Negativzinsen und dem billigen Geld, das die Notenbank in den Markt pumpt, etwa doch noch zum Musterschüler? Zum Beispiel dafür, wie man die Kehrtwende schafft? Ökonomen wie Analysten haben daran so ihre Zweifel – auch wenn die Zahlen, die derzeit aus Japan kommen, auf den ersten Blick gut aussehen. So wächst die Wirtschaft des Landes im Moment überraschend stark. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seinen Ausblick für Japan gerade erst nach oben angepasst und rechnet für dieses Jahr mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Das passt zum starken Anstieg des Nikkei in den letzten Monaten. Allerdings sind beide Werte, Wachstum wie Kursanstieg, staatlich verzerrt.

Japans Aufschwung ist teuer erkauft

So stimmt es zwar, dass Japans Wirtschaft zuletzt in Schwung gekommen ist, die Firmen mehr investiert, die Menschen mehr Geld ausgegeben haben. Allerdings ist dieser Aufschwung teuer erkauft – und möglicherweise nur von kurzer Dauer. Erst im vergangenen Jahr nämlich hat das Kabinett von Ministerpräsident Abe mit 28,1 Billionen Yen (240 Milliarden Euro) ein neues Konjunkturprogramm aufgelegt, das nun Wirkung zeigt. Das Geld fließt in die Infrastruktur, etwa in den Bau der Magnetschwebebahn von Tokio nach Osaka. Einen nicht unerheblichen Teil verteilt der Staat auch direkt unter den Verbrauchern. So hat zum Beispiel jeder Niedrigverdiener einen Scheck über 15 000 Yen (131 Euro) erhalten – mit dem Wunsch versehen, dass die Menschen mehr konsumieren. Auf den ersten Blick scheint das zu funktionieren. Japans Verbraucher haben zuletzt tatsächlich mehr Geld für Restaurantbesuche ausgegeben, sich neue Autos und Haushaltsgegenstände geleistet. Allerdings fürchten Experten, dass dieser Effekt schnell verpufft. So rechnet der IWF für 2018 auch schon nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent in Japan.

Dazu kommt noch ein anderes Problem: „Bei vielen Japanern kommt der Aufschwung kaum an“, schreiben die Analysten von Feingold Research. Zwar sei die Arbeitslosenquote deutlich gefallen (auf 2,8 Prozent), gleichzeitig seien die Unternehmen bei Lohnerhöhungen aber extrem zurückhaltend. „Abzüglich der gestiegenen Inflation verbuchen die Arbeitnehmer seit etlichen Monaten reale Einkommensverluste“, schreiben die Analysten. Auch das relativiert die hohen Wachstumszahlen.

Die Börsenkurse sind staatlich verzerrt

Kritisch anschauen muss man sich auch die Börsenkurse. So hört sich ein 21Jahres-Hoch beim Nikkei zwar imposant an. Auch eine Verdreifachung der Kurse seit 2009 klingt gut. Doch für Anleger, die bereits Ende der 80er Jahre an Japans Börsen investiert haben, ist das nur ein schwacher Trost: Sie haben ihre Verluste noch lange nicht wieder reingeholt.

Dazu kommt, dass es vor allem der Staat selbst ist, der die Aktienkurse in die Höhe treibt. Anders als hierzulande kauft die Notenbank, die Bank of Japan, nämlich nicht nur massiv Anleihen von Staaten und Firmen auf – sie ist auch am Aktienmarkt aktiv. So erwirbt sie derzeit jährlich börsengehandelte Indexfonds (ETFs) im Wert von sechs Billionen Yen (48 Milliarden Euro). Die Wirtschaftszeitung Nikkei hat ausgerechnet, dass der japanische Staat damit bereits zum drittgrößten Aktionär des Landes aufgestiegen ist (hinter dem staatlichen Pensionsfonds und der Anlagegesellschaft Blackrock). Bei mehr als 800 Unternehmen gehört der japanische Staat bereits zu den größten zehn Aktionären. Kein Wunder also, dass die Kurse steigen.

Abe will wiedergewählt werden

Doch auch wenn Japans Wirtschafts- und Börsendaten nur auf den ersten Blick positiv erscheinen: Für Abe sind es nicht die schlechtesten Vorzeichen. Wird er am Sonntag wiedergewählt, wovon die Prognosen ausgehen, wäre das für ihn eine Bestätigung seiner Vorhaben: Abe plant unter anderem weitere Ausgaben für Bildung und Kindererziehung. Das soll Familien die Entscheidung, Kinder zu kriegen, erleichtern und so zumindest ein wenig der Überalterung der Gesellschaft vorbeugen. Finanzieren will Abe das neue Programm durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Anleger setzen auf seine Wiederwahl. Eine Analystin meint, das könne „zu mehr politischer Stabilität für Japan führen“. Und das ließe dann auch die Kurse weiter steigen.

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