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Das älteste VW-Werk steht in Braunschweig - es wurde 1938 sechs Woche vor der Stammfabrik in Wolfsburg in Betrieb genommen.

© picture-alliance/ dpa

Volkswagen: Arbeiten nach Lust und Laune

Der VW-Konzern versucht, die Interessen von Arbeitnehmern und Betrieb bei der Arbeitszeit neu auszutarieren. Die DGB-Vorsitzenden besuchen das Braunschweiger Komponentenwerk von VW.

Braunschweig ist alt und neu zugleich, Geschichte und Zukunft lassen sich hier besichtigen wie in keinem anderen VW- Werk. Es ist der älteste Standort im Konzern, die Inbetriebnahme fand 1938 rund sechs Wochen vor der Einweihung des Stammwerks in Wolfsburg statt. Heute produzieren in Braunschweig 8650 Beschäftigte diverse Autoteile. Dazu gehört seit wenigen Jahren auch die Batterie, mit der Volkswagen in die elektromobile Zukunft schnurren will. Doch die ist weit weg: Derzeit baut der Konzern knapp zehn Millionen Fahrzeuge im Jahr, aber nur 23 000 Batteriesysteme für E-Autos. Und die kommen alle aus der ziemlich übersichtlichen Halle 23 in Braunschweig. Schwer vorstellbar, wo und wie VW im Jahr 2025 rund eine Million elektrische Autos produzieren will.

Ärger über ein paar "Lumpen"

„Ist schon schlimm, wenn uns ein paar Lumpen so in Schwierigkeiten bringen“, sagt Otto Joos. Der Braunschweiger Werkleiter arbeitet seit 38 Jahren für VW, und mit den Lumpen meint er die Verantwortlichen der Dieselmotor-Manipulation, mit der Abgaswerte geschönt wurden. Joos hat viel erlebt in den knapp vier Jahrzehnten. Er erinnert sich an die 1990er Jahre unter dem Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch, „da sind wir umerzogen worden“. Es ging plötzlich um optimierte Spaltmaße und überhaupt Qualität. Beim Auto und damit bei jedem einzelnen Teil des Autos, den Komponenten. Mit dem Absatzerfolg der VW-Modelle entwickelte sich auch das Komponentenwerk rasant, in den vergangenen zehn Jahren wuchs die Belegschaft in Braunschweig um rund 3000 Köpfe. 14 Millionen Bremsscheiben werden hier jedes Jahr gebaut, 5,5 Millionen Achsen und 6,7 Millionen Stoßdämpfer.

Mehr als 90 Prozent sind in der IG Metall

Werkleiter Joos war dieser Tage gemeinsam mit Betriebsratschef Uwe Fritsch Gastgeber einer ungewöhnlichen Reisegruppe. DGB- Chef Reiner Hoffmann besuchte mit seinen Kollegen aus den Einzelgewerkschaften diverse Unternehmen im Land. Mit dabei war der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, der als stellvertretender VW-Aufsichtsratsvorsitzender eine wichtige Rolle in Wolfsburg spielt. Braunschweig hatten sich die Gewerkschafter als Besuchsziel nicht nur wegen des hohen Organisationsgrades ausgesucht – mehr als 90 Prozent der VWler gehören der IG Metall an –, sondern vor allem wegen der Themen flexible Arbeitszeit und Elektromobilität. Was wird aus dem Komponentenwerk, wenn in ein paar Jahren autonom fahrende Stromautos kaum noch herkömmliche Teile wie Getriebe oder Bremsscheiben brauchen? In den nächsten zehn Jahren, so meint Hofmann, müsse man sich keine Sorgen machen um Produkte und Arbeitsplätze, weil in dem Zeitraum verschiedene Antriebe gleichzeitig produziert werden müssten: Verbrennungsmotoren, Batterien für E-Autos und die Brennstoffzelle.

8650 Personen arbeiten in dem Werk

Was dann kommt, das weiß nicht einmal der Vorsitzende der IG Metall. Aber Hofmann weiß, was die Beschäftigten jetzt wollen – mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit. In Braunschweig haben Fritsch und Joos eine Vereinbarung über „mobiles Arbeiten“ abgeschlossen: Wenn ein Arbeitnehmer will und der Arbeitgeber zustimmt (doppelte Freiwilligkeit), dann kann künftig die Arbeitszeit zwischen 6 Uhr und 22 Uhr frei gewählt werden. Für die Beschäftigten erleichtert das die Vereinbarkeit von Arbeit und individueller Lebensführung, der Arbeitgeber verspricht sich zufriedene Mitarbeiter und im Ergebnis eine höhere Arbeitsproduktivität. Bis zu 1500 Angestellte der 8650 Arbeitnehmer im Braunschweiger Werk kommen dafür infrage. Für die etwa 3000 Schichtarbeiter dagegen ist die freie Arbeitszeitgestaltung so nicht möglich.

Arbeitszeit im Mittelpunkt einer Kampagne

Um diesen Personenkreis geht es aber auch, wenn die IG Metall jetzt eine Kampagne startet mit dem Slogan „Mein Leben, meine Zeit“. Ziel ist ein Tarifvertrag über mehr Zeitsouveränität. Eine schwierige Sache, denn es geht um einen „kollektiven Tarif für individuelle Lösungen“, wie VW-Betriebsrat Fritsch formuliert. Und das funktioniert sowieso nur da, wo es entsprechende Strukturen gibt: Betriebsräte, Gewerkschaftsmitglieder und Tarife. Die Sommerreise der Spitzenfunktionäre, unter anderem zu einer Fleischfabrik in Westfalen, dem DHL-Logistikdrehkreuz am Leipziger Flughafen, zu Bayer oder in eine Netzüberwachungszentrale der Bahn, bestätigte denn auch eine alte Erkenntnis. „Wo wir starke Interessenvertretungen haben und Tarife, da gibt es auch gute Arbeit“, sagte DGB- Chef Hoffmann. Bei näherem Hinsehen gilt selbst diese gewerkschaftliche Binsenweisheit nur noch eingeschränkt. Im VW-Werk Braunschweig zum Beispiel wird nach drei Tarifen gezahlt: Es gibt den „teuren“ VW- Haustarif, daneben einen schlechteren Tarif für Logistikdienstleistungen und schließlich den Tarif für Zeitarbeiter. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarif – dieses Prinzip, das die Gewerkschaften gerne reklamieren, ist Geschichte.

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