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Vera Jourová, EU-Kommisarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung: Deutsche VW-Kunden müssen auf eigene Faust sehen, wie sie zu ihrem Recht kommen. "Das ist nicht mehr zeitgemäß."

© Thilo Rückeis

Vera Jourová zum VW-Skandal: EU-Kommissarin will "europaweite Schadensersatzregeln"

Die europäische Verbraucherkommissarin Jourová will VW-Kunden helfen, auch in Deutschland. Und auch Facebook und Google will sie stärker auf die Finger schauen.

Vera Jourová ist EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung. Sie setzt sich in der VW-Dieselaffäre für den Schutz der Verbraucher ein und fordert eine faire Behandlung der über acht Millionen europäischen Kunden. Kürzlich traf sich die Tschechin mit VW. Der Konzern sagte nach dem Treffen zu, alle betroffenen Kunden zu informieren und sämtliche Fahrzeuge bis Herbst nächsten Jahres zu reparieren. Der Kommissarin reicht das nicht.

Frau Jourová, was für ein Auto fahren Sie privat?

Einen Mercedes.

Glauben Sie, dass von Dieselgate nicht nur Volkswagen, sondern auch  andere Marken betroffen sind? Auch Mercedes?

Ich glaube, dass es für alle Hersteller schwierig ist, die Abgasnormen zu erfüllen. Meine Kollegin, Industriekommissarin Bienkowska, arbeitet an einem neuen System zur Typenüberwachung. Das soll greifen, bevor das Auto verkauft wird und Missbrauch vorbeugen.

Ist Dieselgate der größte Verbraucherskandal in der EU?

Ja, das ist eine ganz große Sache. In Europa haben 8,5 Millionen Menschen Autos, die gegen die Umweltnormen verstoßen. Mit dem Einbau der Abschalteinrichtung hat Volkswagen die Käufer getäuscht und die EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken verletzt. Deshalb habe ich mich eingeschaltet. Ich möchte, dass alle Verbraucher in der EU fair und gleich behandelt werden. Nach Beratungen mit dem europäischen Verbraucherverband Beuc und den nationalen Verbraucherschutzorganisationen muss ich sagen:  Wie VW-Kunden behandelt werden, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Die Frage nach Schadensersatz, hängt mit nationalem Recht zusammen. Und auch die Informationen, die Kunden von VW bekommen, sind sehr unterschiedlich.

Was sagt VW dazu?

Ich habe mich kürzlich mit Francisco Javier Garcia Sanz, der im VW-Vorstand für die Aufarbeitung der Affäre verantwortlich ist, getroffen. Wir haben uns mit VW auf einen europaweiten Aktionsplan geeinigt. VW wird alle Kunden in der EU noch vor Jahresende anschreiben und ihnen die Reparatur der Autos anbieten. Ich finde, VW soll die Betroffenen nicht nur informieren, sondern sie aktiv ermutigen, dieses Angebot zu nutzen. Außerdem sollen alle Autos bis zum Herbst nächsten Jahres repariert sein. Falls die Reparatur scheitert und die  Autos nach wie vor die Abgasnorm verletzen, ist meiner Meinung nach zusätzlich eine finanzielle Entschädigung fällig. Etwa eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises.

Findet VW das auch?

Nein. VW sagt, nach der Reparatur sind die Autos hundertprozentig in Ordnung. Wir werden das überprüfen.

Gibt VW eine Garantie?

Darüber haben wir noch nicht gesprochen, aber vielleicht machen wir das  bei unserem nächsten Termin.

Was ist mit Schadensersatz?

Wir haben für Schadensersatz keine europäische Rechtsgrundlage. Rechtlich habe ich als Kommissarin keine Möglichkeit, das durchzusetzen.

Aber Verbraucher haben auf Sie gezählt. Sind Sie als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet?

Das letzte Wort ist sicher noch nicht gesprochen. Ich finde es unerträglich, dass in den USA VW-Kunden entschädigt werden, während wir uns in Europa mit 28 unterschiedlichen Regelungen herumschlagen. Hier rächt sich, dass die EU keine zentrale Einheit ist.  Ich treffe in dieser  Woche aber die Vertreter nationaler Verbraucherorganisationen. Sie sollen Verbraucher ermuntern, Schadensersatz zu verlangen, wenn die nationalen Gesetze das hergeben. Ich werde die nationalen Behörden  und Organisationen in ihren Bemühungen um Schadenersatz unterstützen.

In einigen EU-Ländern gibt es Sammelklagen auf Schadensersatz, in Deutschland muss jeder Kunde für sich klagen – und trägt das volle Prozessrisiko.

Ja, das ist in der EU ganz unterschiedlich. In Deutschland trägt der Kunde das Prozessrisiko. Als Anwältin weiß ich, wie schwer es für den einzelnen ist zu beweisen, dass er einen Schaden erlitten hat. Etwa weil der Wiederverkaufswert sinkt.

Brauchen wir eine europäische Schadensersatzrichtlinie?

Ja, der Fall VW zeigt, dass wir eine Rechtslücke haben. Wir haben zwar die Mitgliedsstaaten ermuntert, Sammelklagen auf Schadensersatz zu ermöglichen. Aber mir reicht das nicht. Ich will mit den Mitgliedsstaaten auch über europaweite Schadensersatzregeln sprechen. Die Unternehmen werden  im IT-Zeitalter immer stärker und größer, trotzdem gibt es Länder wie Deutschland, in denen der Verbraucher auch heute noch auf eigene Faust sehen muss, wie er zu seinem Recht kommt. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Notwendigkeit von kollektivem Schadensersatz stellt sich aber nicht nur für Verbraucher, sondern überall da, wo Menschen schwach und verletzlich sind. Gerechtigkeit ist nicht nur was für Reiche und Junge.

Schont die deutsche Regierung VW?

Nein. Ich  zumindest habe keine solche Einmischung erfahren.

Ein Jahr nach Bekanntwerden des Skandals sind erst zehn Prozent der Diesel repariert. Das ist ein bisschen dürftig.

Finde ich auch.

Müsste das Kraftfahrtbundesamt mehr Druck machen?

Sagen wir mal so. Man sollte vor diesem Hintergrund nicht  unterschätzen, dass sich VW jetzt auf einen verbindlichen Aktionsplan festgelegt hat.

"Ich bin nicht auf Facebook"

Schwache Verbraucher, starke Unternehmen – das kennt man nicht nur von VW, sondern auch von Internetkonzernen wie Facebook und Google. Wer nicht auf Facebook ist, ist out.

Ich bin nicht auf Facebook. Man hat mir gesagt, als EU–Kommissarin bräuchte ich zwingend einen Facebook-Account, sonst sei ich erledigt. Aber  ich bin noch da!

Sie sind dafür auf Twitter.

Drei Wochen bevor ich zur Kommission gekommen bin, hat jemand in meinem Namen ein falsches Twitter-Profil eingerichtet. Ich glaube nicht, dass man mir schaden wollte, aber ich war  geschockt. Ich habe gedacht, wie kann jemand meine Identität stehlen und politische Statements und Fotos auf Twitter in meinem Namen versenden? Und das, wo ich Kommissarin für Datenschutz bin!

Jemand aus Ihrem Team wahrscheinlich.

Nein, ich weiß bis heute nicht, wer das gemacht hat. Aber es hat einen Monat gedauert, bis Twitter das umgestellt hat. Jetzt twittere ich selber. Ich konnte den Account  nicht einstellen, weil ich schon zu viele Follower hatte.

Kann man sich als Verbraucher wirklich Google und Facebook widersetzen und die Einwilligung verweigern, Daten zu erheben und zu verarbeiten?

Jeder muss wissen, wem er welche Daten gibt.  Unternehmen wie Facebook sind Giganten, und es ist gut, dass die EU ihnen mit der neuen Datenschutzgrundverordnung Grenzen setzt. Die Kunden müssen künftig besser informiert werden und aktiv in die Datennutzung einwilligen. Und es gibt jetzt das Recht auf Vergessen. Wenn Sie Informationen über sich gelöscht haben wollen, müssen die Unternehmen das tun. Wir haben rechtlich einiges auf den Weg gebracht, aber wir sind auch auf die Mitarbeit der IT-Konzerne angewiesen. Manchmal muss man eben dem IT-Gott den Ring küssen und die Unternehmen an ihre soziale Verantwortung erinnern. Etwa wenn es um das Löschen von Hassbotschaften auf Facebook geht.

Sonderlich viel löscht Facebook aber nicht.

Facebook muss mehr tun.  Deshalb haben wir kürzlich mit allen großen Social-Media-Unternehmen einen "Code of Conduct" verhandelt, in dem sie sich im Wesentlichen verpflichten, illegale Hassbotschaften in der Regel innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Dazu muss das  Netzwerk Geld in die Hand nehmen und Leute einstellen, die die jeweilige Landessprache kennen und das Landesrecht, um illegale Hassbotschaften zu erkennen.

In Deutschland geht das Bundeskartellamt gegen Facebook vor. Die Behörde wirft Facebook vor, seine Marktmacht auszunutzen, so dass Verbraucher gar nicht anders können als in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen. Finden Sie das richtig?

Wir müssen alles tun, damit die Menschen frei bleiben. Wir Menschen sind Datensubjekte, wir haben einen Namen und eine Adresse und wir dürfen nicht zu  anonymen Datenobjekten werden. Es kann nicht sein, dass Menschen erpresst werden, ihre Daten preiszugeben, weil sie sonst von Unternehmen und ihren Diensten ausgeschlossen werden.

Wann tritt die Verordnung in Kraft?

Im Mai 2018, wobei Deutschland schon jetzt mit den Vorbereitungen beginnt.

Immer mehr Daten werden vernetzt. Gesundheitsdaten von  Wearables bringen Rabatte in der Krankenversicherung, Computer  im Auto können die Beiträge in der  Autoversicherung senken, Google kann Ihre Haustechnik bedienen oder Ihr Auto fahren. Kommt die Politik da überhaupt noch hinterher?

Oder der Kühlschrank beschließt, was Sie essen sollen ... Die Technik geht mit Riesenschritten voran und wir versuchen mitzuhalten. Wir müssen in allen Bereichen auf Datenschutz achten. Etwa in der Energiepolitik. Wenn wir smarte Netze haben, ist der Datenschutz unglaublich wichtig. Wir müssen uns schon heute fragen, welche Herausforderungen die vernetzte Gesellschaft in Zukunft bringen kann. Im Moment beschäftigen wir uns etwa mit der Frage, wer für Unfälle mit selbstfahrenden Autos haften soll.

Und was meinen Sie?

Der Fahrer oder der Hersteller. Darüber diskutieren wir noch. Und auch darüber, ob wir überhaupt eine neue Regelung brauchen. Vielleicht reicht ja das bestehende Zivilrecht. Das ist wie bei Hamlet: Regulieren oder nicht regulieren, das ist die Frage.

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