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Auto-Präsidenten. Im März folgte Bernhard Mattes (links) auf den langjährigen VDA-Chef Matthias Wissmann. Der hatte mit seinem politischen Netzwerk enge Bande zur Bundesregierung geknüpft.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

VDA und Abgas-Skandal: Der Autoverband dringt in der Diesel-Debatte nicht durch

Viele in der Branche sind unzufrieden mit dem VDA und seinem neuen Chef Bernhard Mattes – aber die Autohersteller sind selbst zerstritten.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Koalitionäre in der Nacht zum 2. Oktober aus dem Kanzleramt entlässt, scheint der gordische Knoten durchschlagen. Die Regierung hat Maßnahmen beschlossen, die Deutschlands Dieselfahrer befrieden und die Stadtluft verbessern werden. So hofft man. Doch schon am Mittag nach der nächtlichen Runde wird deutlich: Merkel hat die Rechnung ohne die Autobosse gemacht. „Zur Klärung der noch offenen Fragen und Punkte im Konzept der Bundesregierung werden weitere Gespräche folgen müssen“, lässt Bernhard Mattes, der Präsident des Autoverbandes VDA, mitteilen. Die Ratlosigkeit ist groß, die öffentliche Empörung auch. Offen sind die wichtigsten Fragen: Wer macht mit, vor allem bei bei Hardware-Nachrüstungen, und wer bezahlt?

Bis heute gibt es darauf keine Antwort. Im Gegenteil, weitere Fragen sind hinzugekommen. Das Berliner Verwaltungsgericht hat Fahrverbote in der Hauptstadt erlaubt. Weitere Verbote in weiteren Städte werden vor Weihnachten folgen. Und in Brüssel verständigen sich die EU-Mitgliedsstaaten auf strengere Klimaziele: Bis 2030 muss der CO2-Ausstoß von Neuwagen um 35 Prozent sinken. Die Kanzlerin hatte 30 Prozent gewollt, findet die EU-Forderung aber „tragbar“. VDA-Präsident Mattes nennt das CO2-Ziel hingegen „überzogen“, technisch kaum machbar – und enttäuscht die Kanzlerin damit erneut.

Nur der falsche Ton?

Stimmt die Chemie zwischen Regierung und Autolobby nicht mehr? Oder trifft Mattes, seit März als Nachfolger von Matthias Wissmann im Amt, nur den richtigen Ton nicht?

Opposition und Umweltverbände sehen sich bestätigt. „Der VDA wird gerne von den Herstellern vorgeschickt, wenn es heikel wird und sie am Pranger stehen“, sagt Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag. „Letztendlich täuscht und trickst die Branche bei der Abgasreinigung, dem Spritverbrauch und den Lärmangaben.“ Da gebe es viel zu tun für den VDA. Auch die Deutsche Umwelthilfe und der ökologische Verkehrsclub VCD ätzen in ähnlicher Weise.

Doch nicht nur die bekannten Kritiker stoßen sich am Erscheinungsbild der Branche und ihrer Interessenvertretung. Der Riss geht mitten durch die Industrie selbst. Es sei ein „total verworrenes Bild“ entstanden, gesteht ein Vertreter von einem der drei Autokonzerne ein – und lässt es an Deutlichkeit beim Thema VDA nicht mangeln. „Viele von uns schlafen nicht gut, weil man nie weiß, was der VDA gerade wieder verpasst.“ Auch handwerkliche Fehler werden der VDA-Führung angelastet, die über kein enges politisches Netzwerk verfüge. So kam es, dass der VDA bei Anhörungen des Bundestagsverkehrsausschusses zu Hardware-Nachrüstungen, anders als die Umweltverbände, nicht vertreten war. „Da muss man die Fraktionen im Vorfeld so lange bearbeiten, bis man als Sachverständiger eingeladen wird“, sagt ein Lobbyist. „Das gehört zum Handwerk.“ Unglücklich auch die Reaktion auf das Berliner Fahrverbotsurteil. Der VDA hatte den Richterspruch als „unangemessen“ kritisiert. „Das grenzt an Gerichtsbeschimpfung. Das macht man nicht“, sagt ein Branchenvertreter.

Desolate Innenansicht, unsichere Außenbeziehungen

Die Integrationsfähigkeit des Verbandes nach innen – lange ein Markenzeichen – hat in der Dieselkrise schwer gelitten. Dominiert wird der VDA von den großen Drei: BMW, Daimler und Volkswagen. Läuft es hier schief, gerät die gesamte Industrie mit mehr als 600 Unternehmen und 800 000 Mitarbeitern in Verruf. Dass es untereinander schiefläuft, bestätigen Insider aus unterschiedlichen Unternehmen. „Jeder macht seins – oder auch nicht“, heißt es lakonisch bei einem Konzern. „Wir sprechen nicht mit einer Stimme, haben aber auch nicht mehr die Kraft, uns wirklich zu streiten.“

Die desolate Innenansicht korrespondiert mit einer zunehmenden Unsicherheit in den Außenbeziehungen des Verbands. Die engen Bande zwischen Regierung und Lobby sind gerissen. „Die Kanzlerin weiß um die Bedeutung der Autoindustrie, und dass es im VDA viel Sachkompetenz gibt“, sagt der Vertreter eines großen Zulieferers. „Aber die Zeiten, in denen Angela Merkel treu jeder Position des VDA gefolgt ist, die sind vorbei.“ Dabei gebe es zum Beispiel in der aktuellen Diskussion um Hardware-Nachrüstungen nachvollziehbare Argumente, die gegen eine solche Lösung sprächen. „In der großen Mehrheit der Fälle sind Nachrüstungen tatsächlich technisch herausfordernd und oft auch unmöglich“, sagt der Zulieferer. „Aber dieses Fachwissen dringt nicht mehr durch.“ Ähnlich sieht es Stefan Heimlich, Vorsitzender des Auto Club Europa. Der VDA funktioniere nach dem Konvoiprinzip: Der Langsamste bestimmt das Tempo. „Wenn man sich umhört in der Verbandsszene, heißt es: Kluger Kopf, aber als VDA-Präsident nutzt er das zu wenig“, sagt Heimlich über Mattes. „Er sollte viel mutiger voranschreiten.“

Wissmann fiel zuletzt in Ungnade

Doch da mahnt das Beispiel Wissmann. Mattes’ Vorgänger war nach vielen erfolgreichen Amtsjahren am Ende bei den Konzernen in Ungnade gefallen, weil er – mit ihnen nicht abgestimmt – mehr Rechtstreue und Verantwortung gefordert hatte.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, der im südwestdeutschen „Autoland“ mit Fahrverboten und für eine Verkehrswende kämpft, regt sich auf. „Kurzfristiges Lobbyinteresse ist langfristig ein Eigentor“, sagte er am Freitag bei einer VDA-Veranstaltung in Berlin. Der Grünen-Politiker appellierte direkt an Mattes: „Wenn Sie doch so stolz sind auf Ihre Innovationsfähigkeit, warum heißt es gleich immer: Das geht nicht, das ist technisch unmöglich?“ Der Verband verteidigt sich, Mattes will sich jedoch nicht persönlich äußern. „Komplizierte technische oder juristische Zusammenhänge werden fälschlich vereinfacht oder vermengt“, heißt es in einem VDA-Statement. „Hier wäre mehr Sachlichkeit und Differenzierung wünschenswert.“ Im Übrigen sei mit vielen politischen Gesprächspartnern „auf allen Ebenen“ und trotz der „stürmischen Zeiten ein verlässlicher und seriöser Austausch nach wie vor möglich“. Auch andere Industrieverbände stärken Mattes den Rücken. Der habe einen „harten Job“, gebe aber dennoch viele Interviews, sei präsent, habe versucht, mit Sachargumenten durchzudringen.

Tatsächlich haben viele in der Öffentlichkeit, aber auch in der Branche, den Eindruck, der Verband wiederhole Argumente, die man so ähnlich schon vor Jahren gehört hat – etwa in der Diskussion um den Katalysator. Auch damals stand die Industrie angeblich vor dem Untergang und dem Verlust Hunderttausender Jobs. Eine nachhaltige Reaktion auf den Vertrauensverlust nach dem Dieselskandal, so wird geklagt, habe der VDA vermissen lassen. „Die Frage, die man Mattes stellen muss, lautet: Was nun? Welche Strategie haben Sie, um das Vertrauen zurückzugewinnen?“, sagt ein Zulieferer. Mit Technik komme man nicht weit. „Da menschelt es, Hardware kann man da nicht nachrüsten.“

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