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Der Aktienwert von Varta hat sich seit Anfang 2019 vervierfacht.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Varta-Chef im Interview: "Gegen diesen Diebstahl geistigen Eigentums sind wir rigoros vorgegangen"

Varta gilt als Hoffnungsträger der deutschen Batteriefertigung. Vorstandschef Herbert Schein über die hohe Nachfrage und Konkurrenz aus Fernost.

Herr Schein, erst kam Peter Altmaier auf die Schwäbische Alb, dann Markus Söder. Ist Varta der Hoffnungsträger der deutschen Batteriepolitik?
Wir freuen uns sehr, dass die Politik die Batterie als Schlüsseltechnologie einstuft. Die Unterstützung hilft uns, unsere Forschung und Entwicklung bei der Lithium-Ionen-Technologie zu beschleunigen. Und Geschwindigkeit ist extrem wichtig in unserem Geschäft, deshalb sind wir der Politik sehr dankbar.

Rund 300 Millionen bekommt Varta vom Bund sowie Bayern und Baden-Württemberg. Was passiert mit dem Geld?
Wir wollen die Energiedichte unserer Lithium-Ionen-Zellen in den nächsten Jahren um 50 Prozent steigern. Allein in diesem Jahr schaffen wir 30 Prozent, die wir dann im nächsten Jahr in einer neuen Massenproduktion umsetzen wollen. Für diese neue Produktion von Batterien für Kopfhörer und andere Wearables an unserem Standort in Nördlingen haben wir einen Teil der Fördermittel bekommen. Den anderen Teil investieren wir in Ellwangen, Baden-Württemberg.

Sie bauen in einem Jahr eine neue Halle, die fast 100 Meter lang, gut 90 Meter breit und 22,5 Meter hoch ist. Wie ist das in so kurzer Zeit möglich?
Im Mai 2019 haben wir beschlossen, eine neue Halle zu bauen. Auf dem Gelände, das wir dafür im Blick hatten, gab es aber fünf Eigentümer, und ein Gebäude stand dort auch noch. Binnen drei Tagen haben wir uns dann mit den Grundstückseigentümern und dem Bürgermeister geeinigt und drei Monate später die Fabrikplanung fertiggestellt. Jetzt steht die Hülle des hochwertigen, dreigeschossigen Produktionsgebäudes. Anfang 2021 kommen die Maschinen, sodass wir in Zukunft 200 Millionen Batterien im Jahr zusätzlich produzieren können.

Die asiatischen Zellenhersteller, die gerade in Europa neue Werke bauen für Elektroautos, beziehen ihre Maschinen aus Asien. Wo kauft Varta die Anlagen?
Wir haben einen eigenen Maschinenbau, weil das zu unserem Grundkonzept gehört: Tiefe Kenntnisse der Elektrochemie und der Batterietechnologie kombinieren wir mit der Fertigungs- und Prozesstechnik. Deshalb können wir schnell Innovationen in die Massenfertigung bringen. Alle Maschinenkonzepte haben wir selbst entwickelt, aber natürlich setzen wir jetzt insbesondere bei den großen Projekten verstärkt auf Maschinen-Zulieferer aus unserer Region.

Wie kommen die Sprünge um 30 oder 50 Prozent bei der Energiedichte zustande?
Die Batterie ist ja bei vielen Produkten, vom Headset bis zum Elektroauto, die strategische Komponente. Weil das so ist, wollen die Kunden, dass die Batterien noch länger halten, zusätzliche Funktionen ermöglichen oder im Auto zu längeren Reichweiten führen. Dazu muss man die Energiedichte erhöhen.

Und wie macht man das?
In der Anode durch den Einsatz von Silizium und in der Kathode durch nickelreichere Materialien. Wir wollen aber auch den Innenraum der Zelle noch besser ausnutzen durch eine höhere Präzision der Maschinen und noch dünnere Halbteile. Es geht also um Batteriebau, Prozesstechnologie und Elektrochemie.

Herbert Schein ist sei 2008 Geschäftsführer bei Varta.
Herbert Schein ist sei 2008 Geschäftsführer bei Varta.

© Kai-Uwe Heinrich

Und wann erreichen Sie die 50 Prozent?
30 Prozent schaffen wir bereits dieses Jahr, das erhöht unsere Wettbewerbsfähigkeit enorm. Spätestens 2024 wollen wir dann die Energiedichte um 50 Prozent im Vergleich zum aktuellen Niveau erhöhen.

Varta beschäftigt derzeit 4000 Personen und will in den kommenden zwölf Monaten 1000 zusätzliche Kräfte einstellen. Woher bekommen Sie die Leute?
Die Personalsuche gelingt uns sehr gut, insbesondere auch, weil unsere Mitarbeiter ihre Erfahrungen mit Bekannten teilen und uns als Arbeitgeber weiterempfehlen. Auf diese Weise pflegen wir zusätzlich unsere Varta-DNA.

Was ist das denn?
Wir wollen, dass alle Mitarbeiter sich einbringen und haben eine sehr ausgeprägte Innovationskultur. Heute setzen wir auf Neuerungen aus allen Wertschöpfungsstufen. Wir unterscheiden uns dadurch von den Wettbewerbern und sind deswegen immer einen Schritt voraus. Das ist unser Ziel und Kern der Varta-DNA.

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Die Wettbewerbsposition muss gut sein, so wie Varta die Kapazitäten ausbaut.
Die ist gut, das sieht man auch am organischen Umsatzwachstum des Gesamtunternehmens von fast 70 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres. Trotz des dynamischen Wachstums und des Aufbaus zusätzlicher Kapazitäten lege ich großen Wert darauf, dass wir schon heute die Innovationen für morgen und übermorgen entwickeln.

Weil der Markt für Hörgeräte- und Kopfhörer-Batterien bald gesättigt ist?
Wir rechnen mit einem höheren Bedarf für kleinere Zellen. Nicht nur im Smartphone-Zubehör, sondern auch in der Medizin oder zum Beispiel in intelligenten Autoschlüsseln mit Display. Hinzu kommt das Wachstum der Weltbevölkerung. In China und Indien wird die Mittelschicht breiter und kann sich Dinge wie Hörgeräte leisten. Aber selbstverständlich entwickeln wir auch Produkte, die uns neue Märkte erschließen.

Zukunftsindustrie. Ein Varta-Mitarbeiter überwacht die Produktion von Batteriezellen in Nördlingen.
Zukunftsindustrie. Ein Varta-Mitarbeiter überwacht die Produktion von Batteriezellen in Nördlingen.

© Christof Stache/AFP

Dazu hat Varta 200 Millionen Euro vom Bund und Baden-Württemberg bekommen. Was ist hiermit geplant?
Mit der Unterstützung können wir unsere heutige Lithium-Ionen-Technologie auf größere Formate bringen. Wir kombinieren das mit unserer MPC-Technologie, mit der wir in den größeren Formaten einen niedrigeren Innenwiderstand realisieren können.

Was bedeutet das?
Die Zelle kann mehr Leistung bei hoher Energie bringen und schneller geladen werden. Das sind Vorteile, die man bei verschiedenen Anwendungen braucht. Im nächsten Jahr werden wir eine Pilotfertigung und anschließend eine Massenproduktion aufbauen.

Welche Kunden haben Sie im Auge und wo werden die großen Formate gebaut?
Die Anwendungen sind vielfältig: Das könnten Energiespeicher sein, Roboter oder fahrerlose Transportsysteme. Die Massenproduktion könnte dann auch in Ellwangen stehen.

Wird Varta dann auch auf dem Riesenmarkt der Elektromobilität mitspielen?
Wir freuen uns, wenn wir im Bereich Automotive eine Rolle spielen dürfen. Für die nächste Generation der E-Mobilität sind Ladezeit, hohe Leistung, hohe Energie und Langlebigkeit der Batterie die limitierenden Faktoren. Die Technologie, die wir heute entwickeln, könnte auch bei Anwendungen im Bereich der Elektromobilität Vorteile bieten.

Für eine Zellenfabrik für Elektromobilität brauchen Sie Partner, um die Milliardeninvestitionen stemmen zu können.
Wir sind da offen für Gespräche.

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Und die Autohersteller? Sind die inzwischen offener als noch vor wenigen Jahren, als Batteriezellen als ein Standardteil qualifiziert wurden, das man kauft, aber nicht selbst herstellt?
Die Automobilhersteller machen bei der Batterietechnologie große Fortschritte. Heute sehen sie die Batteriezelle als strategische Komponente für die Zukunft.

Das ist gut für Varta.
Ja, aber nicht nur für Varta, sondern für die deutsche Industrie insgesamt.

Trotz Corona wächst Varta in einem großen Tempo. Gibt es das Virus nicht auf der Schwäbischen Alb?
Doch. Ellwangen ist eine Faschingshochburg, und mancher Faschingsbegeisterte war auch in Heinsberg, sodass wir hier in der Region sehr früh mit Corona konfrontiert wurden. Im Unternehmen haben wir die ganze Zeit Abstands- und Hygieneregeln beherzigt und sind unseren Mitarbeitern sehr dankbar für die Disziplin. Im Ergebnis haben wir in der Coronazeit keine Arbeitsstunden verloren, sondern konnten weiterhin in drei Schichten an sieben Tagen arbeiten.

Noch vor Corona gab es einen Patentstreit mit chinesischen Zellenherstellern. Was ist daraus geworden?
Ende letzten Jahres sind einige Headsets im Markt aufgetaucht mit Batterien von Wettbewerbern, die unsere Patente eindeutig verletzten. Gegen diesen Diebstahl geistigen Eigentums sind wir rigoros vorgegangen mit Klagen in Europa und insbesondere in den USA – auch gegen diejenigen, die die Produkte in den Verkehr gebracht haben.

Wie ist der Stand der Klagen?
Wir sind gerade dabei, kommerzielle Vereinbarungen mit unseren Kunden zu treffen und Lieferverträge abzuschließen und die Patentstreitigkeiten zu beenden. Bis zum Herbst wollen wir mit den wichtigsten, wenn nicht mit allen Patentverletzern, entsprechende Verträge unterschrieben haben, um dann die Klagen einstellen zu können. Auch in Zukunft werden wir gegen Unternehmen, die unsere Patente verletzen, rigoros vorgehen. Aber noch viel wichtiger ist, dass wir innovativ bleiben und uns neue Patente sichern. Wir dürfen uns nie auf dem Erfolg ausruhen, sondern müssen die Latte immer höher legen.

Herbert Schein, 1965 im bayerischen Oettingen geboren, studierte in Augsburg Elektrotechnik. Nach zwei Jahren bei Philips wechselte er zu Varta, wo er seit 2008 Chef ist.

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