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Mit Abholfservice oder Onlineshop versuchen Einzelhändler sich über Wasser zu halten.

© dpa

Unterstützung in der Corona-Krise: Was bringt die Soforthilfe für Selbstständige?

Soforthilfen sollen Selbstständige unterstützen. Doch die Verunsicherung ist groß. Nun kommen auch noch Betrugsversuche dazu - NRW hat die Auszahlung gestoppt.

Von Carla Neuhaus

Zwei Jahre hat Franka Ismer sich auf die Selbstständigkeit vorbereitet. Parallel zum Job hat sie erste Kunden gewonnen, neue Kontakte geknüpft. Als sie zu Ende Februar ihre Festanstellung gekündigt hat, standen die Aufträge für die kommenden Wochen längst fest. Als Workshop-Leiterin sollte sie mit den Mitarbeitern eines Start-ups erarbeiten, welche Werte sie teilen. Auf einer Konferenz sollte sie über Frauen in Führungspositionen sprechen, auf einem Kongress für Personalwesen einen Workshop leiten. Doch dann kam Corona. Jetzt ist all das verschoben oder abgesagt.

„Es gibt wohl bessere Zeiten, um sich selbstständig zu machen“, sagt Ismer, die sich auf Workshops und Trainings zur Personal- und Unternehmensentwicklung in den Bereichen Purpose, Mindset und emotionale Intelligenz spezialisiert hat. Statt zu ihren Kunden zu fahren, hat sie sich Ende März online in die Warteschlange der Investitionsbank Berlin (IBB) eingereiht. Gerade einmal zwei Tage dauerte es, dann hatte sie 5000 Euro Soforthilfe auf ihrem Konto. „Das hat extrem geholfen“, sagt Ismer.

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Wie schnell und unbürokratisch in Berlin Selbstständige und Kleinunternehmer Geld bekommen haben, hat viele überrascht. Auch wenn der Andrang zwischenzeitlich so groß war, dass der Server zusammenbrach, gab es in sozialen Netzwerken doch auch viel Lob für die IBB. Denn Berlin war mit der Auszahlung der Gelder im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht nur besonders schnell, sondern auch besonders großzügig. Das Land stockte die Mittel, die der Bund bereitgestellt hat, noch einmal auf. Bis zu 5000 Euro gab es dadurch pro Antragsteller zusätzlich.

In Berlin haben zu viele die Landesmittel abgerufen

Doch damit ist inzwischen Schluss. Zu viele wollten diese Hilfen in Anspruch nehmen. Jetzt gibt es auch in Berlin nur noch die Bundesmittel. Dabei hatte die Berliner Politik zuvor versprochen: „Es sind genug Mittel für alle da.“ Wer darauf vertraut hat und erst mal abwarten wollte, der dürfte sich jetzt ärgern. 5000 Euro weniger: Das macht für jeden, der jetzt finanzielle Probleme hat, einen enormen Unterschied.

Dazu kommt: Gerade weil die Hilfsgelder so schnell geflossen sind, sind viele Fragen offen. Etwa die, wofür sie die Soforthilfe ausgeben dürfen. Berlin zum Beispiel hat das Geld großzügig verteilt – ohne Belege sehen zu wollen, wofür man es im Detail braucht. Dabei ist die Soforthilfe eigentlich nur dafür gedacht, um weiterhin die Betriebskosten decken zu können: also zum Beispiel die Büromiete oder den Leasingvertrag für den Dienstwagen. „Das geht jedoch an der Lebenswirklichkeit vieler Selbstständiger vorbei“, sagt Catharina Bruns, die in der Kontist Stiftung die Interessen von Selbstständigen vertritt. Viele hätten kaum Betriebskosten, etwa weil sie von zu Hause arbeiten. Trotzdem müssen sie jetzt, wo die Aufträge wegbrechen, von etwas leben. „Wenn man diese Menschen von der Soforthilfe ausschließt, kann man nicht von Rettung sprechen“, meint Bruns.

[Einen Überblick, wer jetzt Anspruch auf welche Förderung hat, lesen Sie hier]

Manche Bundesländer sind deshalb einen Sonderweg gegangen. So durften Solo-Selbstständige in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel noch bis zum 1. April die Soforthilfe explizit verwenden, um sich selbst ein Gehalt zu zahlen. Helfen sollte das insbesondere Künstlern, die derzeit keinerlei Einnahmen haben – aber eben auch keine Betriebskosten, die sie geltend machen können. Das jedoch war nicht im Sinne des Bundes. Das Bundeswirtschaftsministerium hat inzwischen klargestellt, dass „Kosten des privaten Lebensunterhalts wie die Miete der Privatwohnung oder Krankenversicherungsbeiträge nicht durch die Soforthilfe abgedeckt werden“. Der Kulturrat NRW hat nach eigenen Angaben dagegen protestiert. Nun soll es noch einmal Gespräche zwischen Bund und Land geben.

Betrüger versuchen Daten von Selbstständigen abzugreifen

Zusätzlich erschwert wird die Vergabe der Finanzmittel durch Betrugsversuche: Betreiber sollen auf Fake-Seiten im Internet mit gefälschten Antragsformularen die Daten von Selbstständigen abgefangen haben. Vor allem im NRW ist das ein Problem, dort hat das Wirtschaftsministerium in Abstimmung mit dem Landeskriminalamt am Donnerstag die Auszahlung der Soforthilfen fürs Erste gestoppt. Anträge können Selbstständige und Kleinunternehmer zwar weiterhin stellen, sie müssen aber penibel darauf achten, die offiziellen Seiten des Landes beziehungsweise der Förderbank zu wählen. Für NRW ist das diese hier, für Berlin diese.

Misslich ist das, weil viele Selbstständige ohnehin schon verunsichert sich - auch diejenigen, die sie bereits erhalten haben. „Ich traue mich fast gar nicht, das Geld zu nutzen“, sagt etwa Trainerin Franka Ismer. „Es ist für mich unklar, wie das Geld eingesetzt werden darf und ob am Ende nicht doch eine Rückzahlung gefordert wird.“

Franka Ismer hat sich gerade erst selbstständig gemacht.
Franka Ismer hat sich gerade erst selbstständig gemacht.

© privat

Auch Catharina Bruns warnt davor, die Soforthilfe jetzt übereilt zu beantragen. „Ich rate dazu, sich vorher bei einem Steuerberater oder Anwalt zu informieren“, sagt sie. Im schlimmsten Fall mache man sich sonst noch unwissentlich des Subventionsbetrugs schuldig. Auch die Investitionsbank Berlin reagiert jetzt und will noch einmal alle anschreiben, die eine Soforthilfe bereits bekommen haben.

Denn das ist die Kehrseite des schnellen Handelns in Berlin: Womöglich hat so mancher Soforthilfe erhalten, obwohl sie ihm rein formal gar nicht zusteht.

Hamburg verlangt einen Liquiditätsplan

In Hamburg hat man sich deshalb für einen anderen Weg entschieden. Wer dort Soforthilfe beantragt, muss einen ausführlichen Liquiditätsplan vorlegen: Wie viel hat man vor der Coronakrise eingenommen und ausgegeben und wie könnte die Situation in den nächsten drei Monaten aussehen?

Auch die Hamburger Unternehmerin Vanessa Janneck hat das bereits hinter sich. Sie sagt, diese detaillierte Planung habe auch ihr selbst geholfen, besser einzuschätzen, was nun auf sie zukommt. Janneck hat einen Laden für nachhaltige Designprodukte im Hamburger Schanzenviertel. Derzeit ist ihr Geschäft geschlossen. Auch Veranstaltungen, die sie vor Ort regelmäßig ausgerichtet hat, finden nicht mehr statt. Deshalb hat auch sie Anfang vergangener Woche Soforthilfe beantragt. Ob und wie viel sie bekommt, weiß sie allerdings noch immer nicht. Denn in Hamburg lässt man sich mit der Bearbeitung der Anträge anscheinend deutlich mehr Zeit als in Berlin.

Und das ist längst nicht der einzige Unterschied, den es weiterhin zwischen den Hilfen in den einzelnen Bundesländern gibt. „Auch die Frage, wie viel Nebenerwerb man haben darf, wird unterschiedlich beantwortet“, sagt Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD). Von solchen Detailfragen aber hängt im Einzelfall ab, ob jemand die Soforthilfe bekommt oder nicht. Beim Verband beschäftigen sie deshalb inzwischen zehn Ehrenamtler, die nichts anderes tun, als täglich zusammenzutragen, wie die Situation in den einzelnen Bundesländern aussieht und was sich dort gerade ändert.

Lutz ärgert sich allerdings noch über etwas anderes. Nämlich darüber, wie man mit denjenigen umgeht, die eben kein Anrecht auf Soforthilfe haben. Denn wer keine Aufträge mehr hat, aber gleichzeitig auch keine Betriebskosten geltend machen kann, dem bleibt im Zweifel nur eins übrig: der Gang zum Jobcenter. Die Bundesregierung hat für diesen Fall den Zugang zur Grundsicherung erleichtert. „Für Angestellte zahlt der Staat Kurzarbeitergeld, aber Selbstständige werden direkt in die Grundsicherung geschickt“, kritisiert Lutz. Seiner Meinung nach hätte es schon etwas geholfen, dieser Sozialhilfe wenigstens einen anderen Namen zu geben.

"Allein das Wort 'Grundsicherung' schreckt ab"

Gunter Haake von der Gewerkschaft Verdi sieht das ähnlich. „Allein das Wort Grundsicherung hat schon einen abschreckenden Effekt“, sagt er. Zumal von der aktuellen Krise längst nicht nur diejenigen Selbstständigen betroffen sind, deren Situation schon vor Corona prekär war. „Aus dem Feedback, das wir bekommen, kann man schließen, dass ein Drittel bis die Hälfte der Selbstständigen betroffen ist“, sagt Haake.

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Gleichzeitig hat die Krise unter vielen Selbstständigen aber auch eine große Solidarität ausgelöst. Das berichtet zum Beispiel Vanessa Janneck. Schon bevor klar war, dass sie ihr Geschäft in Hamburg erst einmal schließen muss, hatte sie das Bedürfnis, anderen Selbstständigen zu helfen. Mit zwei Mitstreitern hat sie deshalb die Internetseite 2gather.jetzt aufgebaut. Binnen weniger Tage haben sie dort zusammengetragen, was Selbstständige jetzt wissen müssen und was in welchem Bundesland gilt. „Wir wollten anderen die Panik nehmen, die wir selbst gerade zu Anfang der Krise verspürt haben“, sagt Janneck.

Mittlerweile hat sie die Zeit genutzt, um ihren Onlineshop auszubauen. Früher gab es in dem nur ausgewählte Artikel aus ihrem Laden. Nun hat sie dort einen Großteil ihrer Ware eingestellt. Die Verkaufszahlen sind bereits deutlich gestiegen.

Und auch Trainerin Franka Ismer hat sich umgestellt. Sie wird nun mehr Trainings online anbieten. Einen ersten Auftrag hat sie dafür schon. Das Thema: Führen auf Distanz. Der Krise kann sie inzwischen durchaus etwas Gutes abgewinnen. Sie sagt: „Wenn ich das hier überstehe, kann mich für meine Selbstständigkeit nichts mehr schocken.“

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