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Viele Verträge: Im vergangenen Jahr gab es 86,7 Millionen Lebensversicherungen in Deutschland.

© dpa-tmn

Unerwarteter Boom: Bundesbürger flüchten in Lebensversicherungen

Aus Angst vor Strafzinsen stecken Menschen ihr Geld wieder verstärkt in die Altersvorsorge. Die Lebensversicherung erlebt ein Comeback.

Die Lebensversicherung feiert ein Comeback. Auf der Suche nach sicheren Finanzanlagen stecken immer mehr Bundesbürger Geld in eine solche Altersvorsorge. Die Beiträge wuchsen im vergangenen Jahr um 11,3 Prozent auf gut 102 Milliarden Euro, teilte der Präsident des Versicherungsverbands GDV, Wolfgang Weiler, am Mittwoch in Berlin mit. Solche Wachstumszahlen konnte die Branche in den vergangen 20 Jahren nicht mehr erzielen.

Zinsen sind höher als auf dem Sparbuch

"Die Menschen fragen sich, wo gibt es überhaupt noch Zinsen?", erklärt der Verbandschef den unerwarteten Boom. "Die Bürger suchen nach Schutz und einer besseren Verzinsung", meint Andreas Wimmer, der Deutschlands größten Lebensversicherer - Allianz Leben - leitet und im Präsidium des Versicherungsverbands für die Altersvorsorge zuständig ist. Für die Branche sei das ein "Vertrauensbeweis".

Tatsächlich ist das im Streit um die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) eine interessante Wendung. Denn die Versicherer, die traditionell das Geld ihrer Kunden in sichere, festverzinsliche Wertpapiere investieren, leiden unter den niedrigen Zinsen und fordern seit langem einen Strategiewechsel der EZB. Dass die Lebensversicherer nun plötzlich zu den Profiteuren gehören, sei schon eine "Paradoxie", gibt Weiler zu.

Die Versicherer locken mit höheren Zinsen als klassische Sparangebote. Während es auf Sparbücher und Tagesgeld so gut wie keine Zinsen mehr gibt, liegt die laufende Verzinsung bei Lebensversicherungen für 2020 im Schnitt bei 2,3 Prozent. Rechnet man nicht nur den Garantiezins und die jährliche Überschussbeteiligung, sondern auch mögliche Schlusszahlungen hinzu, erwartet Wimmer eine Gesamtverzinsung zwischen 2,8 und drei Prozent. Die Zinsen gibt es allerdings nur auf den Sparanteil, nicht auf den gesamten Beitrag.

Garantiezins wird sinken

Versicherungskunden müssen jedoch damit rechnen, dass der Garantiezins, der für die gesamte Laufzeit eines Vertrags gleich bleibt, für neue Verträge sinken wird. Die Vereinigung der Versicherungsmathematiker fordert eine Absenkung von derzeit 0,9 auf 0,5 Prozent, das Bundesfinanzministerium und die Finanzaufsicht Bafin beraten über den Vorschlag. Noch gibt es keine Entscheidung.

"Wir können von einer Veränderung zum Jahr 2021 ausgehen", sagte Wimmer jedoch. Der neue Niedrigzins würde alle Verträge betreffen, die im nächsten Jahr neu abgeschlossen werden. Allerdings sinkt der Anteil der klassischen Lebensversicherungen mit solchen, festen Garantien. Gut 60 Prozent der Neuabschlüsse entfallen inzwischen auf Lebensversicherungen, die keine festen Garantien mehr enthalten, berichtete Weiler.

Viele Kunden wählen Einmalbeiträge

Der Boom der Lebensversicherung wird vor allem von Einmalzahlungen getragen, hier verzeichneten die Versicherer im Neugeschäft einen Anstieg um 36 Prozent auf fast 37 Milliarden Euro - und das obwohl die Verzinsung der Verträge in den ersten Jahren niedriger ist als bei Verträgen, in die Versicherte Jahr für Jahr einzahlen.

Die Versicherer gehören mit Kapitalanlagen von 1,9 Billionen Euro zu den großen Kapitalanlegern in Europa. Auf die Niedrigzinsen haben sie bei ihrer Kapitalanlage reagiert. Statt auf festverzinsliche Wertpapiere setzen sie verstärkt auf Aktien, Immobilien und Hypothekendarlehen. Mit dem Anlagemix und dem Verkauf höherverzinster alter Wertpapiere hat die Branche im vergangenen Jahr eine Nettoverzinsung von 3,8 Prozent geschafft.

Die Branche würde gern verstärkt in Infrastrukturprojekte investieren. 32 Milliarden Euro waren es 2018, davon steckten Versichertengelder von sechs Milliarden in die Energiewendeprojekten. Weiler kritisierte die Skepsis, die in Deutschland gegenüber solchen Public-Private-Partnerships besteht. "Deshalb fehlen leider Projekte, damit wir unser Engagement ausbauen können".

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