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Die Zentrale von Siemens Griechenland (Archivbild von 2012). Mehrere Ex-Siemens-Manager müssen sich ab Freitag vor einem Athener Gericht zu Korruptions-Vorwürfen verhalten.

© dpa

Umstrittener Prozess: Ex-Siemens-Manager in Griechenland vor Gericht

Am Freitag beginnt in Griechenland ein Prozess gegen 13 ehemalige Siemens-Manager. Die Vorwürfe: Bestechung und Geldwäsche. Das Verfahren ist rechtlich umstritten.

Am Freitag beginnt in Athen ein Prozess, den es aus deutscher Sicht so gar nicht geben dürfte. Aufgeklärt werden soll vor Gericht, ob und in welchem Ausmaß bei einem Geschäft zwischen der griechischen Telefonfirma OTE und dem deutschen Siemenskonzern 1997 Bestechungsgelder geflossen sind – und wer dafür verantwortlich ist. Die Anklageschrift hat mehr als 4500 (!) Seiten und beschuldigt 64 Personen der aktiven und passiven Bestechung sowie der Geldwäsche. Darunter sind 13 deutsche ehemalige Siemens-Manager, der Strafprozess richtet sich nicht gegen das Unternehmen als solche. Die Ex-Manager standen in Deutschland für die Siemens-Korruptionsaffäre bereits vor Gericht. Sie dürften deshalb, wenn man der Argumentation ihrer Verteidiger folgt, in Griechenland eigentlich gar nicht erneut angeklagt werden. Doch dieser Prozess steht nahezu exemplarisch für das angespannte deutsch-griechische Verhältnis, in dem es fast immer mehr als nur eine Wahrheit gibt.

Siemens und das griechische Volk, das war eine jahrzehntelange Liebegeschichte, allerdings wohl eine ohne Happy End. Schon seit rund 100 Jahren ist das Unternehmen im Land aktiv, in fast jedem griechischen Haushalt steht ein Siemens-Kühlschrank oder ein Siemens-Telefon – Made in Germany galt auch hier als Qualitätsgarant. Siemens war zudem ein wichtiger Arbeitgeber, zu Hochzeiten betrieb „Siemens Hellas“ fünf Fabriken mit insgesamt einigen tausend Mitarbeitern. Für Siemens selbst gibt es wichtigere Märkte, „Siemens Hellas“ erwirtschaftet etwa ein Prozent des gesamten Umsatzes. Inzwischen haben die Werke geschlossen und der Name „Siemens“ steht in Griechenland als Synonym für schmutzige Geschäfte. Wie konnte es soweit kommen?

Der Fall OTE

Siemens wird von Seiten der griechischen Justiz in zahlreichen Fällen Bestechung vorgeworfen, viele der Vorwürfe waren auch schon Teil der deutschen Prozesse. Vor dem Athener Gericht geht es nun allerdings nur um einen speziellen Deal, den sogenannten „OTE 8002“: 1997 sollte die griechischen Telefongesellschaft OTE digitalisiert werden, der Konzern gehört seit 2008 zu 40 Prozent der Deutschen Telekom. Insgesamt soll Siemens laut Staatsanwaltschaft damals rund 70 Millionen Euro an Bestechungsgeldern gezahlt haben, um den Auftrag zu bekommen. Ungefähr auf diese Höhe wird seitens der Anklage auch der Schaden für den griechischen Staat geschätzt. Die Vorfälle sind nach griechischem Recht – anders als in Deutschland – nicht verjährt, es drohen lebenslange Strafen. Angeklagt sind auf griechischer Seite vor allem ehemalige OTE-Manager, aber auch einige politische Funktionäre. Denn die beiden großen Parteien Pasok und Nea Dimokratia sollen über ein regelmäßiges Zuwendungssystem beide in den Fall verwickelt sein. Zu den zwölf deutschen Angeklagten – der dreizehnte Angeklagte Heinz-Joachim Neubürger nahm sich im Januar das Leben - gehören beispielsweise der ehemalige Griechenland-Siemens-Chef Michael Christoforakos und das für Griechenland zuständige Vorstandsmitglied Volker Jung, aber auch der ehemalige Konzernchef Heinrich von Pierer.

Aus deutscher Sicht gilt der Siemens-Skandal als abgearbeitet. Er wurde durch die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt und in verschiedenen Fällen ab 2009 vor dem Amtsgericht München Gericht verhandelt. Heinrich von Pierer und Volker Jung konnte damals keine strafrechtliche Schuld nachgewiesen werden, an seinen ehemaligen Arbeitgeber zahlte von Pierer allerdings mehrere Millionen Euro Schadensersatz. Christoforakos wurde per Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, das Bestechungsverfahren wurde gegen Zahlung von 350.000 Euro eingestellt. Es ging bei den Münchner Prozessen vor allem um das weltumspannende System der schwarzen Kassen – Hauptangeklagter war deren Verwalter Reinhard Siekaczec - und nicht im Detail darum, wer in Griechenland davon profitierte. Die griechische Anklage enthält nach Einschätzung von Experten keine neuen belastbaren Fakten.

Die Verteidigung beruft sich deshalb auf den europäischen Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“ – nie zweimal für dieselbe Sache. In Griechenland wurden die Einwände bisher mit dem Verweis abgewiesen, es handle sich um einen anderen Sachverhalt und andere Vorwürfe. Wenn die griechischen Gerichte das bis zur höchsten Instanz genauso sehen, gibt es trotz Rechtsgrundsatz kein übergeordnetes EU-Gericht, dass Schuldsprüche kassieren könnte. Dann könnten die Ex-Siemens-Manager de facto in Deutschland unter Hausarrest stehen, weil sie bei einer Reise ins Ausland mit einer Verhaftung und Auslieferung an Griechenland rechnen müssten.

Wie viel Schuld tragen deutsche Unternehmen?

Die Wut der griechischen Öffentlichkeit konzentrierte sich in den vergangenen Jahren sich vor allem auf Michael Christoforakos. Der ehemalige „Siemens Hellas“-Chef hatte Griechenland nach dem Bekanntwerden des Skandals und Beginn der griechischen Ermittlungen verlassen. Er sei geplant ausgereist, ließ er damals die Presse wissen, er sei vor der Strafverfolgung geflüchtet, sagten seine Gegner. 2009 verlangte die griechische Regierung seine Auslieferung.  Da er einen deutschen und einen griechischen Pass besitzt und damit als deutscher Staatsbürger gilt, stoppte das Bundesverfassungsgericht seine Auslieferung in letzter Minute. In Griechenland gilt es seitdem als ausgemacht, dass die deutschen Behörden und Gerichte die griechische Aufklärung verhindern – trotz der Übermittlung von Ermittlungsergebnissen und Aussageprotokollen aus Deutschland.  Die Auseinandersetzung um Siemens erreichte die höchste politische Ebene.  So sprach Außenminister Nikos Kotzias beispielsweise von „pseudo-moralischen Ratschlägen“ die Deutschland Griechenland in Sachen Korruption erteile, solange sie selbst nicht ausliefere. Ein Parlaments-Komitee in Griechenland erklärte sogar einen Teil der griechischen Schulden als illegitim, da sie dem Staat durch korrupte Geschäfte entstanden seien - an denen unter anderem Siemens beteiligt gewesen sei.

Zum Prozessauftakt wird wohl keiner der deutschen Angeklagten vor Gericht erscheinen. In Griechenland ist es möglich  – anders als in Deutschland – sich vor Gericht durch Anwälte vertreten zu lassen. Diese werden wahrscheinlich zunächst Widerspruch gegen das Verfahren einlegen und auf den „ne bis in idem“-Grundsatz verweisen. Außerdem liegt den deutschen Angeklagten nach Informationen der griechischen Tageszeitung Kathimerini bisher keine Übersetzung der Anklageschrift vor, dem Bericht zu Folge fehlen der Anklage die nötigen 100 000 Euro. Das könnte das Verfahren zusätzlich verkomplizieren. Die Dauer des Prozesses ist noch nicht absehbar. Zudem ist davon auszugehen, dass dieser Fall durch einige Instanzen gehen wird – egal wie das Urteil ausfällt.

Der Konzern Siemens als solcher ist von dem Prozess indes nicht betroffen. Es handelt sich rein um Strafprozesse gegen einzelne Ex-Manager, deshalb gibt es seitens des Unternehmens auch keine Kommentierung. Siemens selbst hat bereits vor Jahren ein sogenanntes „Settlement-Agreement“ unterschrieben. Gegen die Zusicherung von Investitionen verzichtete die – damals noch konservativ geführte – Regierung auf weitere Ansprüche gegen das Unternehmen. Bis heute plädieren einzelne Abgeordnete der Syriza-Partei dafür, Siemens von öffentlichen Aufträgen im Land auszuschließen. Aber auch wenn eine solche Strafe auch in Zukunft nicht wahrscheinlich ist – ein Happy End wird es für Griechenland und Siemens wohl nicht mehr geben.

Dieser Artikel basiert auf einer deutsch-griechischen Recherchekooperation zum Thema Korruption. Diese wird unterstützt von Stipendien der Robert-Bosch-Stiftung und des EU-Journalismfund.

Mitarbeit: Nikolas Leontopoulos.

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