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Kein Geld? Das dicke Ende kommt noch, warnen Experten.

© imago/photothek

Überschuldung durch Corona: "Gravierender als die Weltfinanzkrise"

Derzeit sind weniger Menschen überschuldet als vor einem Jahr, zeigt der neue "Schuldneratlas 2020". Doch Experten sagen: Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm.

Wie passt das zusammen? Deutschland leidet unter Corona, und die Zahl der überschuldeten Menschen sinkt. Erstmals seit vier Jahren liegt die Überschuldungsquote – der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland – unter der Zehn-Prozent-Marke. Am Dienstag meldete die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem neuen „Schuldneratlas 2020“, dass derzeit 6,85 Millionen Menschen überschuldet sind, 69.000 weniger als vor einem Jahr. Die Überschuldungsquote sank leicht auf 9,87 Prozent.

Selbst Berlin, das seit Jahren zu den Problemländern zählt, verzeichnet eine leichte Entspannung. Die Überschuldungsfälle sind um 6000 gesunken. Mit 370.000 Betroffenen und einer Überschuldungsquote von 12,02 Prozent hat Berlin nach Bremen und Sachsen-Anhalt allerdings nach wie vor den drittschlechtesten Wert im Ländervergleich.

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Die Zahlen sind kein Zeichen für Entspannung

Eine Erholung, obwohl die Coronakrise Deutschland seit März fest im Griff hat: Wie kann das sein? Bis zu 700.000 Menschen hatten in diesem Jahr zwischenzeitlich ihren Arbeitsplatz verloren, 7,3 Millionen Bundesbürger waren oder sind in Kurzarbeit, zwei Millionen Freiberufler und Soloselbstständige kämpfen um ihre Existenz. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen hätten die schlimmsten sozialen Auswirkungen abgemildert, heißt es bei Creditreform. „Der vermeintlich positive Befund ist kein Zeichen der Entspannung“, warnt aber Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung. Im Gegenteil: Die Folgen der Coronakrise werden „gravierender sein als die der Weltfinanzkrise 2008 und 2009“, glaubt Hantzsch.

Privatinsolvenzen werden im nächsten Jahr steigen

Auskunfteien und Verbraucherschützer befürchten, dass im nächsten Jahr nicht nur die Überschuldungszahlen, sondern auch die Privatinsolvenzen steigen. Die Auskunftei Crifbürgel rechnet mit 100.000 bis 110.000 neuen Privatinsolvenzen, nach 65.000 in diesem Jahr. Dass die Zahl derzeit vergleichsweise niedrig ist, liegt aber auch daran, dass Betroffene Anträge zurückhalten. Sie wollen von einer Gesetzesreform profitieren, die den Schuldnern bei Privatinsolvenzen künftig schon nach drei, statt wie bislang nach sechs Jahren eine Restschuldbefreiung bringt. Der Regierungsentwurf wird derzeit im Rechtsausschuss des Bundestags beraten. Christoph Zerhusen, Verbraucherinsolvenzexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, erwartet daher im nächsten Jahr einen sprunghaften Anstieg der Privatinsolvenzen und eine Zunahme der Überschuldungszahlen.

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Die Politik muss helfen

Nach Meinung der Bürgerbewegung Finanzwende ist daran auch die Finanzbranche nicht ganz unschuldig. „Statt mit überzogenen Inkassokosten, überhöhten Dispozinsen und einer unverantwortlichen Kreditvergabe immer wieder zur Überschuldung beizutragen, muss die Finanzbranche gerade in dieser Krise ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden“, forderte Finanzwende-Sprecher Julian Merzbacher. Auch die Politik müsse endlich eine überzeugende Antwort darauf geben, wie sie Überschuldung in den Griff bekommen will. „Es entsteht eine gefährliche Schieflage, wenn in der Coronakrise Milliarden in Unternehmensrettungen fließen, während Überschuldete vielfach allein zurückgelassen werden“, kritisierte Merzbacher.

Auch der Schuldneratlas warnt vor einer Polarisierung von Einkommen und Vermögen durch die Corona-Pandemie. Während Gutverdiener in der Krise sogar mehr Geld zurücklegen als sonst, haben Geringverdiener keine finanziellen Reserven und bauen schon jetzt Schulden auf. Zeitversetzt, so prognostiziert Creditreform, führt das zu einem Anstieg der Überschuldungsfälle.

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Von wegen Ruhestand: Viele Senioren können ihre Rechnungen nicht bezahlen.
Von wegen Ruhestand: Viele Senioren können ihre Rechnungen nicht bezahlen.

© imago/Westend61

Eine Bevölkerungsgruppe macht den Experten aber schon heute Sorgen: Immer mehr arme, ältere Menschen können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. In den vergangenen zwölf Monaten nahm die Zahl der überschuldeten Senioren, die 70 Jahre und älter sind, um 23 Prozent zu. Seit 2013 hat sich die Zahl mehr als vervierfacht, zum Vergleich: Die Gesamtzahl aller überschuldeten Personen erhöhte sich im selben Zeitraum nur um vier Prozent.

Altersarmut wird schlimmer

„Das Phänomen Altersarmut gewinnt noch stärker als in den Vorjahren an Bedeutung“, warnt Michael Goy-Yun, Geschäftsführer von Creditreform Boniversum. Während jüngere Menschen Armut meist als vorübergehende Lebensphase begreifen, haben ältere Menschen oft keine Perspektive, sich davon zu befreien. Mit dem Eintritt in den Ruhestand sinken ihre Chancen drastisch, ihre ökonomische Lage zu verbessern, heißt es im Schuldneratlas.

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