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Hatte Sabine Lautenschläger genug vom "System Draghi"?

© REUTERS

Überraschender Abschied: Warum schmiss Lautenschläger bei der EZB hin?

Nach dem unerwarteten Rücktritt von Sabine Lautenschläger sucht die EZB nach einem deutschen Direktoriumsmitglied. Und nach den Gründen für ihren Abgang.

Viele, sehr viele in den Doppeltürmen der Europäischen Zentralbank (EZB) sind überrascht, manche sogar geschockt. Völlig unerwartet schmeißt das deutsche Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger hin und verlässt das sechsköpfige Führungsgremium einer der wichtigsten Notenbanken der Welt Ende Oktober, mehr als zwei Jahre vor den Ende ihres seit 2014 laufenden Vertrags. Eine Begründung gab die 55-jährige gebürtige Stuttgarterin am Mittwochabend nicht an, als die EZB die Meldung verschickte.

Dass die Juristin aus Verärgerung über die Geldpolitik das Handtuch wirft, glaubt kaum ein Beobachter, obwohl sie als Kritikerin dieser Strategie galt. Einige mutmaßen, sie sei vom „System Draghi“ und dessen Dominanz im Rat zermürbt gewesen. Andererseits geht auch der EZB-Präsident Ende Oktober. Dessen Nachfolgerin Christine Lagarde kennt Lautenschläger sehr gut.

Sie wären vermutlich gut miteinander zurecht gekommen. Zumal Lautenschläger klar sein muss, dass Lagarde erst einmal die Politik Draghis weiterführen wird. Draghis Abschiedsworte für seine Kollegin fielen am Mittwochabend kühl aus. Er dankte ihr „für ihre wegweisende Rolle bei der Errichtung und Steuerung der Europäischen Bankenaufsicht“, die der EZB angegliedert ist. Zu Lautenschlägers Arbeit im EZB-Rat sagte der Italiener nichts.

An ihrer Expertise gab es nie Zweifel

Ihr Abgang reißt eine Lücke in der Führungsetage der Notenbank. Bei der Sitzung des EZB-Rates vor zwei Wochen soll sie wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann gegen die Senkung des Einlagezinses für Banken auf minus 0,5 Prozent und die Wiederauflage des Anleihekaufprogramms gestimmt haben. Die Juristin hat in der ihr eigenen offenen und klaren Sprache nie ein Hehl aus ihrer Kritik gemacht. An ihrer Expertise gab es nie Zweifel. Den Banken hat sie als Aufseherin sehr genau auf die Finger geschaut. Lautenschläger wird weltweit geschätzt, sie ist in wichtigen internationalen Aufsichtsgremien vertreten.

1995 kam sie zum damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, dem Vorläufer der Finanzaufsicht BaFin, 2008 wechselte sie in die Führungsetage der BaFin, bevor sie 2011 zur Vizepräsidentin der Bundesbank berufen wurde. Von dort wechselte sie 2014 in das Direktorium der EZB und übernahm als Vizepräsidentin zugleich bis Februar 2019 den Aufbau und die Leitung der Europäischen Bankenaufsicht SSM, die über die 125 größten Institute in Europa wacht.

Wird Marcel Fratzscher ihr Nachfolger?

Lautenschlägers vorzeitiger Rücktritt reiht sich ein in die Demissionen anderer wichtiger deutscher Zentralbanker wie die von Bundesbank-Präsident Axel Weber 2011, der als Kandidat für den Chefposten der EZB galt oder von EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark ebenfalls 2011 wegen der Krisenpolitik der EZB. Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen ging 2013 vorzeitig aus privaten Gründen.

Da Deutschland weiter einen Sitz in Direktorium beanspruchen wird, muss schnell ein Kandidat oder eine Kandidatin benannt werden. Im Gespräch sind Bundesbank-Vize-Präsident Claudia Buch und Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der 48-Jährige kennt die EZB genau, von 2001 bis 2013 war er dort zum Teil in leitender Funktion tätig. Er steht der Geldpolitik der Notenbank eher aufgeschlossen gegenüber. Buch, die ehemalige Professorin und Chefin des Instituts für Wirtschaftsforschung IW in Halle, gilt hingegen als Kritikerin einer allzu großzügigen Geldpolitik

Das nächste Treffen des Rates der EU- und Euro-Finanz- und Wirtschaftsminister ist für den 7. Oktober angesetzt. Dann müsste ein Vorschlag auf den Tisch. Danach muss ein Kandidat oder eine Kandidatin vom Europäischen Parlament angehört werden, bevor der Europäische Rat die Berufung festzurren. Möglich sein dürfte das auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember in Brüssel. Bis Anfang Januar dürfte damit das Büro Lautenschlägers im 39. Stock der EZB leer bleiben.

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