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Bis ins hohe Alter arbeiten viele Unternehmerinnen und Unternehmer, aber irgendwann muss eine Nachfolgeregelung her. In Berlin werden vor allem Betriebe aus dem Dienstleistungsbereich übergeben, dann folgen Handwerk und produzierendes Gewerbe. Foto: dpa

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Wirtschaft: Übernehmen statt gründen

Tausende Unternehmer in Berlin und Brandenburg suchen einen Nachfolger – betroffen sind mehr als 50 000 Arbeitsplätze.

Berlin - Als die Mauer fiel, krempelten in Ost- und Westberlin viele Menschen die Ärmel hoch und gründeten eine Firma. Was zur allgemeinen Aufbruchstimmung der beginnenden 1990er Jahre beigetragen hat, führt jetzt zu einer Nachfolgewelle. Denn die Gründer von damals kommen in das Alter, in dem man sich zur Ruhe setzt. Laut einer Hochrechnung des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM) stehen in den Jahren 2010 bis 2014 rund 4100 Berliner Unternehmen zur Nachfolge bereit, in Brandenburg sind es 2600. Betroffen sind in der Region mehr als 50 000 Arbeitsplätze.

Das IfM prognostiziert, dass die Zahl der Unternehmensnachfolgen noch steigen wird, weil die geburtenstarken Jahrgänge langsam aber sicher auf das Rentenalter zusteuern. „Die Regelung der Nachfolge stellt grundsätzlich eine Herausforderung für alle Beteiligten dar“, sagt Nadine Schlömer-Laufen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IfM. Nachfolgen seien für die meisten Beteiligten ein einmaliges Ereignis, für das sie keine Erfahrungswerte hätten. Für Mittelständler kommt erschwerend hinzu, dass sie sich seltener beraten lassen als große Betriebe.

Dabei gibt es vor einer Nachfolge viel zu beachten. Neben dem Kaufpreis, der Finanzierung der Nachfolge und dem Rechtsrahmen der Übergabe verändert sich für beide – Käufer und Verkäufer – die steuerliche Situation zum Teil stark und muss vorbereitet werden.

Nur noch 41,6 Prozent der Unternehmer planen, ihren Betrieb innerhalb der Familie abzugeben, meist an den Sohn. „Viele Kinder sehen, wie ihre Eltern ackern, und empfinden das Unternehmerleben als schwierig“, sagt Ulrich Pinkert. Er begleitet als Berater Nachfolgen und ist Mitinitiator eines Pilotprojekts, das 2012 im Berliner Unternehmernetzwerk Lonex angelaufen ist. Die Seminarreihe unter dem Titel „Übernehmen statt Gründen“ will für das Thema sensibilisieren und jungen Menschen zeigen, dass sie keine Firma gründen müssen, wenn sie sich selbstständig machen wollen.

Mehr noch: Eine Nachfolge schaltet einige Risiken aus. So haben die Unternehmen in der Regel schon ihren Platz auf dem Markt. Laut Pinkert existieren sieben Jahre später nur noch 20 Prozent der gegründeten Unternehmen – bei übernommenen Betrieben sind es doppelt so viele. Gerade hat Ulrich Pinkert eine Seminarreihe des Unternehmernetzwerks beendet, die Initiatoren wollen das Angebot aber fortsetzen. „Teilnehmende, die ein Unternehmen zur Übernahme suchen, bekommen ein Gefühl dafür, was auf sie zukommt“, sagt Projektsprecherin Ramona Mietzschke. Die selbstständige Trainerin hat vor einigen Jahren eine Eisdiele übernommen und nach acht Jahren erfolgreich veräußert. Der zeitliche Aufwand, einen Betrieb zu führen, werde häufig unterschätzt: „Verkauf, Einkauf, Buchhaltung, Gespräche mit Lieferanten und Mitarbeitern, Inventur, der Termin mit dem Steuerberater – es ist eigentlich immer etwas zu tun.“

Bei den Unternehmern wächst das Bewusstsein dafür, dass eine Nachfolge geplant werden muss – aber nicht bei allen. „Neulich rief mich ein Mann an und sagte, sein Sohn solle zu Weihnachten übernehmen“, erzählt Ulrich Pinkert. „Dabei hatte der noch gar nicht mit seinem Sohn geredet. Das ist nicht realistisch.“ Man solle schon drei Jahre einplanen, empfiehlt Frauke Eustermann, die bei der IHK Berlin lange für Unternehmensnachfolgen zuständig war.

Wenn sich in Familie und Belegschaft kein Kandidat findet, beginnt die Suche nach einem externen Nachfolger. Und meist klappt es nicht sofort mit dem ersten Interessenten. „Der angesetzte Kaufpreis ist oft zu hoch“, sagt sie und rät, sich dafür eine externe Einschätzung zu holen. Oft sehen Unternehmer im Betrieb ihr Lebenswerk und bewerten die Firma entsprechend. „Da spielen emotionale Aspekte eine Rolle.“ Das gilt auch für das Verhältnis zwischen altem und neuem Chef. „Manche Übernahmen scheitern daran, dass man sich nicht richtig versteht.“

In Berlin werden vor allem Betriebe aus dem Dienstleistungsbereich übergeben, dann folgen Handwerk und produzierendes Gewerbe. „Und wir registrieren die ersten Nachfolgen aus dem IT-Bereich“, sagt Frauke Eustermann. Nachfolgen ist allerdings teurer als Gründen. Mindestens 15 Prozent Eigenkapital solle man als Nachfolger mitbringen, sagen Experten. Auch die Finanzierung dauert ihre Zeit. „Rund zwei Monate sollte man für die Vorbereitung in jedem Fall einkalkulieren“, sagt Christian Segal, Leiter des Kompetenzcenters Gründungen und Unternehmensnachfolge der Berliner Sparkasse. „Die Basis für den Kaufpreis ist das durchschnittliche Jahresergebnis vor Steuern, multipliziert mit einem Faktor. Aktuell sehen wir abhängig von der Marktstellung, der Zahl vorhandener Patente und weiteren Kriterien Multiplikatoren zwischen drei und sechs.“ Segal empfiehlt, dass beide Seiten einen Berater bitten, den Wert des Betriebes zu schätzen. Die Sparkasse spricht Geschäftskunden ab 55 Jahren auf ihre Nachfolge an. Ab diesem Alter sollten sich Unternehmer damit beschäftigen.

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