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Türkische Unternehmen: Integriertes Geschäft

Sind türkische Arbeitgeber in Deutschland mittendrin oder allein unter sich? Fakt ist, es gibt ein interkulturelles Miteinander – die Wirtschaft lebt es schon.

Auf den ersten Blick ist Aynur Boldaz eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland. Die kurdische Türkin besitzt eine mittelständische Reinigungsfirma in Berlin, hat dort fast nur deutsche Mitarbeiter und zu „99 Prozent deutsche Kunden“. Damit entspricht Boldaz so gar nicht dem landläufigen Klischee der Nischenökonomie oder Parallelwirtschaft, das besagt: „Türken machen nur Geschäfte mit Türken.“

Als der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei seinem jüngsten Besuch in Deutschland seine Landsleute dazu aufrief, sich stärker zu integrieren, hat er damit sicher auch Unternehmer türkischer Abstammung angesprochen. Von ihnen gibt es hierzulande immerhin rund 68 000. Aktuelle Studien ergeben allerdings ein differenziertes Bild ihrer Integration in das deutsche Wirtschaftssystem.

„Es gibt Straßen, in denen sich türkische Firmen konzentrieren, die vor allem Kunden türkischer Herkunft bedienen“, sagt etwa Faye Preusse, die an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin das Projekt „Ethnische Ökonomie“ leitet. „Aber insgesamt hat die Verzahnung von türkischstämmigen Unternehmern und deutschem Wirtschaftssystem stark zugenommen.“ In einer aktuellen Studie der FH zum Thema ethnische Ökonomie, die Ende Februar veröffentlicht wird, erklärten gut zwei Drittel der rund 170 befragten türkischstämmigen Unternehmer in Berlin, dass sich ihre Kundschaft gleichermaßen aus eigenen Landsleuten und Deutschen zusammensetze. Annähernd jeder Fünfte äußerte sogar, hauptsächlich deutsche Kunden zu bedienen, so die vorläufigen Ergebnisse. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Beziehungen zu Lieferanten. Für Preusse ist das Signal eindeutig: „Viele verstehen sich zunehmend als deutsche Unternehmen.“

Auch Geschäftsfrau Boldaz betont, dass sie einen großen Teil ihres Erfolgs der Tatsache zu verdanken hat, dass sie gut integriert sei. „Als ich meine Firma gründete, wurde ich zunächst nicht richtig ernst genommen“, erzählt die 39-Jährige. „Erst als ich mich ständig auf deutschen Veranstaltungen zeigte und mit den Leuten ins Gespräch kam, kamen auch die Kunden“, sagt sie. Boldaz ist inzwischen stark in das Berliner Wirtschaftsleben eingebunden – zu ihren Kunden gehören etwa eine Bank oder christliche Einrichtungen. Die Verflechtung anderer türkischstämmiger Firmen in der Hauptstadt belegt ein Zentrum für Türkeistudien (ZFT) in Essen: Die rund 6000 Firmen böten etwa 29 000 Menschen Arbeit; viele Kunden und Lieferanten seien Deutsche.

Was die gesamtdeutsche Situation betrifft, sieht der Forscher René Leicht vom Mannheimer Institut für Mittelstandsforschung starke regionale Unterschiede: „In ländlichen Gebieten sind die Firmen meist sehr stark integriert – etwa die Dönerbuden, von denen es in fast jedem Dorf heute eine gibt“, sagt Leicht. „In Städten jedoch, wo sich die türkischstämmige Bevölkerung in bestimmten Stadtteilen konzentriert, haben schätzungsweise ein Viertel der Unternehmen überwiegend Kunden aus der gleichen Ethnie.“ Auch zwischen den Branchen müsse unterschieden werden: Vor allem traditionelle Sektoren wie das Gastgewerbe seien stark integriert, während wissensintensive Dienstleister – etwa türkischstämmige Anwälte oder Steuerberater – vor allem die eigene Community bedienten. Zudem seien die Arbeitnehmer türkischstämmiger Unternehmer zu etwa 80 Prozent türkischstämmig. Langfristig sei der Trend zur Integration aber eindeutig, sagt Leicht: „Beide Seiten entdecken einander.“

Auch für die gesellschaftliche Integration sei das von Vorteil, meint Nihat Sorgec, Vizepräsident der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer. „Viele türkischstämmige Unternehmer haben in der türkischen Gemeinschaft eine Vorbildfunktion.“ Daher sei es wichtig, dass Kommunen die Aktivitäten türkischer Unternehmer besser förderten. Doch daran mangelt es oft noch. So hat etwa die Berliner IHK erstmals vor wenigen Wochen einen Beirat für ihre ausländischen Mitglieder eingerichtet.

„Viele eigens eingerichtete Stellen klagen darüber, dass die Resonanz ausbleibt“, sagt hingegen Forscher Leicht. Das liege auch daran, dass etwa 40 Prozent der türkischstämmigen Selbstständigen keinen Bildungsabschluss hätten. Für viele sei die eigene Firma nur ein Weg, der Arbeitslosigkeit zu entfliehen. „Die Gründungsneigung ist zwar hoch. Aber viele entscheiden sich für Branchen, in die man zwar leicht einsteigen kann, in denen aber auch ein hoher Wettbewerb besteht“, sagt Leicht. „Deshalb gibt ein großer Teil der Unternehmer innerhalb der ersten zwei Jahre wieder auf.“

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