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Am 30. April 1991 rollt in Zwickau der letzte Trabi aus der Fabrik.

© Jan-Peter Kasper/dpa

Trotz Niedergang der DDR-Werke: Wie die Autoindustrie im Osten die Wende geschafft hat

Die DDR-Bürger interessierten sich 1990 schlagartig nicht mehr für Trabis und Wartburgs. Heute ist die Branche stärker denn je. Nun folgt der nächste Wandel.

Im März 1990 ließ die Entwicklung der Geschäfte Dieter Voigt zunehmend verzweifeln. „Die Absatzzahlen verschlimmern sich fast stündlich“, sagte der einst so mächtige Chef des PKW-Kombinats „Fahrzeuge und Anhänger“ dem „Spiegel“.

Vor vier Wochen noch, sagte Voigt, hätten sie Trabis ausgeliefert, „die Mitte der Siebziger bestellt wurden“. Am Anfang der Woche seien sie schon beim Bestelljahr 1982 angelangt. Und zum Zeitpunkt des Gesprächs mit den Spiegel-Reportern gab es den Zweitakter dann frei zu kaufen.

Die 540 Trabi, die weiterhin jeden Tag vom Band rollten, drohten plötzlich auf der Halde zu landen. In Erwartung der sich abzeichnenden Wiedervereinigung verloren die DDR-Bürger schlagartig das Interesse an dem einst heiß erwarteten Prestigeprodukt.

Für Voigts Pläne war das Gift. Die Zukunft sah der DDR-Wirtschaftsboss zwar in Joint-Ventures mit Volkswagen und Opel, aber erst nach drei Jahren wollte er die Produktion vollständig auf Westmodelle umstellen. Bis dahin sollten nun Subventionen Trabi und Wartburg leidlich attraktiv halten. Es stünden immerhin 100.000 Arbeitsplätze der DDR-Autoindustrie auf dem Spiel, erklärte Voigt den zweifelnden West-Journalisten.

Die ostdeutsche Autoindustrie kollabiert

Doch die rasante politische Entwicklung machte alle Pläne für eine sanfte Transition des ostdeutschen Automobilsektors rasch zunichte. Nach der Währungs- und Wirtschaftsunion verloren VW und Opel zunehmend das Interesse an den verabredeten Joint-Ventures.

Zwar ließ VW – wie vereinbart – den Polo ab Mai 1990 in Zwickau mit aus Wolfsburg gelieferten Teilen zusammenbauen und Opel startete zwei Tage nach der Wiedervereinigung am 5. Oktober eine Montagelinie für den Vectra in Eisenach.

In Eisenach wird im Januar 1991 einer der letzten Wartburgs produziert.
In Eisenach wird im Januar 1991 einer der letzten Wartburgs produziert.

© picture-alliance/dpa

Die Westkonzerne sahen sich zeitgleich aber längst nach Grundstücken für den Bau neuer moderner Fabriken um. Die maroden DDR-Werke mochten sie nicht weiterführen. So landeten viele der zehntausenden Autobauer an den beiden Traditionsstandorten zunächst in der sogenannten Kurzarbeit 0 (bezahltes Nichtstun) und dann in der Arbeitslosigkeit.

30 Jahre später arbeiten heute allein in Sachsen wieder 95.000 Menschen in der Automobilindustrie. Und auch in Thüringen sowie in Berlin und Brandenburg ist die Branche gut vertreten. Motor der Entwicklung waren dabei die großen Fabriken aller deutschen Automobilkonzerne.

Neben VW in Zwickau und Opel in Eisenach zählen dazu auch noch das VW-Motorenwerk in Chemnitz, die Nutzfahrzeugproduktion von Mercedes-Benz im brandenburgischen Ludwigsfelde und die Porsche- und BMW-Werke in Leipzig.

„Rundherum haben sich entsprechend der Just-in-Time-Produktion viele Zulieferer angesiedelt“, sagt der Volkswirt Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut Dresden. Die Branche sei für ein Viertel aller sächsischen Industriearbeitsplätze verantwortlich. Das Anfang der Neunziger Jahre viel beschworene Konzept der industriellen Kerne hat sich im Automobilbau also tatsächlich bewährt.

Hochmoderne Fabriken und kleine Zulieferer

Doch warum bauten die Konzerne Anfang der Neunziger Jahre überhaupt in der ehemaligen DDR neue Werke? Schließlich war damals bereits von Überkapazitäten in der westeuropäischen Autoindustrie die Rede. Neben der Förderung für neue Industrieansiedlungen habe das vermutlich auch etwas mit Patriotismus und im Falle von VW eventuell auch mit politischer Einflussnahme zu tun gehabt, erläutert Ragnitz.

Dass sich VW, Opel und Mercedes-Benz bei ihren Ansiedlungen für traditionsreiche Standorte entschieden, sei dagegen vor allem auf die vorhandenen Fachkräfte zurückzuführen, meint Ragnitz. Porsche und BMW wiederum hätten sich wohl Mitte der Nuller Jahre vor allem wegen der zentralen Lage innerhalb Europas für Leipzig entschieden.

Entstanden sind dabei hochmoderne Fabriken. Es handelt sich aber um reine Produktionsstätten. Forschung und Entwicklung sowie Marketing findet weiter im Westen statt. Das gilt sowohl für die großen OEM-Konzerne als auch für viele Zulieferer. Daneben gebe es aber auch viele kleine und inhabergeführte Mittelständler, sagt Ragnitz.

Kommt die zweite De-Industralisierung?

Viele dieser kleinen Zulieferer der zweiten oder dritten Reihe könnten mit der Transformation der Branche in Richtung Elektromobilität und zunehmend digitalisierten Produktionsprozessen überfordert sein, befürchten Experten. Das gelte insbesondere in Thüringen, sagt Michael Militzer, dessen Eisenacher Unternehmen Mitec einst zu den größten selbständigen Zuliefern in Ostdeutschland gehörte, bevor das Unternehmen 2018 nach einem Rechtsstreit mit Ford in die Insolvenz rutschte.

Die Automobilbranche in Thüringen sei auf mechanische Prozesse spezialisiert. Im IT- und Elektronikbereich fehle es dagegen an Know-how. Viele der Unternehmen seien außerdem zu klein, um auf dem Weltmarkt zu bestehen, sagt Militzer.

In VW-Werk Zwickau wird in inzwischen das E-Auto ID.3 montiert. Der Automatisierungsgrad ist hier besonders hoch.
In VW-Werk Zwickau wird in inzwischen das E-Auto ID.3 montiert. Der Automatisierungsgrad ist hier besonders hoch.

© Hendrik Schmidt/dpa

Etwas anders ist die Lage in Sachsen. Volkswagen stellt das Werk in Zwickau derzeit als erstes weltweit vollständig auf den Bau von Elektroautos um. Im Zuge dessen werden bis 2030 auch viele neue Jobs bei Zuliefern entstehen, prophezeit eine Studie des Netzwerkes Automobilzulieferer Sachsen (AMZ) und des Chemnitz Automotive Institute (CATI) der TU Chemnitz.

Zwar könnten durch den Abschied vom Verbrenner in Sachsen bis 2030 fast 5000 Jobs verloren gehen, schreiben die Autoren, doch zugleich könnten auch 4250 neue Arbeitsplätze entstehen.

 Die Branche ist zuversichtlich

Er sei optimistisch, dass die Branche in der Region gut durch diese Transformation komme, meint auch Ralf Hron, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Südwestsachsen. Doch Hron sieht auch einige Probleme. Denn während die Region um Zwickau stark im Bereich Elektronik sei, „sind die Unternehmen rund um Chemnitz auf dem Bau von Verbrennermotoren spezialisiert.“

Auch die fehlenden Konzernsitze in Sachsen sind für Hron eine „Achillesferse“. Dadurch sei man von den Entscheidungen anderer abhängig. Das größte Problem sei jedoch der Fachkräftemangel, meint Hron. Dadurch könnten neue Jobs eventuell nicht entstehen. Viele junge Leute hätten die Region verlassen.

Insgesamt scheint die Automobilindustrie in Ostdeutschland jedoch keineswegs schlechter auf die Transformation der Branche vorbereitet zu sein als Betriebe im Westen. Im Gegenteil: Die hiesigen Unternehmen schauen vergleichsweise optimistisch auf die Wende hin zur E-Mobilität.

So lobten die Automobilverbände aus Thüringen und Sachsen, in denen vor allem Zulieferer organisiert sind, im Juni demonstrativ, dass die Bundesregierung auf eine Abwrackprämie für Verbrenner-Autos verzichtete. 

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