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Neue Hoffnung. An den Börsen wie in Frankfurt erwarten Anleger ein Abflauen der Krise im Verlauf des Jahres – und für 2021 wieder deutliches Wachstum.

© imago images/Marcel Lorenz

Trotz Corona-Crash im Aufwärtstrend: Die erstaunliche Entwicklung an den Börsen und ihre Gründe

Die Ökonomen überbieten einander mit Rezessions-Szenarien. Doch an der Börse geht es aufwärts. Für Anleger stellt sich vor allem eine Frage: Hält die Erholung an?

Nicht wenige reiben sich in diesen Tagen verwundert die Augen. Deutschland stürzt durch die Folgen der Corona-Pandemie in eine beispiellose Rezession. Weltweit droht nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) der größte Wirtschaftseinbruch seit der Weltwirtschaftskrise vor 90 Jahren.

Die Aktienkurse aber bewegen sich auf einem Niveau, das fast 30 Prozent über dem Tief vom 19. März liegt, als klar war, dass das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland mindestens für Wochen fast komplett zum Erliegen kommen würde. Mit gut 10.800 Zählern lag der Deutsche Aktienindex Dax am Mittwoch im Vergleich zum Rekordhoch von 13.795 Punkten am 17. Februar immer noch gut 20 Prozent im Minus. Aber nachdem der Index bis 19. März um 40 Prozent abgestürzt war, fürchteten Anleger und Experten einen weiteren dramatischen Absturz.

Dazu ist es erstaunlicherweise nicht gekommen – im Gegenteil. Hauptgrund: Die beispiellosen, historisch einmaligen Rettungspakete der Regierungen, und das weltweit in Billionenhöhe. Dazu haben die Zentralbanken Wirtschaft und Banken mit Liquidität wie nie zuvor versorgt. Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa erhöhte das Volumen ihrer Anleihekäufe zunächst um 120 Milliarden Euro, um kurz danach weitere 750 Milliarden Euro dazu zu legen. „Es gibt also für lange Zeit Liquidität im Überfluss“, sagt Olivier Berranger von der Fondsgesellschaft La Financière de l’Échiquier.

Computer befeuern Absturz - und Aufschwung

Zudem haben vor allem Privatanleger keine Panik erkennen lassen. „Unsere Kunden haben sehr besonnen reagiert“, stellt Ralf Lochmüller, Chef der Fondsgesellschaft Lupus Alpha, fest. Martin Lück vom Vermögensverwalter Blackrock spricht von rationalem Verhalten.

Getrieben wurde die dramatische Talfahrt im März offensichtlich von professionellen Anlegern. Große Teil des Handels laufen über Computerprogramme, die bei bestimmten Schwellen Aktien automatisch verkaufen. Umgekehrt mussten sie danach wieder einsteigen, als sich die Kurse nach oben bewegt haben.

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Wie aber geht es weiter? Die Spanne der Prognosen ist groß, deutliches Zeichen für die hohe Verunsicherung. Mit einem erneuten Absturz rechnet allerdings kaum ein Experte. Andererseits sagt Lochmüller: „Wir wissen nicht, ob es das jetzt an den Börsen war.“ Lück schließt nicht aus, dass der Dax in einem Jahr tiefer steht als derzeit. Sicher aber scheint: Anleger müssen sich auf deutliche Ausschläge nach oben und unten einstellen.

Mal steigt der Dax um fünf Prozent, dann verliert er wieder in ähnlicher Größenordnung. Für die DZ Bank steht fest, dass das Börsenbarometer das Niveau von vor der Krise wohl erst wieder Anfang 2024, also in knapp vier Jahren wird erreichen können. „Kursrücksetzer gehören zur Börsenwelt wie die Anzeigetafel im Börsenraum – aber eben auch die nachfolgende Erholung“, sagt Ulrich Kater, Chefökonom der DekaBank.

Rezession ist unausweichlich

Die Belastungsfaktoren bleiben erst einmal hoch. Eine dramatische Rezession ist unausweichlich, der Welthandel schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt. Die Gewinne der Unternehmen werden einbrechen. Vorboten waren und sind die Berichte für das erste Quartal. Sie zeigen aber nur zum Teil die Auswirkungen der Corona-Pandemie, schließlich liefen die Geschäfte im Januar und Februar noch gut.

Erst im zweiten Vierteljahr wird die Krise voll auf die Firmen durchschlagen. Reihenweise streichen Unternehmen die eigentlich schon zugesagten Dividenden. Von Kürzungen in Höhe von 100 Milliarden Euro in Europa, spricht die DZ Bank. Um insgesamt 40 Prozent könnten sie schrumpfen. Der massive Preissturz beim Öl verbilligt zwar die Energiekosten für die Unternehmen und für Verbraucher Heizöl und den Sprit an den Tankstellen. Aber auch dies ist vor allem ein Indiz für die Dramatik der Krise. Wenn es Öl im Überfluss gibt, zeigt dies, wie schlecht es in der Wirtschaft läuft.

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Trotzdem spricht auch einiges dafür, dass es an der Börse wieder langsam aufwärts gehen könnte. Die ersten Lockerungsmaßnahmen werden registriert, vor allem auch die Entwicklung in China. Die Finanzmärkte schauen generell auf die Zukunft. Da erwarten Ökonomen im zweiten Halbjahr ein Abflauen der Krise und 2021 wieder eine deutliche Erholung mit klaren Wachstumsraten.

Generell ist allerdings auch für Händler und Anleger wie für die Wirtschaft, für Verbraucher und die Gesellschaft überhaupt eine Frage von überragender Bedeutung: Wie kann die Corona-Pandemie überwunden werden, wann gibt es wirksame Medikamente, wann vor allem einen Impfstoff?

Die Zinsen kommen nicht zurück

Unabhängig davon bleiben Aktien aus mehreren Gründen im Fokus. „Die Zinsen bleiben verschwunden“, sagt Ökonom Kater. „Durch die Coronakrise noch mehr als vorher.“ Die Verschuldung der Staaten steige. Damit müsse die Geldpolitik die Zinsen niedrig halten. „Ein Hoffen auf die Rückkehr von Zinsen auf den Sparbüchern ist damit unrealistisch.“

Andere Ökonomen erwarten auf Jahre keine Leitzinserhöhung durch EZB. Auch Anleihen sind mit Blick auf den Zins unattraktiv: Die Rendite auf Bundesanleihen ist deutlich negativ. Ähnlich sieht es bei französischen Staatspapieren aus. US-Staatsanleihen bringen derzeit nur rund 0,6 Prozent.

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Trotz der Krise ist viel Geld im Umlauf, das nach Anlagemöglichkeiten sucht. Da haben viele Investoren solide Aktien im Blick. Das stützt die Kurse. Ohnehin gibt es neben der Gesundheits- und Medizinbranche andere Sektoren, die auch von der Krise profitieren.

"Anstieg der Inflation nicht wahrscheinlich"

Viel Liquidität in Wirtschaft und Finanzmärkten deuten eigentlich auch auf steigende Inflation hin, was wiederum gegen Aktien sprechen würde. Auch die ist aber weit und breit nicht zu sehen. In vielen Industriestaaten liegen die Inflationserwartungen auf dem niedrigsten jemals gemessenen Niveau – wegen der Zentralbanken und auch wegen des dramatisch gefallenen Ölpreises. Konsumenten werden sich nach der Krise eher zurückhalten, ergänzt Markus Demary vom Institut der Deutschen Wirtschaft. „Insgesamt ist ein Anstieg der Inflation nicht wahrscheinlich.“ Vielmehr könne Corona sogar in die Deflation führen.

Auch wenn der Goldpreis in den letzten Wochen deutlich gestiegen ist, weil das Edelmetall als „sicherer Hafen“ gilt: Als wirklich Anlage-Alternative sehen es Experten nicht. Edelmetalle-Preise könnten der Entwicklung des Ölpreises und der schlechten Entwicklung beim Sozialprodukt folgen, sagt Youn-Cong Choi von Edelmetall-Unternehmen Heraeus.

Nicht ausgeschlossen ist, dass das viele Anlagegeld zu Fehlentwicklungen führt. „Angesichts einer nahezu nicht existenten Inflationsgefahr könnte die Liquidität noch deutlich verstärkt werden. Dies allerdings birgt die Gefahr, dass sich an den Märkten blasen bilden“, sagt Investment-Stratege Berranger. Das wiederum sehen andere Beobachter nicht. Die Erholung an den Aktienmärkten sei brüchig, betont Dave Lafferty von Natixis Investment. Er sieht nicht, dass der „historisch heftigste Schlag für die Weltwirtschaft“ schon nach wenigen Wochen verdaut ist. „Die Marktteilnehmer unterschätzen nach wie vor, wie lange und heftig die Auswirkungen des globalen Shutdowns anhalten werden.“

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