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Zu wenig Ruhezeit? Der Marburger Bund möchte verlässlichere Regelungen für Klinikärzte.

© Santiago Nunez / Photocase

„Trauerspiel für die Versorgung“: Bundesländer lassen Krankenhäuser im Stich – so fehlen ihnen Milliarden

Seit Jahren kommen die Länder ihren Verpflichtungen in puncto Investitionskosten nicht nach. 2020 war der Bedarf wieder doppelt so hoch wie die Zahlungen.

Sie ist ein Dauerärgernis für die Betreiber, zwingt sie zu teilweise abenteuerlicher Querfinanzierung und macht manchem Klinikum auch ungewollt den Garaus: die viel zu gering ausfallende Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser durch die Bundesländer.

Im Jahr 2020 sind die Bundesländer ihrer Pflicht, den Kliniken notwendige Investitionen zu bezahlen, erneut nicht annähernd nachgekommen. Gerade mal etwas mehr drei Milliarden Euro machten sie dafür im ersten Pandemiejahr locker – obwohl der Investitionsbedarf bei mehr als dem Doppelten, nämlich gut sechs Milliarden Euro, gelegen hat.

Das ist einer aktuellen Bestandsaufnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Damit setze sich „das seit drei Jahrzehnten anhaltende Problem der chronischen Unterfinanzierung der Kliniken im Investitionsbereich fort“, klagt der Verband. Inflationsbereinigt habe sich die Fördersumme seit 1991 „beinahe halbiert“.

Bei den Investitionen, deren Finanzierung die Ländern so schleifen lassen, geht es etwa um bauliche Erweiterungen und Sanierungen, um Modernisierung von OP-Sälen und anderer Medizintechnik oder auch um die Kosten der Digitalisierung. Um dennoch über die Runden zu kommen, werden in den Kliniken dafür dann aus der Not heraus oft Gelder verwendet, die eigentlich für die Patientenversorgung gedacht sind – und dort dann am Ende auch wieder fehlen. Das Ergebnis sind dann Einsparungen am Personal.

„Ein Trauerspiel für die stationäre Versorgung“

Wenn Kliniken aus wirtschaftlichen Gründen schließen müssten, spielten die ausbleibenden Investitionskosten „immer eine maßgebliche Rolle“, sagt DKG-Vorstandschef Gerald Gaß. „Dieser kalte Strukturwandel durch Unterfinanzierung war schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein Trauerspiel für die stationäre Versorgung.“

Dass es so nicht weitergehe, hätten die vergangenen zwei Jahre nochmals untermauert. „Solange Bund und Länder ihren gesetzlichen Pflichten zur Finanzierung der Krankenhäuser nicht nachkommen, bleiben alle Zusicherungen der Politik zur Verbesserung der Lage in den Krankenhäusern Sonntagsreden.“

Konkret hat sich der „bestandserhaltende Investitionsbedarf“ der Krankenhäuser in Deutschland, dem Bericht zufolge, von 6,1 Milliarden im Jahr 2019 über 6,2 Milliarden im Jahr 2020 auf 6,3 Milliarden Euro im Jahr 2021 erhöht. Zur Verfügung gestellt wurden den Kliniken von den Ländern im Jahr 2020 jedoch lediglich rund 3,27 Milliarden.

Das Gesamtvolumen der nominalen KHG-Mittel auf Bundesebene liege damit zwar leicht oberhalb des langfristigen Durchschnitts der Jahre 1991 bis 2020, heißt es in der fast 200 Seiten langen Zustandsbeschreibung. Es entspreche allerdings einem realen Wertverlust von rund 44,4 Prozent gegenüber dem Jahr 1991.

Schleswig-Holstein investiert am meisten

Dabei sanken die Fördermittel in den ostdeutschen Ländern im Vergleich zu 1991 am stärksten. Spitzenreiter war hier im Jahr 2020 Sachsen-Anhalt mit einem realen Minus von 80,5 Prozent – gefolgt von Berlin (minus 77,9 Prozent), Sachsen (minus 74,8 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (minus 73,6). Allerding ist hier zu berücksichtigen, dass in diesen Ländern nach der Wende auch besonders viel investiert wurde.

Insofern ist der Blick in den Westen aussagekräftiger. Hier zogen sich das Saarland und Rheinland-Pfalz am stärksten aus der Förderung zurück, sie kamen im Vergleich zu 1991 auf Minuswerte von 49,2 beziehungsweise 41,7 Prozent. Es folgen Bayern (minus 40,1), Nordrhein-Westfalen (minus 36,6), Bremen (minus 36,3) und Niedersachsen (minus 22,3). Erhöht haben sich die Investitionsausgaben lediglich in Hessen und Schleswig-Holstein, das Plus betrug dort 4,9 beziehungsweise 4,1 Prozent.

Bei der Krankenhaus-Investitionsquote, welche die Investitionsmittel im Verhältnis zu den bereinigten Krankenhauskosten beschreibt, gibt es bisher nur Zahlen aus dem Jahr 2019. Hier lag Schleswig-Holstein mit 4,3 Prozent an der Spitze, gefolgt von Bayern (4,2), Hessen und Baden-Württemberg (jeweils 3,9) sowie Brandenburg (3,8). Am unteren Ende befanden sich Berlin und Sachsen-Anhalt mit jeweils 1,7 Prozent sowie knapp darüber Thüringen und das Saarland mit jeweils 2,2 Prozent. 

Bei den Fördermitteln pro Krankenhausbett thront Hamburg an der Spitze, der Stadtstaat gab im Jahr 2019 dafür 10.548 Euro aus. Es folgen Schleswig Holstein (10.519 Euro) und Bayern (10.152 Euro). Ganz unten in der Tabelle steht hier Sachsen-Anhalt mit 3.787 Euro. Auf dem zweitschlechtesten Platz befindet sich Thüringen (4.263 Euro), knapp darüber Berlin mit 4.828 Euro.

Zukunftsfonds als kleiner Lichtblick

Ein Lichtblick sei, dass der Krankenhauszukunftsfonds mit vier Milliarden Euro die Digitalisierung in den Kliniken unterstütze, sagt Gaß. Die Daten- und Meldeproblematik bei wichtigen Kennziffern zur Corona-Pandemie sei „entscheidend auf die mangelhafte Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens zurückzuführen“, so der DKG-Vorstandschef.

Hier müsse allen klar sein, dass der Zukunftsfonds nur einen Impuls gebe, die Finanzierung der Digitalisierung jedoch verstetigt werden muss. Gleichzeitig appelliert Gaß an den Bund, die Investitionskostenfinanzierung in ausreichendem Umfang und auch langfristig verlässlich zu sichern. Die Länder, so sagte er, könnten „die Lasten offenbar kaum aus eigener Kraft stemmen“.

Am Ende der Kette: Um ihre Investitionen bestreiten zu können, sparen die Kliniken am Personal.
Am Ende der Kette: Um ihre Investitionen bestreiten zu können, sparen die Kliniken am Personal.

© dpa/Waltraud Grubitzsch

Allerdings würde eine stärkere Mitfinanzierung des Bundes auch mehr Mitspracherechte bei der Krankenhausplanung bedeuten. Bislang wagt sich die Ampel-Koalition an eine solche Veränderung nicht heran. Im Erstentwurf des Koalitionsvertrags war zwar bereits die Rede von einer stärkeren Beteiligung des Bundes an den Investitionskosten. Diese Passage flog dann aber zum Bedauern von Krankenhausbetreibern und gesetzlichen Krankenversicherern wieder heraus.

Der Bund sei „in der Pandemie zum wesentlichen Akteur geworden und sollte es auch bleiben“, sagte das für die Krankenhäuser zuständige Vorstandsmitglied des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung, Stefanie Stoff-Ahnis, vor Kurzem im Interview mit Tagesspiegel Background. Sie hofft nun, wie viele andere, zumindest auf die im Koalitionsvertrag versprochene Vorhaltefinanzierung durch den Bund als Ergänzung zu den Fallpauschalen – „nach bundeseinheitlichen Kriterien und mit Direktzahlung an die Krankenhäuser“.

Seit 1991 ist jedes fünfte Krankenhaus verschwunden

Ansonsten liefert der DKG-Bericht auch einen Überblick zur Entwicklung der Krankenhauslandschaft in den vergangenen knapp 30 Jahren. Demnach sank die Zahl der Kliniken von 1991 bis 2019 von 2411 auf 1914 Häuser – ein Minus von rund 21 Prozent. Die Zahl der Betten verringerte sich im gleichen Zeitraum von 582.893 auf 429.458. Zudem sank die sogenannte Bettendichte, die als Anzahl der aufgestellten Betten je 10.000 Einwohner definiert ist, von 83,2 auf 59,5.

Dem Rückgang der Krankenhaus- und Bettenzahlen steht ein erheblicher Anstieg stationärer Behandlungsfälle gegenüber. So stieg die Fallzahl von 14,6 auf 19,4 Millionen. Das entspricht einer Steigerung um 34 Prozent. Dabei liegt die Zahl der Beschäftigten (Vollkräfte im Jahresdurchschnitt) mit einem Plus von sechs Prozent nur geringfügig über der von 1991. Bis zum Jahr 2006 ist sie beständig gesunken, danach wieder konstant gestiegen. Die Verweildauer betrug im Jahr 2019 7,2 Tage gegenüber 14 Tagen im Jahr 1991.

Immer mehr private Träger

Deutliche Veränderungen gab es auch bei der Verteilung der Krankenhäuser auf öffentliche, freigemeinnützige und private Träger. Befanden sich 1991 noch 46 Prozent der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft, so waren es im Jahr 2019 nur noch knapp 29 Prozent. Der Anteil der privaten Krankenhausträger stieg im selben Zeitraum von 15 Prozent auf 38 Prozent.

Der Anteil der freigemeinnützigen Kliniken blieb relativ konstant, er sank lediglich um fünf Punkte auf 34 Prozent. Der Anteil der privaten Träger fällt allerdings deutlich niedriger aus, wenn als Bezugsgröße nicht die Anzahl der Häuser, sondern die der Betten herangezogen wird. Dann nämlich beträgt der Anteil in privater Trägerschaft aktuell nach wie vor lediglich 19 Prozent.

Auf den höchsten Anteil privat betriebener Krankenhäuser kommt dem Bericht zufolge Hamburg mit 71,7 Prozent – gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (59,5 Prozent) und Berlin (58,6 Prozent). Die meisten öffentlichen Träger haben Bayern (42,7 Prozent), Sachsen (41,6 Prozent) und Brandenburg (37,9 Prozent). Den höchsten Anteil an freigemeinnützigen Kliniken gibt es in Nordrhein-Westfalen (65,1 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (58,6 Prozent) und dem Saarland (54,2 Prozent).

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