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Der Inhalt einer Urne ist steril - anders als der eines Sargs.

© Doris Spiekermann-Klaas

Trauerkultur: Mehr Freiheit für die Asche

Der Europäische Gerichtshof stärkt private Unternehmer im Bestattungsgewerbe - und mehrt damit Zweifel am deutschen Friedhofszwang. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

In Deutschland ist es Trauernden leider nur selten vergönnt, einen geliebten Verstorbenen noch über dessen Tod hinaus in den Arm nehmen zu dürfen. Es herrscht Friedhofszwang. Verständlich bei Leichen, die verwesen und dabei Giftstoffe freisetzen. Aber wie ist es mit der Asche? Zwei bis drei Kilo ist die Kapsel schwer, vom Krematorium amtlich versiegelt. In anderen Ländern glänzen Porzellanurnen vom Kaminsims, hierzulande muss die Asche meist unter die Erde oder, seltener, oberirdisch bestattet werden, in einem Kolumbarium. Bestattungsrecht ist Landesrecht. Das Asche-Begräbnis im eigenen Garten ist bisher nur in Bremen möglich.

Unruhe im stillen Geschäft

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann etwas Unruhe in das überaus stille Geschäft bringen, dank Antonia Dall’Antonia. Die Italienerin aus Padua verklagte ihre Gemeinde auf die Erlaubnis, den eingeäscherten Ehemann dauerhaft bei einem privaten Dienstleister unterzubringen. Dieser hört auf den passenden Namen Memoria und stellt kostenpflichtig geschützte Gedenkräume bereit, mitsamt Urne. Laut Gemeindeverordnung in Padua ist die Überlassung der Urne an solche gewerblichen Dienste jedoch verboten; es dürfen nur Angebote der öffentlichen Hand angenommen werden.

Obwohl kein grenzüberschreitender Fall vorliegt, sehen die Richter Europarecht berührt. Laut EU-Vertrag darf die Niederlassungsfreiheit nur ausnahmsweise beschränkt werden. Wenn Firmen aus anderen EU-Staaten zu erlauben wäre, was Memoria anbietet, müsste es auch italienischen Firmen genehmigt werden, so die Folgerung (Az.: C-342/17).

Geld ist kein Argument

Den Schutz der öffentlichen Gesundheit ließen die Richter nicht gelten. Anders als sterbliche Überreste weise Asche keine biologisch-chemische Reaktionsbereitschaft auf, sie sei durch die Hitze steril geworden. Die Achtung des Andenkens? Da gibt es weniger einschränkende Maßnahmen, heißt es, schließlichen könnten die privaten Dienstleister verpflichtet werden, Aufbewahrung und Gedenken ähnlich würdevoll zu gestalten wie öffentliche Friedhöfe.

Die Friedhöfe als Plätze von Natur und Stille und Gedenken sollen hoffentlich nicht den grassierenden egomanischen Einzelinteressen geopfert werden! Der Tote gehört niemandem, auch nicht den Angehörigen - die Würde der Toten braucht den Schutz des Gemeinwesens!

schreibt NutzerIn Zweiglein

Auch dem letzten Argument des italienischen Staats, der mit religiös-moralischen Werten angeblich unvereinbaren unternehmerischen Gewinnerzielungsabsicht von Memoria, zogen die Richter die Wurzel: Schließlich verlangten auch die Friedhöfe Gebühren, was offenbar nicht als verwerflich angesehen werde. Unternehmen könnten ähnlichen Gebührenregelungen unterworfen werden.

Die Gesetzgeber stellen sich tot

Was bedeutet das für Deutschland? Auch hier müsste es Unternehmen wie Memoria erlaubt sein, ihren Service anzubieten. Und dann bliebe die Frage, weshalb Bürgerinnen und Bürger dies nicht auch gleich selbst erledigen dürfen. Der Friedhofszwang hat sich für Urnenbestattung längst überlebt. Doch die Gesetzgeber in den Ländern, die stellen sich tot.

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