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Hunderttausende Aushilfsjobs sind diesen Sommer in Spanien geschaffen worden, um den Andrang der vielen Touristen zu bewältigen. Foto: rtr

© REUTERS

Tourismus: Spanien, das Land der Kellner

Wegen der Touristen explodiert die Zahl der Aushilfsjobs in Spanien – Barcelona wird die eigene Beliebtheit langsam zu viel.

Spanien erstaunt in diesem Sommer mit überraschend guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt. Hunderttausende neue Jobs wurden in den vergangenen Monaten geschaffen. Es scheint zunächst wie ein Segen in dem Land, wo der große Immobiliencrash vor fast einem Jahrzehnt das Königreich in eine tiefe Schulden- und Wirtschaftskrise zog – und Millionen Menschen arbeitslos wurden.

Vor allem die ausländischen Urlauber, die in das südeuropäische Land kommen, sind der Grund dafür, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Hotels und Restaurants auf Mallorca, an der Mittelmeerküste und auf den Kanaren platzen aus allen Nähten und stellten jede Menge Personal ein. Allerdings sind die meisten neuen Stellen Aushilfsjobs, um den saisonabhängigen Andrang zu bewältigen. Jobs mit Minilöhnen zwischen 500 und 1000 Euro, von denen die Arbeitgeber einen Teil meist schwarz bezahlen, um Sozialabgaben zu sparen. Und mit Zeitverträgen, damit die Helfer nach Ende des Sommergeschäfts problemlos entlassen werden können.

Die Spanier haben für diese Art der prekären Beschäftigung eine treffende Beschreibung gefunden: „contratos basura“ (Müllverträge). Mehr als 90 Prozent aller neuen Arbeitsverhältnisse in Spanien sind solche Müllverträge. Für viele Arbeitslose sind sie der einzige Ausweg, um sich vorübergehend ein paar Euro zu verdienen. Unzählige junge Universitätsabsolventen jobben gerade als Kellner, Küchenhelfer oder Hoteldiener. „Spanien ist auf dem Weg, sich in ein Land der Kellner zu verwandeln“, titelte dieser Tage die nationale Tageszeitung „El Mundo“. In ein Königreich des Prekariats, der billigen und sozial nicht abgesicherten Arbeitskräfte. Zwar wird die Arbeitslosenstatistik verbessert. Die Renten- und Steuerkassen profitieren aber nicht.

Die Stimmung in Barcelona kippt

Barcelona zieht besonders viele Touristen an. 30 Millionen besuchten 2015 die Stadt mit 1,6 Millionen Einwohnern. 2016 soll die Zahl um zehn Prozent zunehmen. Eine Folge ist, dass Bewohner gegen die „Invasion“ auf die Barrikaden gehen – und Bürgermeisterin Ada Colau jetzt die Notbremse zieht: Colau verhängte ein Moratorium für neue Hotels und Touristenappartements, die sich in den vergangenen Jahren vervielfachten. Und sie droht Vermietungsplattformen wie Airbnb mit hohen Strafen, wenn illegale Wohnungen – ohne die notwendige Lizenz – vermarktet werden.

„Die Stimmung in der Stadt kippt um“, warnen Bewohner in Leserbriefen an die lokalen Zeitungen. „Das ist nicht mehr unser Barcelona.“ An Fenstern in der Altstadt hängen Transparente wie „Stoppt den Massentourismus“, „Nicht noch mehr Hotels“ oder „Der Tourismus tötet das Leben im Viertel“. Der Protest setzt sich fort auf vielen Hauswänden, die mit eindeutigen Sprüchen wie „Tourist, go home!“ verziert sind. Das Resümee einer städtischen Umfrage lautet: „Die Tourismusphobie in Barcelona nimmt zu.“

Altstadt gleicht einem Vergnügungspark

Einwohner kämpfen derweil in einer Bürgerinitiative, die sich „für einen nachhaltigen Tourismus“ einsetzt: Die Einheimischen beklagen, dass wegen des Besucherbooms Mieten und Immobilienpreise explodieren. In einigen Gebieten im historischen Zentrum gebe es inzwischen mehr Touristenbetten als einheimische Bewohner. „Die Geschäfte, in welchen die Bewohner bisher einkaufen gingen, verschwinden“, klagt ein Sprecher der Bürgerbewegung. Stattdessen schießen Souvenirshops und Schnellrestaurants aus dem Boden. Die Altstadt gleiche immer mehr einem Vergnügungspark. „Dort, wo sich der Tourismus breitmacht, verschwinden alle anderen Sektoren.“ Die Rambla, die beliebte Flaniermeile der Stadt, habe sich in einen Touristenbasar verwandelt, wo man heute von Urlaubermassen und von den bei Fremden populären Segways buchstäblich überrollt werde.

Barcelonas Bürgermeisterin Colau warnt davor, dass der Besuchermagnet Barcelona wie das gewaltig boomende Tourismusland Spanien am eigenen Erfolg zugrundegehen könnten. „Wir haben uns als eines der weltweiten Topreiseziele konsolidiert“, sagt sie. „Doch unkontrolliertes Wachstum könnte die Blase auch zum Platzen bringen.“

Ende der Krise ist nicht in Sicht

Obwohl Spanien bei Touristen so beliebt ist wie nie, erholt sich das Land auf sehr niedrigem Niveau: Noch immer ist das südeuropäische Land gleich nach Griechenland das EU-Schlusslicht in Sachen Arbeitslosigkeit. Knapp 20 Prozent der aktiven Bevölkerung steht ohne Beschäftigung auf der Straße. Bei den unter 25-Jährigen sind es 46 Prozent. Das ist für Millionen Familien ein soziales Drama – zumal die meisten keine staatliche Hilfe bekommen.

Von einem Ende der Krise ist das Land, in der fast jeder dritte Haushalt von Armut bedroht ist, weit entfernt. Die Wirtschaft wird Jahre wachsen müssen, damit Spanien wieder jene Stufe des Wohlstands erreicht, auf der es vor dem großen Bau- und Bankencrash stand. Dass es in ganz Spanien bisher nicht zu sozialen Unruhen kam, ist vermutlich nur der großen Solidarität der Familien zu verdanken. Vor allem die Großeltern, die mit ihren Pensionen und Ersparnissen ganze Großfamilien durchschleppen, sind zum wichtigsten sozialen Netz geworden. Spaniens Omas und Opas, schrieb die Zeitung „El Mundo“, seien „die stillen Helden“ der spanischen Wirtschaftskrise.

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