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Tijen Onaran und Franziska Brantner im Interview: „Ich bin auf allen Ebenen und in allen Bereichen für Quoten“

Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner und Unternehmerin Tijen Onaran über Gleichberechtigung, Unternehmenskultur und Frauenrechte in Kriegszeiten.

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Frau Onaran, Frau Brantner, am Dienstag ist Frauentag. Ist gerade die richtige Zeit, um über Frauenrechte in Deutschland zu sprechen, wenn in Europa wieder Menschenleben durch Krieg bedroht sind?
Tijen Onaran: Jetzt erst recht. Der Krieg ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Es ist eben nicht selbstverständlich, seine Meinung sagen zu können, für diverse Menschen einzustehen und für mehr Frauen in Führungspositionen, als Gründerinnen, in der Politik und überall. Wenn ich Annalena Baerbock in diesen Tagen beobachte, bin ich sehr froh, dass wir eine Frau als Außenministerin haben, die eine klare Haltung zu dem Krieg einnimmt und das auch kommuniziert.
Franziska Brantner: Frieden und Menschenrechte sind gleichzeitig unter Beschuss. Demokratie und Menschenrechte sind zentrales Fundament des Friedens und Frauenrechte werden überall in Europa wieder attackiert, deshalb müssen wir uns gerade in dieser Zeit für sie einsetzen. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein großes Thema sind, etwa in den sozialen Medien. Frauen gehen in all ihrer Vielfalt stark nach vorne, um Dinge voranzutreiben und mitzubestimmen. Unser Job ist es, sie dabei unterstützen, ihre Rechte und Teilhabe zu stärken.

Ist die Zeit reif für einen großen Wandel?
Onaran: Ich sage nur „Münchner Sicherheitskonferenz“. Das Foto, das per Social Media durch die Welt ging, der lange Tisch, an den nur männliche Entscheidungsträger geladen waren – viele Menschen haben das geteilt, auch weil es so absurd und unzeitgemäß wirkte. Wir haben das Jahrzehnt der Diversität, das Thema ist nicht mehr wegzudenken aus der Gesellschaft. Für viele Frauen ist es viel selbstverständlicher, für sich und andere Frauen einzustehen.

Sie sagen beide, das Thema wird plötzlich von allen Seiten großgeschrieben. Selbst Männer geben sich vermehrt als Feministen aus, Unternehmen schmücken sich damit, divers zu sein. Trotzdem verdienen Frauen im Schnitt immer noch 18 Prozent weniger in der Stunde als Männer. Ist das ganze Gerede nur Show?
Onaran: Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, dass ich beim Thema Diversität ein riesengroßes Selbstgespräch führe und wir uns in den sozialen Medien im Kreis drehen. Als Beraterin arbeite ich mit vielen Unternehmen zusammen und sehe, dass es eine riesengroße Diskrepanz gibt zwischen dem öffentlichen Diskurs und der Lebensrealität. Das Verständnis für Diversität ist dort nur punktuell angekommen.

Franziska Brantner (Grüne) ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Franziska Brantner (Grüne) ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

© Foto: Imago Images/Photothek/Thomas Trutschel

Und hören die Ihnen dann zu?
Onaran: Viele Menschen aus der Wirtschaft schreiben mich an, um sich „mal mit mir zu unterhalten“. Wirklich interessiert an dem Thema sind viele aber nicht. Es wirkt auf mich eher, als würden sie sich mit jemanden schmücken wollen, der für Diversität steht. Ich schaue dann im Geschäftsbericht nach, ob ein Unternehmen sich wirklich auf den Weg macht, konkrete Diversitätsziele formuliert und entsprechende Maßnahmen entwickelt - oder ob das eine reine „Pinkwashing-Geschichte“ ist, durch die das Unternehmen und vor allem der CEO gut dastehen soll.
Brantner: Ich nenne Ihnen zwei Zahlen, die ich äußerst beunruhigend finde. Der Anteil an Frauen bei Start-up-Gründungen in Deutschland liegt bei nur rund 18 Prozent. Das heißt, nur 18 von 100 Firmen, die unsere Unternehmenskultur und den Reichtum Deutschlands stark prägen, werden von Frauen gestaltet. Das reicht ganz und gar nicht. Die zweite Zahl: Nur 1,6 Prozent der Frauen-Teams nehmen Venture Capital in Anspruch. Bei den Männern sind es 17,6 Prozent. Einen Unterschied belegt auch der Start-up-Report der Kfw-Bank. Das liegt sicher nicht daran, dass Frauenprojekte per se schlechter sind. Und hier noch eine dritte Zahl: 97 Prozent der Venture-Capital-Firmen sind von Männern geführt, 97 Prozent! Das muss man sich mal vorstellen. Gerade beim Thema Diversität sind das aber doch ganz wichtige Fragen: Wer landet in den Führungspositionen, in Vorständen und Aufsichtsräten? Wer gründet Unternehmen? Wer kriegt Kapital, geht an die Börse?

Die Stellschrauben der Politik haben bisher wenig gebracht. Das Entgelttransparenzgesetz, das große Firmen verpflichtet, auf Anfrage offenzulegen, ob Männer in vergleichbaren Positionen mehr verdienen als Frauen, wird kaum in Anspruch genommen. Eine europäische Richtlinie wurde bislang von Deutschland blockiert. Die beiden Führungspositionengesetze, die mehr Frauen in Aufsichtsräte und Vorstände bringen sollen, haben zwar etwas bewegt, aber nach wie vor sitzt in den Vorständen von 81 der 160 börsennotierten Unternehmen keine einzige Frau. Was läuft falsch?
Brantner: Mit Blick auf die europäische Richtlinie zu Frauen in Führungspositionen sind wir jetzt auf einem sehr guten Weg, um endlich die deutsche Blockade aufzuheben. Diese rechtlichen Grundlagen halte ich für sehr wichtig, auch wenn sie nicht immer weit genug gehen und verbessert werden müssen.

Was kann die Politik dafür tun, dass Frauen leichter an Startkapital kommen?
Brantner: Deutschland vergibt zum Beispiel über den Hightech-Gründerfonds selbst Kapital an junge Unternehmen. Unser Ministerium benennt Vertreterinnen für die Investitionskomitees. Ich habe mir vorgenommen, dass wir bei der nächsten Neubenennung von Mitgliedern mindestens paritätisch Frauen nachbesetzen werden.
Onaran: Aus meiner Erfahrung als Start-up-Investorin kann ich nur bestätigen, dass der Zugang zum Geld sehr schwer ist. Als ich vor fünf Jahren mein Unternehmen gründete wurde mir gesagt, dass meine Strategie, in Frauen zu investieren, keine Investment-Strategie sei und dass Diversität nichts mit Business zu tun hat. Diese Denke ist auf der Seite vieler Kapitalgeber noch da, weil sie häufig aus den gleichen Kreisen kommen, zusammen an einer namhaften Businesshochschule studiert haben. Jemand wie ich, die auch noch Migrationsvordergrund hat, deren Eltern nicht so viel Cash auf dem Konto haben, finden da kaum Zugang.

Und heute?
Onaran: Heute habe ich mehrere Unternehmensgründungen hinter mir und Beziehungen, die ich mir hart erarbeiten musste. Deshalb ist es so wichtig, dass Kapitalgeber divers aufgestellt sind. Gründerinnen brauchen nicht mehr Mut, sie brauchen auch kein spezielles Programm, in dem ihnen beigebracht wird, wie sie sich besser darstellen und promoten. Sie brauchen ganz einfach gleiche Chancen auf Kapital.

Braucht es dafür noch mehr Quoten?
Onaran: Es würde enorm helfen, wenn auch Leistungskennzahlen von Unternehmen, anhand derer ihr Fortschritt gemessen wird, an Quoten gebunden sind. Dann müssten sich Unternehmensführer rechtfertigen, wenn sie diese Ziele nicht erfüllen. Wenn du kein Ziel formulierst, kannst nicht daran gemessen werden. Und ohne diesen Druck funktioniert es nicht. Vor fünf Jahren habe ich selbst noch gedacht, dass kein Mensch die Frauenquote braucht. Heute denke ich da ganz anders. Ich bin auf allen Ebenen und in allen Bereichen für Quoten, bei der Besetzung von Entscheidungsgremien, bei Besetzungen in der Politik, in der Wirtschaft, beim Film und in der Kultur.

Der Weltfrauentag hat 2022 das Motto „Gendergleichheit heute für eine nachhaltige Welt von morgen“. Sind Frauen wirklich nachhaltiger?
Brantner: Frauen sind sicher nicht die besseren Menschen und nicht per se friedlicher, ökologischer, nachhaltiger. Das behauptet auch keiner. Aber die Hälfte der Macht gehört Frauen und Diversität, unterschiedliche Herkünfte und Sozialisierungen versprechen ein Mehr an Perspektiven und das führt zu besseren Entscheidungen und, aus ökonomischer Sicht, auch zu erfolgreicheren und of nachhaltigeren Problemlösungen. Studien zeigen, dass Frauen eher in sozialen Bereichen gründen und sich nicht noch eine weitere Lieferapp oder eine Game-App ausdenken. Frauen planen häufig langfristiger, finanziell nachhaltiger und nutzen zunächst kleinere Summen an Kapital, bauen Unternehmen langsamer auf. Deshalb sind sie für die großen Kapitalmärkte weniger interessant.

Was kann man daran ändern?
Brantner: Wir wollen jetzt Programme auflegen, die sich an Bedarfen weiblicher Teams orientieren und checken gerade im Ministerium, wie wir die existierenden Förderprogramme und Preise stärker auf Frauen ausrichten, sehen uns an, wie die Ausschreibungen gemacht sind, wie sie formuliert sind. Fühlen sich Frauen da überhaupt angesprochen? Sind zum Beispiel Elternzeiten möglich? Ganz wichtig nochmal: In Gremien, in denen über Kapital bestimmt wird, muss Diversität am Tisch sitzen. Dafür werde ich mich gezielt einsetzen.

Gilt das nur für Start-ups oder auch für Mittelstandsprogramme? Kriegen Mittelständler nur noch Geld vom Staat, wenn sie sich diverser aufstellen?
Brantner: Es ist überall wichtig darauf zu achten, welche inhaltlichen Gebiete gefördert werden und welche Kriterien für eine Teilnahme entscheidend sind. Dabei geht es nicht darum, jetzt alle Programme komplett neu zu machen. Die Frage ist, wie kann man sicherstellen, dass wir alle potenziellen Unternehmer:innen ansprechen und nicht einige schon durch die Ausgestaltung de facto rausfallen.

Tijen Onaran ist Unternehmerin, Moderatorin und Autorin, die sich international für Digitalisierung und die Sichtbarkeit von Frauen in der Wirtschaft engagiert. Sie ist CEO des Beratungs- und Netzwerkunternehmens Global Digital Women.
Tijen Onaran ist Unternehmerin, Moderatorin und Autorin, die sich international für Digitalisierung und die Sichtbarkeit von Frauen in der Wirtschaft engagiert. Sie ist CEO des Beratungs- und Netzwerkunternehmens Global Digital Women.

© Andrea Heinsohn Photography

Frau Onaran, wie steht es um die Diversität des Mittelstandes?
Onaran: Dort komme ich mir heute oft noch vor wie ein Alien, der eingeflogen kommt, um Diversität zu verbreiten. Ich werde dort als Hardcorefeministin gesehen. Dabei ist Diversität ein Treiber für Innovation, ein Wettbewerbsvorteil. Das wird häufig nicht gesehen. Und wenn die Politik da massiv drauf pocht, kann ich das nur begrüßen. Wenn es um den Gender Pay Gap geht, reden wir ja weniger über Führungskräfte und Gründerinnen als über Pflegerinnen, Erzieherinnen und Minijobberinnen, die schlechter bezahlt werden als Männer. Es geht um die ganz normalen Frauen, die den wirklich großen Lohnunterschied ausmachen. Was können wir für sie tun?
Brantner: Auf europäischer Ebene laufen die Verhandlungen zu der Richtlinie für Entgelttransparenz. Sie hat zum Ziel, sicherzustellen, dass Frauen für die gleiche und die gleichwertige Arbeit gerecht und gleichwertig bezahlt werden. Es wäre für mich ein Meilenstein, wenn wir es im Rahmen dieser europäischen Richtlinie schaffen, ein gutes europäisches Gesetz hinzubekommen mit einklagbaren Rechten, guten Verfahren und nicht nur für uns in Deutschland, sondern europaweit einen Unterschied machen können.

Das Gesetz, das es schon gibt, wird aber wie gesagt nicht viel genutzt.
Brantner: Das ist richtig, da braucht es eine Veränderung, da arbeiten wir bereits dran. Der Gedanke, den wir gerade in die europäischen Verhandlungen einbringen, ist der: Unternehmen, die nachweislich zeigen, dass sie sich darum kümmern, dass sie Pläne haben und Instrumente, mit denen sich mehr Lohngleichheit in ihrem Unternehmen erreichen lässt, könnten zum Beispiel bei der regelmäßigen Berichtspflicht entlastet werden. Und die Unternehmen, die nichts machen, müssen auch häufiger berichten. Ein anderer Hebel ist das Elterngeld…

…das derzeit überwiegend von Müttern genutzt wird…
Brantner: Hier wollen wir Anreize schaffen, dass mehr Väter für längere Zeit in Elternzeit gehen. Das ist auch ein altes Projekt aus meiner Zeit als familienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Die Idee ist, dass wir die Aufteilung paritätischer gestalten, indem es mehr obligatorische Monate für jedes Elternteil gibt. Denn wir sehen, dass sich Modelle, wenn sie sich erst einmal eingespielt haben, eher auch so fortgesetzt werden.

Wie wichtig ist es, dass man auch Männer empowert für mehr Diversität?
Brantner: Sehr. Sie sind auch Voraussetzung dafür, dass es überhaupt eine Gleichberechtigung geben kann.
Onaran: Ohne Männer, beziehungsweise ohne dass jede*r einen Beitrag für mehr Gleichberechtigung leistet, werden wir es nicht schaffen! Wir müssen uns gemeinsam auf den Weg machen, für eine gerechtere und gleichberechtigtere Gesellschaft.

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