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Gefährdete Sparte. Stahlarbeiter bei Thyssen-Krupp.

© AFP

Thyssen-Krupp in der Krise: Die unendliche Sanierung

Thyssen-Krupp macht Milliardenverlust und streicht weitere 5000 Stellen. Entscheidung über den Stahlbereich im Frühjahr.

Thyssen-Krupp hat bittere Jahre hinter sich, doch das Schlimmste kommt noch. Die Vorstandsvorsitzende Martina Merz kündigte am Donnerstag an, bei der Sanierung des Konzerns „noch weiter in den roten Bereich gehen“ zu wollen. 5000 Arbeitsplätze werden zusätzlich abgebaut. Bislang sollten 6000 Stellen bis 2022 gestrichen werden, diese Zielgröße wird nun auf 11 000 bis 2023 erhöht. „Das ist der größten Mitarbeiterabbau seit Bestehen von Thyssen-Krupp, sagte Personalvorstand Oliver Burkhard und nannte die 11 000 „eine Momentaufnahme“. Es können also noch mehr werden, denn „der Druck ist gewaltig“, wie Burkhard sagte.

Der Staat soll helfen

Der Konzern stellt weitere Tochterunternehmen und Geschäftsbereiche zum Verkauf und kündigte für das Frühjahr kommenden Jahres eine Entscheidung über die Stahlsparte an. Sofern der Stahl im Konzern bleibt, wünscht sich der Vorstand Unterstützung durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den die Bundesregierung zur Abfederung von Coronafolgen eingerichtet hat. „Das wäre eine große Hilfe“, sagte Merz. Eine staatliche Beteiligung komme indes nicht in Betracht.

Aktie stürzte ab

Die Vorstandsvorsitzende stellte gemeinsam mit Burkhard und Finanzvorstand Klaus Keysberg die Bilanz des vergangenen Geschäftsjahres (zum 30.9.) vor: Der operative Verlust betrug knapp 1,7 Milliarden Euro, davon stammte knapp eine Milliarde aus dem Stahlbereich. Im neuen Jahr peilt der Vorstand einen Konzernverlust „im mittleren dreistelligen Millionenbereich“ an. Einschließlich der Kosten für „weitere Restrukturierungen“, womit vor allem der Personalabbau gemeint ist, wird „ein Jahresfehlbetrag von über einer Milliarde Euro“ erwartet. Die Börse reagiert mit einen Abschlag um gut sechs Prozent. In den vergangenen zwölf Monaten verlor die Aktie fast zwei Drittel ihres Werts.

Martina Merz führt den Konzern seit gut einem Jahr. Die Maschinenbauingenieurin war viele Jahre für Bosch tätig.
Martina Merz führt den Konzern seit gut einem Jahr. Die Maschinenbauingenieurin war viele Jahre für Bosch tätig.

© dpa

Seitdem der Ruhrkonzern rund acht Milliarden Euro in neuen Stahlwerken in Brasilien und in den USA verbrannt hatte, geht es bergab. Die Fabriken wurden zwar bis 2017 verkauft, doch die Wende blieb aus. Nach diversen Rücktritten und Führungskrisen wechselte die frühere Bosch-Managerin Merz vor gut einem Jahr vom Aufsichtsrat in den Vorstand. Im Februar verkaufte sie den profitabelsten Bereich des Konzerns, die Aufzugsparte, für 17 Milliarden Euro an die Finanzinvestoren Cinven und Advent sowie die RAG-Stiftung; ein „ausgesprochen guter Preis“, wie Merz meint. Dann kam Corona, und das Zuliefergeschäft für die Autoindustrie, das rund 30 Prozent zum Umsatz beiträgt, brach ein. Im Mai bekam Thyssen-Krupp einen Kreditzusage der bundeseigenen KfW, die aber bislang nicht in Anspruch genommen werden musste, da die Kasse nach dem Verkauf der Aufzüge voll ist.

Stahl macht am meisten Sorge

Die Vorstandsvorsitzende will aus dem traditionsreichen Ruhrkonzern eine „Group of Companies“ unter dem Dach einer Holding schaffen. Dazu werden vor allem im Anlagenbau Verkäufe und Kooperationen geprüft. „Wir haben im Frühjahr jeden Stein umgedreht“, sagte Merz. Das werde jetzt wiederholt, da die bisherige Planung nicht ausreiche, um den Mittelabfluss zu stoppen.

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„Die mit Abstand größten Herausforderungen liegen beim Stahl“, sagte Merz. „Um die strukturellen Herausforderungen anzugehen und die Transformation zu grünem Stahl voranzubringen“, sondiere man verschiedene Optionen. Liberty Steel aus Großbritannien hat Interesse an einer Übernahme verlauten lassen. Die Stahlindustrie verursacht hierzulande rund 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen. Wenn der Stahl bis 2050 klimaneutral gegossen werden soll, sind für die Umrüstung auf Wasserstoff hierzulande rund 30 Milliarden Euro erforderlich, hat die Branche ausgerechnet und um staatliche Hilfe geworben. Die Kompetenz zur Herstellung des grünen Wasserstoffs per Elektrolyse hat Thyssen-Krupp im eigenen Haus. „Wir bereiten uns auf einen Riesenboom vor“, sagte Merz, deshalb stehe der Chemieanlagenbau als einer der wenigen Bereiche auch nicht zum Verkauf. Da jedoch große Vorleistungen zu erbringen seien, könne sie sich Kooperationen vorstellen.

Nur noch 104 000 Mitarbeiter

Die Vorstandsvorsitzende bekräftigte mehrmals die Notwendigkeit weiterer „schmerzhafter“ Schritte auf dem Sanierungskurs. Betriebsbedingte Kündigungen sollten vermieden werden, seien aber nicht ausgeschlossen. „Essentiell“ für eine erfolgreiche neue Struktur sei die „Einigkeit der Stakeholder“. Die Arbeitgeberseite im Aufsichtsrat stehe hinter dem Vorstand, und mit den Arbeitnehmervertretern bemühe man sich um Kompromisse, das brauche Zeit. „Erfolgreiche Technologieunternehmen müssen gute Arbeitgeber sein“, sagte Merz. Die Zahl der Arbeitnehmer des traditionsreichen Ruhrkonzerns sinkt unterdessen rapide. Vor allem durch die Trennung von der Aufzugsparte schrumpfte die Belegschaft binnen eines Jahres von 162 000 auf 104 000.

Das Unternehmen wird kleiner aber profitabel – so stellt sich das Merz vor, ohne eine Prognose wagen zu wollen, wann es wieder Gewinn geben wird. „Wir fahren auf Sicht“, gab die Konzernchefin zu. Vertrauen zurückgewinnen und den Mittelabfluss stoppen seien die vorrangigen Ziele.

Kartellstrafe über 370 Millionen Euro

Im abgelaufenen Geschäftsjahr setzte Thyssen-Krupp 29 Milliarden Euro um, das waren 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Auftragseingang schrumpfte sogar um 17 Prozent auf 28 Milliarden Euro. Nach dem ersten Coronaschock erholt sich das Geschäft im vierten Quartal – also von Juli bis August – sodass der operative Verlust um ein paar hundert Millionen Euro geringer ausfiel als befürchtet.

Einmal mehr belasteten Wertberichtigungen auf langfristige Vermögensgegenstände das Jahresergebnis – und zwar um drei Milliarden Euro im Stahlbereich und der Autozulieferung. Und die Kartellstrafe für Absprachen bei Grobblechen kostete den Konzern 370 Millionen Euro.

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