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Das Thyssen-Krupp-Stahlwerk in Duisburg ist eine der größten Industrieanlagen in Europa.

© imago images/Rupert Oberhäuser

Thyssen-Krupp in der Coronakrise: Ein Konzern mit Vorerkrankungen

Die Folgen von Corona treffen den Stahlbereich von Thyssen-Krupp mit voller Wucht. Ohne Staatshilfe befürchtet die IG Metall das Ende.

Wenn wütende Stahlarbeiter auf die Straße gehen, dann brennt der Pott. Der Kampf um das Werk in Duisburg- Rheinhausen Ende der 1980er Jahre steht exemplarisch für den schmerzhaften Wandel im Ruhrgebiet. Die Kohle ist weg, vor zwei Jahren wurde das letzte Bergwerk geschlossen und der Stahl steckt wieder einmal so tief in der Krise, dass nach dem Staat gerufen wird. Dazu versammelt die IG Metall heute in Düsseldorf auf der Rheinwiese 3000 Stahlarbeiter von Thyssen-Krupp, um dem Landesvater Armin Laschet Dampf zum machen. Wenn der Staat Lufthansa rettet und Tui, dann könne er doch den Stahl nicht sterben lassen, argumentieren die Arbeitnehmervertreter. Die Not ist so groß, dass auch Martina Merz, die Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp, eine staatliche Beteiligung inzwischen eine „Option“ nennt. Ministerpräsident Laschet hält davon aber „derzeit“ noch nicht viel.

Demo auf der Düsseldorfer Rheinwiese

Corona kommt der Politik ausnahmsweise gelegen, denn nur 3000 Protestler dürfen sich heute am Rhein versammeln. Trotzdem ist der Aufwand erheblich für die IG Metall: Die Busse zum Versammlungsort sind nur halb besetzt, dazu wird registriert, wer auf welchem Platz sitzt. Corona treffe Thyssen-Krupp ähnlich hart wie einen Menschen mit Vorerkrankungen, heißt es bei der Gewerkschaft. Den ohnehin schwächelnde Konzern haut das Virus um. Das kann auch Laschet nicht unberührt lassen, in Nordrhein-Westfalen verdienen 27 000 Menschen ihren Lebensunterhalt in der Stahlindustrie, davon weitaus die meisten beim Intensivpatienten Thyssen-Krupp. Auch deshalb hat der CDU-Politiker der Branche das Etikett „systemrelevant“ umgehängt; eine erste Voraussetzung für Staatshilfe.

Teure Umrüstung auf Wasserstoff

Die Stahlsparte von Thyssen-Krupp hat allein in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres einen Verlust von 700 Millionen Euro eingefahren. Der Essener Konzern leidet wie die gesamte Branche unter der coronabedingten Rezession und der Transformation in der Autoindustrie, einem der wichtigsten Kunden. Dazu belasten seit Jahren die Überkapazitäten in Europa und weltweit, besonders in China. Nachdem Donald Trump den Handelskrieg mit den Chinesen angezettelt hat, verschiffen die zunehmend Rohstahl auch zu Dumpingpreisen nach Europa. Schließlich macht die Dekarbonisierung der extrem energieintensiven Branche zu schaffen. Die Stahlindustrie verursacht hierzulande rund 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen. Wenn der Stahl bis 2050 klimaneutral gegossen werden soll, dann sind für die Umrüstung auf Wasserstoff rund 30 Milliarden Euro erforderlich, hat die Branche ausgerechnet. Da Thyssen-Krupp und Salzgitter, Eko in Eisenhüttenstadt und die saarländischen Stahlkocher diese Summe nicht allein aufbringen können, muss die Gemeinschaft der Steuerzahler helfen. Das finden auch Armin Laschet und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: Innovations- und Investitionshilfen ja, staatliche Beteiligung bitte nicht.

Acht Milliarden Euro verbrannt

Bei Marktführer Thyssen-Krupp kommen zu den allgemeinen Branchenproblemen die Folgen von Managementfehlern. Mehr als acht Milliarden Euro hat der Konzern in zwei Stahlwerken in Brasilien und in den USA verbrannt. Unter dem Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger wurden die Abenteuer seiner Vorgänger beendet und bis 2017 die Anlagen der Sparte Steel Americas mit einem riesigen Verlust verkauft.

Hiesinger trat entnervt zurück

Gerhard Cromme, der als Krupp-Chef einst Rheinhausen geschlossen hatte, führte mehr als ein Jahrzehnt den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp. Cromme holte den Siemens-Manager Hiesinger von München nach Essen, damit der aus dem schwächelnden Konzern ein fokussiertes Industrieunternehmen macht; ähnlich wie bei Siemens und womöglich ohne das traditionelle Standbein Stahl. Hiesinger stellte die Weichen zur Fusion des Stahlgeschäfts mit der indischen Tata Steel – die dann jedoch von der EU-Kommission aus Wettbewerbsgründen untersagt wurde. Zu dem Zeitpunkt Mitte vergangenen Jahres war Hiesinger schon vom Hof: Entnervt vom Gehabe der aktivistischen Investoren im Aufsichtsrat und enttäuscht von der mangelnden Unterstützung der Krupp-Stiftung hatte der Vorstandschef hingeworfen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner ging gleich mit – und so geriet der Konzern auch noch in eine Führungskrise.

17 Milliarden Euro für die Aufzüge

Die frühere Bosch-Managerin Martina Merz ließ sich überreden und übernahm den Aufsichtsratsvorsitz. Als der Hiesinger-Nachfolger Guido Kerkhoff zunehmend glücklos agierte, wechselte Merz in den Vorstand. Sie verkaufte die profitable Aufzugsparte für gut 17 Milliarden Euro. Eine Art Notverkauf, um mit dem Erlös Schulden abzubauen, neue Geschäftsfelder zu stärken und Investitionen im Stahl nachzuholen, die unter Hiesinger unterblieben waren. Doch dann kam Corona. Und das Geld schmilzt dahin.

Angeblich führt Merz Gespräche mit der schwedischen SSAB, oder auch wieder mit Tata oder Baosteel aus China. Die Arbeitnehmervertreter befürchten „Zerschlagung, Filetierung, Verramschung“. Und rufen nach dem Staat. Das Land Niedersachsen sei schließlich auch mit gut einem Viertel an Salzgitter beteiligt. Und die Stahlhütten im Saarland stünden unter dem schützenden Dach einer Stiftung. „Thyssen-Krupp Steel kann es allein nicht schaffen“, sagt IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der heute auf der Rheinwiese zu den Rednern gehört.

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