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Das größte Stahlwerk Europas. Seit mehr als 120 Jahren wird in Duisburg am Rhein Stahl produziert.

© dpa

Thyssen-Krupp: Der Stahl soll weg

Heinrich Hiesinger macht aus Thyssen-Krupp einen Technologiekonzern. Das Alte ist dabei nur hinderlich. Doch die Belegschaft wehrt sich.

Im Sommer 2013, wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag, ist Berthold Beitz gestorben. Der große Industrielle hatte mehr als ein halbes Jahrhundert Krupp gesteuert und als Chef der Krupp-Stiftung auch erheblichen Einfluss auf den Thyssen-Krupp Konzern, der 1999 entstanden war. Die Stiftung besitzt mehr als 20 Prozent am Unternehmen, und mit der jährlichen Dividende konnte Beitz viel Gutes tun.

Damit der Geldfluss nicht stockte, war Beitz eine Konzernstruktur mit unterschiedlichen Bereichen wichtig: Wenn es im Kraftwerksbau nicht gut lief, dann vielleicht in der Autozulieferung; wenn der Stahl mal wieder in einem Konjunkturloch steckte, dann sollten das die Anlagenbauer ausgleichen. Zum diversifizierten Industriekonzern Beitzscher Prägung gehörte der Stahl, mit dem 1811 in Essen die Unternehmensgeschichte begonnen hatte. Jetzt soll der Stahl weg.

Heinrich Hiesinger, seit 2011 Vorstandsvorsitzender, möchte den Bereich mit der indischen Tata Steel fusionieren. In den vergangenen zwei Jahren bemühte sich Hiesinger um den Zusammenschluss, nun ist er sich einig mit dem potenziellen Partner, und eine Arbeitsgruppe mit Betriebsräten und Gewerkschaftern soll Details klären und die Bedenken der Arbeitnehmer entkräften. „Die Skepsis in der Belegschaft ist immer größer geworden, weil die Konzernführung nicht über ihre Pläne und deren Folgen informiert hat“, ärgert sich Knut Giesler, IG-Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen. „Niemand weiß, welche Folgen die Fusion für Tata und für Thyssen-Krupp hat.“

Hiesinger kam als Sanierer

Hiesinger kam seinerzeit von Siemens zu Thyssen-Krupp und er brauchte ein paar Jahre, um den lädierten Konzern zu stabilisieren. Die Stahlwerke in Übersee wurden verkauft, der Vorstand umgebaut, und mit der jüngst erfolgreich platzierten Kapitalerhöhung auch die Finanzbasis gestärkt. „Unsere Strategie: Diversifizierung“, heißt es bei Thyssen-Krupp. Das klingt nach Berthold Beitz und ist auch so gemeint. Allerdings ohne den Stahl, der inzwischen nur noch ein Fünftel zum Konzernumsatz beiträgt.

„Seit 2008 macht der Stahlbereich Gewinn, und im Konzern waren nur die Aufzüge im vergangenen Jahr profitabler als der Stahl“, sagt Gewerkschafter Giesler und hält die Fusion deshalb für Quatsch. „Der Stahlbereich von Thyssen-Krupp ist doppelt so viel wert wie der von Tata Steel Europe“, sagte Giesler dem Tagesspiegel. „Es ist völlig offen, wie das in einem Joint-Venture ausgeglichen wird.“

Die Zukunft. Der Turm in Rottweil ist 246 Meter hoch. Thyssen-Krupp hat das Riesending gebaut, um Aufzugstechnologien zu testen. In zwölf verschiedenen Schächten können die Aufzugslösungen der Zukunft mit Höchstgeschwindigkeiten von 64,8 km/h getestet und zertifiziert werden. Der öffentliche Aussichtspunkt auf 232 Metern Höhe ist Deutschlands höchste Besucherplattform.
Die Zukunft. Der Turm in Rottweil ist 246 Meter hoch. Thyssen-Krupp hat das Riesending gebaut, um Aufzugstechnologien zu testen. In zwölf verschiedenen Schächten können die Aufzugslösungen der Zukunft mit Höchstgeschwindigkeiten von 64,8 km/h getestet und zertifiziert werden. Der öffentliche Aussichtspunkt auf 232 Metern Höhe ist Deutschlands höchste Besucherplattform.

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Der Finanzinvestor will Kasse machen

Großen Einfluss auf den Konzern hat der schwedische Finanzinvestor Cevian mit einem Anteil von 15 Prozent. „Die Heuschrecken wollen den Konzern zerschlagen“, sagt ein Thyssen-Krupp-Aufsichtsrat. Das kostet Arbeitsplätze, bringt aber Geld. Auch an den Börsen haben die Fusionsspekulationen der Thyssen- Krupp-Aktie in den vergangenen Monaten gutgetan. Hiesinger könnte sich ohne den Stahl auf den Ausbau der diversen Industriegeschäfte konzentrieren und bekäme dabei mehr Spielraum, wenn der Stahlbereich nach einer Fusion aus der Thyssen-Krupp-Bilanz verschwindet – mitsamt Schulden und Pensionsverpflichtungen.

Aber was passiert mit den Pensionsverpflichtungen, die Tata allein in Großbritannien hat und die von der IG Metall mit 13 Milliarden Euro angegeben werden? „Vor diesen Verpflichtungen muss Thyssen-Krupp geschützt werden“, sagt Giesler. „Tata ist immer als völlig alternativlos dargestellt worden – wir stellen das infrage.“ In den anstehenden Verhandlungen mit Personalvorstand Oliver Burkhard (Text rechts) wollen die Metaller die Fusion zu verhindern versuchen.

IG Metall: Stahl ist Zukunft

Zumal es aktuell gut läuft, „die Stahlwerke sind besser ausgelastet denn je“ (Giesler), und der Werkstoff Stahl erlebt eine Renaissance. Es gibt rund 3000 unterschiedliche Stahlsorten für alle möglichen Anwendungen in der Industrie und im Privaten. 46 Prozent des Stahls, den der deutsche Marktführer Thyssen- Krupp produziert, landet nach diversen Weiterverarbeitungsstufen im Auto. Die Möglichkeiten von Carbon und Aluminium wurden überschätzt, inzwischen taugen auch moderne Stähle für den Leichtbau in der Fahrzeugindustrie. „Stahl ist nicht Kohle“, sagt Giesler. „Stahl ist ein Produkt mit Zukunft.

In diesem Jahr werden hierzulande 42,7 Millionen Tonnen produziert, das sind 600 000 mehr als 2016. Die Preise sind gestiegen, und obwohl es noch immer einige Bedrohungen gibt, ist die Stimmung gut. Auch bei Eko in Eisenhüttenstadt, wo Weltmarktführer Arcelor Mittal gut 2400 Personen beschäftigt. Was die Branche umtreibt, sind die Überkapazitäten in China, die zu einer Stahlschwemme auf den Weltmärkten führt und gegen die sich die EU mit Anti-Dumpingzöllen wehrt. In der EU selbst wird seit ungefähr zwei Jahren über den Handel mit CO2-Zertifikaten im nächsten Jahrzehnt verhandelt. Nach ursprünglichen Plänen würden die Preise der Verschmutzungsrechte so steigen, dass die deutschen Hersteller dafür eine Milliarde Euro im Jahr zusätzlich ausgeben müssten. Inzwischen deuten sich in Brüssel günstigere Lösungen an.

Trump will Importe drosseln

Und dann ist da noch Donald Trump. Der US-Präsident lässt prüfen, ob die Stahlimporte eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Mit ersten Strafzöllen, unter anderem für die Salzgitter AG, hat er im April für Unruhe gesorgt. Ohne allerdings größeren Schaden anzurichten. Womöglich ist Trump dazu auch nicht in der Lage.

Heinrich Hiesinger ficht das alles sowieso nicht an. „Wir sind ein starker Verbund aus Geschäften, die einen gemeinsamen Kern haben: Herausragende Ingenieurskunst“, heißt es bei Thyssen- Krupp. Exklusive Stahl.

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