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Bei Textilfabrikeinstürzen in Bangladesch starben tausende Arbeiter. Nun begehren sie auf.

© AFP

Textilindustrie orientiert sich neu: Nächster Halt: Afrika

Massenproteste in Bangladesch, blutige Auseinandersetzungen in Kambodscha: Die asiatischen Textilarbeiter wehren sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Die Branche zieht derweil weiter.

Kinderarbeit, totale Abhängigkeit, unmenschliche Bedingungen und Überstunden bis zum Umfallen: Was in Kambodscha und Bangladesch für tausende von Näherinnen und Arbeitern in der Textilindustrie Alltag ist, ist in Deutschland Geschichte. Holzschnitte und Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ zeugen heute noch von den schlesischen Textilarbeitern, die am 4. Juni 1844 mit dem Weberaufstand gegen ihre Not rebellierten und deren Protest von der preußischen Armee blutig niedergeschlagen wurde. Die Bekleidungsproduktion spielt heute in Deutschland keine große Rolle mehr. Die Karawane der Schneider ist längst weiter gezogen. Im 19. Jahrhundert zunächst nach Großbritannien, wo die weiter fortgeschrittene Industrialisierung eine billigere Produktion ermöglichte. Heute sitzen die größten Produzenten in Asien. Geschichte wiederholt sich nicht. Sie setzt sich fort: Im Januar feuerte die kambodschanische Militärpolizei in der Hauptstadt Phnom Penh in eine Menge von Textilarbeitern, die für mehr Lohn demonstrierten. Bis zu vier Menschen kamen ums Leben. Auch in Bangladesch halten die Massenproteste an, seit im April 2013 eine marode Textilfabrik einstürzte. Über 1000 Menschen starben.

Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel

Mit dem Leidensdruck wachsen auch die Proteste. In Bangladesch ist die Lage besonders heikel. Die Arbeiter verdienen in der Textilbranche nur elf Prozent dessen, was dort als Existenzminimum gilt (siehe Grafik).

Die Hauptproduzenten für Bekleidung sitzen heute in Asien. Mittelfristig orientiert sich die Branche aber um
Die Hauptproduzenten für Bekleidung sitzen heute in Asien. Mittelfristig orientiert sich die Branche aber um

© Reuters

Ausgeglichen wird das häufig durch Mehrarbeit. Immer wieder fielen Näherinnen vor Erschöpfung in Ohnmacht. Dass sie sich gerade jetzt wehren, liegt an den Gewerkschaften, die eben erst beginnen, ihre Macht zu entdecken – und zu nutzen. Fast 600 000 Menschen sind allein in Kambodscha in der Textilbranche tätig. Eine halbe Million davon für große Firmen wie Gap, Nike und H&M.

Handelsketten können mittelfristig auf Asien verzichten

Der Westen profitiert von den billigen Kleidern aus Fernost. Allein die EU importierte 2012 aus Asien Kleider und Accessoires im Gegenwert von mehr als 45 Milliarden Euro. 42 Prozent aller importierten Kleider stammen aus China. zwölf Prozent aus Bangladesch. Doch während die armen Volkswirtschaften auf die Devisen dringend angewiesen sind, können die großen Handelsketten mittelfristig auf Asien verzichten.

„Die Textilindustrie zieht immer in die ärmsten Länder“, sagt Ulrich Pfister, der an der Universität Münster Sozial- und Wirtschaftsgeschichte lehrt. Anders als im 19. Jahrhundert bringe technischer Fortschritt der Bekleidungsbranche keinen geldwerten Vorteil mehr. Kosten ließen sich nur über das Personal drücken. Und der Bedarf nach Arbeitskräften steige. Den Gewerkschaften verschafft das einen Verhandlungsvorteil. Aber nur vorübergehend. Denn ärmere Länder sind mittlerweile in einen regelrechten Konkurrenzkampf darüber geraten, der billigste Produktionsstandort zu sein.

Von den Aufständen der Arbeiter profitieren stabile Länder

Die Löhne, die in der Textilindustrie gezahlt werden reichen nicht zum Leben
Die Löhne, die in der Textilindustrie gezahlt werden reichen nicht zum Leben

© cleanclothes.org/Schmidt

Zumindest hat das Thomas Waldmann vom Verband deutscher Textilmaschinenhersteller beobachtet. „Vietnam, Indonesien oder Myanmar werden von den Unruhen in Kambodscha profitieren“, sagt er. Der Verband hat das im Auge, denn nur wo künftig noch produziert wird, lassen sich auch Maschinen verkaufen. Langfristig sei der asiatische Markt ohnehin nicht interessant. „Das riesige Geschäft in China wird nicht weiter wachsen“, sagt Waldmann. Die Branche schaut schon nach Afrika. Aus Sicht der Maschinenbauer wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis der Markt richtig attraktiv wird. Dass es soweit kommt, scheint jedoch sicher.

Afrika ist unerschlossener Markt

Gerade hat H&M-Chef Karl-Johan Persson in der schwedischen Wirtschaftszeitung „Dagens Industri“ angekündigt, künftig einen Teil der Ware in Afrika nähen zu lassen. „Riesige Potenziale“ gebe es da südlich der Sahara. Auch andere haben das schon entdeckt. Der Direktor für Programmfinanzierung bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, Roger Peltzer, sagte unlängst dem evangelischen Pressedienst: „Es gibt zunehmend Einzelhändler, die nach Alternativen zu Textilien aus Asien suchen.“ Für Afrika ist das eine Chance. In Lesotho arbeiten Peltzer zufolge 40 000 Menschen in der Textilbranche, in Mauritius mehr als 70 000. Auch Äthiopien profitiere von der Textilproduktion. Die großen Ketten orientieren sich auch nach Afrika, weil die Arbeitsbedingungen in Asien derartig schlecht sind, dass ihr Image darunter leidet, analysiert Peltzer.

Billigkleidung ist perfektes Konsumgut für Schwellenländer

Perspektivisch ist aber vor allem das nördliche und südliche Afrika nicht nur als Produktionsstätte, sondern auch als Absatzmarkt interessant. Die Potenziale sind aus Sicht der Branche noch fast ungenutzt. So gibt es auf dem ganzen Kontinent bisher nur in Ägypten und Marokko H&M-Geschäfte. 2015 soll die erste Filiale in Südafrika eröffnet werden. Die Bevölkerung wächst stetig – und ist bereit, Geld auszugeben. Einem Bericht der African Development Bank zufolge gehören mehr als 350 Millionen Afrikaner der Mittelschicht an. Deren Kaufkraft mit einem Lohn zwischen zwei und 20 Dollar am Tag ist zwar nicht mit der europäischen Mittelschicht vergleichbar. Billigkleidung wäre aber wohl das perfekte Konsumgut.

Lesen Sie hier das Interview mit einer H&M-Verkäuferin, die sich in Deutschland für die Zulieferer in Asien stark macht

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