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Sigrid Gorn kann sich per Tablet-PC Hilfe holen - und sei es zum Gardinenaufhängen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Telemedizin: Zurück in die Zukunft

Firmen wie Siemens und Telekom haben gemeinsam Technik entwickelt, dank der Senioren länger zu Hause wohnen bleiben können. Rentnerin Sigrid Gorn hat den Praxistest gemacht.

Von Carla Neuhaus

50 Tage hat Sigrid Gorn in der Zukunft gelebt. Forscher des Projekts „Smart Senior“ hatten die Wohnung der 82-Jährigen aus Potsdam mit der neuesten Telemedizin-Technik ausgestattet. Wie 34 andere Rentner sollte Gorn testen, wie es sich lebt, wenn Sensoren jede ihrer Bewegungen registrieren. Wenn ein virtueller Therapeut auf dem Fernsehbildschirm mit ihr Trainingsübungen macht. Wenn sie per Videokonferenz mit ihrem Arzt spricht oder sie per Fernbedienung Hilfe anfordert – und sei es zum Gardinenaufhängen.

Organisiert wurde der Feldversuch im Rahmen des Forschungsprojekts Smart Senior, zu dem sich 28 Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen zusammengeschlossen haben, darunter Siemens, die Berliner Charité, Vivantes und das Fraunhofer Institut. Ende September endet das Projekt, das von den Telekom Innovation Laboratories (T-Labs) in Berlin koordiniert wird. Drei Jahre haben Firmen und Wissenschaftler an Geräten und Software geforscht, die es Senioren ermöglichen sollen, möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung bleiben zu können. „Wir wollten nicht nur eine Lösung für ein einzelnes Problem bieten, sondern ein Rundum-Paket“, sagt Koordinator Michael Balasch von den T-Labs. „Und so etwas kann kein Anbieter alleine.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte für das Gemeinschaftsprojekt 25 Millionen Euro bereitgestellt, weitere 18 Millionen brachten die beteiligten Firmen ein.

Zum Ende des Projekts kam jetzt die Probe aufs Exempel. Potsdamer Rentner wie Sigrid Gorn machten im Rahmen einer klinischen Studie der Charité den Praxistest. „Ich kam mit der Technik sehr gut klar“, sagt die rüstige Rentnerin, die auch mit 82 Jahren in ihrer Freizeit noch anderen bei der Lohnsteuer hilft. Mit einem Tablet-PC auf dem Schoß sitzt sie auf dem schwarzen Ledersofa einer Musterwohnung in Potsdam. Hier ist alles so installiert wie während der Testphase in ihrer eigenen Wohnung. An der Wand, an der Decke, an Fenster und Türen kleben mal runde, mal eckige Sensoren mit kleinen Solarzellen. Sie messen die Raumtemperatur, erkennen, wann wie lange das Licht brennt, ob Fenster und Türen geöffnet werden und ob sich jemand im Raum bewegt. „So sollen gefährliche Situationen vermieden werden“, sagt Balasch. Brennt etwa ungewöhnlich lange das Licht und bewegt sich keiner mehr im Raum, löst das System automatisch einen Notruf aus.

Überwacht habe sie sich trotz all der Sensoren nicht gefühlt, sagt Gorn. „Das war ja zu meiner eigenen Sicherheit.“ Dass das System funktioniert, hat sie zum Beispiel gemerkt, als sie länger als sonst die Balkontür offen stehen ließ. „Ich saß im Wohnzimmer. Auf einmal kam ein Anruf und ich wurde gefragt, ob alles in Ordnung sei, die Balkontür stehe schon so lange offen“, erzählt sie.

Mit dem Tablet-PC bedient Gorn den Fernseher. Drückt sie auf das Wort Gesundheit, kann sie sich zum Beispiel auf dem Bildschirm ihre letzten Blutdruckwerte anschauen oder per Knopfdruck Medikamente in der Apotheke bestellen. Selbst ihre Sportübungen macht sie mit einem virtuellen Trainer, der ganz in Weiß gekleidet auf dem Bildschirm auftaucht und ihr zuruft: „Jetzt das Gewicht von rechts nach links verlagern.“ Eine Kamera zeichnet Gorns Bewegungen auf. Dann kann sie später mit ihrem Therapeuten besprechen, ob sie die Übungen richtig gemacht hat. Fühlt sie sich nicht gut oder hat sie Probleme mit dem Blutdruck, nimmt sie per Videoschalte Kontakt mit dem Telemedizin-Zentrum der Charité auf, der Arzt stellt die Diagnose dann per Fernvisite. „Wichtig ist, dass das den Hausarzt nicht ersetzen soll“, sagt Mehmet Gövercin von der Forschungsgruppe Geriatrie an der Charité.

Leben so die Rentner der Zukunft? Sigrid Gorn zuckt mit den Schultern. „Die Frage ist, wie sich das finanziert“, sagt sie. „Modelle zur Finanzierung müssen noch weiterentwickelt werden“, antwortet Gövercin. Auch die Krankenkassen müssten mitmachen. Denn allein können Rentner sich die mehrere tausend Euro teure Ausstattung kaum leisten.

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