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Fleißige Arbeitnehmer, leere Kassen. Die Kommunen haben im Vorfeld der Tarifauseinandersetzung das Kurzarbeitergeld kräftig aufgestockt. Eine Verschiebung der Tarifverhandlungen ins Wahljahr 2021 wollen die Arbeitgeber vermeiden.

© imago/Frank Sorge

Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: „Die Mitarbeiter sind unser höchstes Gut“

Ulrich Mädge, Verhandlungsführer der Kommunen, über den Tarif im öffentlichen Dienst und leere Kassen.

Herr Mädge, wie geht es Lüneburg?

Der Stadt geht es ganz gut. Die Coronakrise wirft uns bei den Finanzen allerdings um zehn Jahre zurück.

Dafür gibt es im Konjunkturpaket der Bundesregierung Geld für die Kommunen.
Das steht auf dem Papier. Die geplanten Maßnahmen beziehen 2021 nicht ein. Und entscheidend ist ja, dass die Länder die Hälfte drauflegen müssen. Ob das passiert, ist offen.

Niedersachsen sträubt sich?
Die machen nur das, was der Bund auch fördert. Bei der Gewerbesteuer erreichen wir dann in 2020 ungefähr 90 Prozent des normalen Niveaus. Für 2021 gibt es keine Regelung. Aber die Verluste durch die Steuererleichterungen machen allein für Niedersachsen eine Milliarde aus. Wer gleicht das aus? Dazu kommt ein Loch im Finanzausgleich über 600 Millionen Euro, welches wir 2021 spüren werden. Wenn das Land dafür die Kommunen mit in die Pflicht nimmt, sind wir wieder belastet. Darum ringen wir jetzt.

Sie haben also im Hauptamt als Oberbürgermeister einen Verteilungskonflikt mit der Landesregierung und im Nebenamt als Chef der kommunalen Arbeitgeber einen Verteilungskonflikt mit Gewerkschaften.
Das kenne ich, denn gegenwärtig erlebe ich die dritte Finanzkrise. Die erste war 2001 nach dem 11. September, dann kam die Bankenkrise 2008/09 und nun die Coronakrise. Als ich 1991 das Amt in Lüneburg übernommen habe, waren die Finanzen marode. Und das ist bitter: Man saniert jahrelang, und dann kommt ein Virus und macht alles zunichte.

Wollen Sie überhaupt Tarifverhandlungen führen in diesem Jahr?
Selbstverständlich. Wir müssen die führen, weil unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und die sind unser höchstes Gut, für die nächsten Jahre Sicherheit brauchen. Das ist das Entscheidende. Und dafür brauchen wir einen Tarifvertrag mit einer entsprechend langen Mindestlaufzeit. Die Gewerkschaften sollten sich daher nun zu einer Entscheidung durchringen und sagen, was sie wollen. Die Krise hat Milliardenlöcher in den kommunalen Haushalten hinterlassen. Die müssen wir erst mal wieder füllen, und dafür brauchen wir verlässliche Planungsgrundlagen.

Wäre es nicht besser, wie in der Metallindustrie die Verhandlungen auf das nächste Jahr zu verschieben?
Ein solches Verschieben ist nicht meine erste Wahl. Wir können und wollen uns nicht die Decke über den Kopf ziehen und so tun, als wäre in ein paar Monaten alles wie vor der Krise. Corona werden wir mindestens drei Jahre auf der Einnahmenseite von Bund, Ländern und Kommunen merken. Bis alles wieder hochfährt und wir die Verluste ausgeglichen haben, dauert das bestimmt bis 2023. Und so lange können wir nicht warten.

Dann wollen Sie jetzt einen Tarifvertrag abschließen, der über drei Jahre läuft?
Was wir tun werden, wird unter anderem Gegenstand bei einem Treffen mit den Gewerkschaften in der nächsten Woche sein, wobei wir uns auch noch mit unserem Verhandlungspartner, dem Bund, abstimmen werden. Ein Tarifvertrag für ein halbes Jahr hilft den Kommunen und den kommunalen Unternehmen nicht weiter, denn wir benötigen Planungssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte. Zumal es 2021 ein halbes Dutzend Wahlen gibt, und die politische Aufregung ist nicht gut für sachliche Verhandlungen.

Ulrich Mädge (SPD) ist seit 1991 Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg und Verhandlungsführer der Kommunen in den Tarifverhandlungen.
Ulrich Mädge (SPD) ist seit 1991 Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg und Verhandlungsführer der Kommunen in den Tarifverhandlungen.

© picture alliance / dpa

Die Gewerkschaften können aber in diesem Jahr nicht mit Warnstreiks die Zahlungsbereitschaft der Arbeitgeber fördern.
Tarifverhandlungen bedeuten ja nicht automatisch Streik. Es geht auch anders. Und mich hat es auch noch nie beeindruckt, wenn ein paar Leute vor der Tür stehen. Man kann nur verteilen, was man hat, und das muss man offen besprechen.

Die Kassen sind leer.
Wir brauchen Sicherheit für unsere Leute – was das Einkommen betrifft und die Arbeitsplätze. Alles in allem decken wir ja rund 90 Berufe mit mehr als zwei Millionen Beschäftigten ab. Dazu gehören die Beschäftigten in den Verwaltungen und Kulturbetrieben, der kommunalen Krankenhäuser, aber auch der Sparkassen, der kommunalen Ver- und Entsorger bis hin zu den Flughäfen, um nur einige zu nennen. Sowohl diese kommunalen Arbeitgeber als auch deren Beschäftigte brauchen eine Perspektive in der Krise.

Und mehr Geld?
Wir müssen unsere Mitarbeiter so attraktiv bezahlen, dass wir sie auch halten können. Wobei gerade in diesen Monaten viele Menschen merken, wie sicher der öffentliche Dienst ist im Vergleich zu Branchen, die besonders stark von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen sind. Kündigung ist bei uns fast ein Fremdwort. Langfristig attraktive und sichere Arbeitsplätze – das ist das gemeinsame Ziel der Tarifparteien.

Aber macht ein langfristiger Tarifvertrag Sinn, wenn kein Mensch weiß, was 2021 mit dem Virus und der Konjunktur wird?
Da kann man ja flexible Regelungen in die Tarifverträge einbauen. Grundsätzlich brauchen wir eine Basis für die nächsten Jahre, und die sollten wir jetzt in den Gesprächen legen. Die Personalkosten machen in den Kommunen zwischen 20 und 30 Prozent aus. Da ist es schon hilfreich, wenn man längerfristig weiß, wie die sich entwickeln.

Bei der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 95 Prozent waren Sie großzügig.
Wir sind da in eine Vorleistung gegangen auch im Hinblick auf die Tarifverhandlungen. Das Signal ist doch klar: Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihr seid uns etwas wert, darum stocken wir das Kurzarbeitergeld auf und ihr müsst keine Grundsicherung beantragen. Das ist auch wichtig für die Motivation unserer Leute. Und jetzt treffen wir uns eben im nächsten Schritt mit den Gewerkschaften.

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