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Viele fürchten sich vor Armut im Alter.

© Julian Stratenschulte/dpa

Studie zur Rente: Jeder zweite Deutsche hat Angst vor Altersarmut

Bundesbürger fürchten sich vor dem finanziellen Absturz im Alter. Manche Experten sind nicht so pessimistisch. Sozialverbände fordern Reformen.

Die Angst vor Altersarmut nimmt zu. Trotz Vollbeschäftigung und jahrelangem Wirtschaftswachstum befürchtet die Mehrzahl der Bundesbürger, im Alter nicht ausreichend abgesichert zu sein und den bisherigen Lebensstandard im Ruhestand nicht halten zu können. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Beratungsgesellschaft EY treibt 56 Prozent der Menschen diese Furcht um – 18 Prozent mehr als vor einem Jahr. „Die Rente ist aus Sicht vieler Deutscher keineswegs mehr sicher“, sagte Bernhard Lorentz, einer der beiden Autoren der Studie.

Sozialverbände fordern angesichts der Umfrageergebnisse politische Strategien gegen die Altersarmut. Der Paritätische Wohlfahrtsverband macht sich für ein Gesamtpaket stark, das sowohl Arbeitnehmern als auch Rentnern helfen soll. Dazu gehören ein höherer Mindestlohn genauso wie eine Anhebung des Rentenniveaus und eine Reform der Altersgrundsicherung. Auch die Linken-Fraktion im Bundestag hält eine weitere Erhöhung des Mindestlohns und eine Verbesserung des Rentenniveaus für notwendig. Die Furcht vor einem sinkenden Lebensstandard im Alter sei „leider begründet“, sagte ihr Rentenexperte Matthias Birkwald.

Die bisherigen Reformen reichen der Linken und den Sozialverbänden nicht. Der Mindestlohn ist zum Jahresanfang von 8,84 Euro auf 9,19 Euro in der Stunde gestiegen. Nach Meinung der Kritiker sind jedoch mindestens zwölf Euro nötig, damit die Arbeitnehmer später nicht zum Fall für die Grundsicherung, also die Sozialhilfe, werden. Und auch die im vergangenen Jahr beschlossenen Rentenreformen greifen zu kurz, finden Linke und Sozialverbände.

Die Bundesregierung hatte im August beschlossen, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent gehalten und nicht abgesenkt werden soll. Allerdings beschreibt diese Zahl nur einen Durchschnittswert. Die Durchschnittsrente nach 45 Beitragsjahren soll 48 Prozent des Durchschnittslohns nicht unterschreiten. Im Einzelfall sind jedoch Unter- und Überschreitungen möglich. Linke und Sozialverbände fordern eine Sicherung des Rentenniveaus von 53 Prozent. Die SPD will das heutige Rentenniveau nicht erhöhen, aber bis zum Jahr 2040 garantieren, stößt damit jedoch in der Union auf Widerstand.

Experte: "Die meisten werden keine Probleme haben"

Die wachsende Sorge vor Altersarmut hält Rentenexperte Gert G. Wagner für unbegründet. Angesichts der ständigen Diskussionen um die Rente sei die Skepsis der Menschen zwar nachvollziehbar, sagte Wagner dem Tagesspiegel, aber „die meisten werden keine Einkommensprobleme im Alter haben“. Die gesetzliche Rente habe noch nie 100 Prozent abgedeckt, auch frühere Rentnergenerationen hätten zusätzliche Einnahmen aus privater oder betrieblicher Vorsorge oder Immobilien gebraucht.

Gert G. Wagner, Senior Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sagt, man könne auch im Alter gut über die Runden kommen, zumindest wenn man neben der gesetzlichen Rente noch weitere Einnahmequellen hat. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Für den, der keine private oder betriebliche Altersvorsorge hat und auch keine Immobilie besitzt, könnte es im Alter schon knapp werden. Besonders schwierig sei die Lage für Paare in Ostdeutschland, die beide nach der Wende auf Dauer arbeitslos geworden sind, weiß der Wissenschaftler.

Und auch viele gering qualifizierte Menschen, die den körperlichen Anforderungen im Beruf nicht mehr gewachsen waren und in den letzten 15 Jahren eine Erwerbsminderungsrente bekommen haben, sind armutsgefährdet, sagt der Rentenexperte. „Es ist wirklich gut, dass die Erwerbsminderungsrenten ab sofort höher ausfallen werden“, lobt Wagner die jüngste Rentenreform.

Nur wenige leben allein von der Rente

Im August hatte die schwarz-rote Koalition die Absicherung der Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, deutlich verbessert. Der Druck war groß, weil viele Erwerbsminderungsrentner von ihrer Rente nicht leben konnten. Im Jahr 2016 landeten 14,7 Prozent dieser Rentner in der Grundsicherung, bei normalen Altersrenten liegt die Quote nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung bei drei Prozent. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente betrug Ende 2017 für Männer in den alten Bundesländern 782 Euro im Monat, bei Frauen waren es 751 Euro, im Osten lagen die Durchnittsrenten für arbeitsunfähige Menschen bei 740 Euro (Männer) beziehungsweise 845 Euro (Frauen).

Während sich Wissenschaft, Politik und Verbände einig waren, dass es bei den Erwerbsminderungsrenten Nachholbedarf gegeben hat, sieht die Lage bei den Altersrenten anders aus. Denn je nachdem, welchen Wert man sich herauspickt, geht es den Rentnern in Deutschland entweder schlecht oder doch eher ziemlich gut. So sieht die Durchschnittsrente für Frauen im Westen mit 622 Euro im Monat miserabel aus, allerdings werden hier auch alle Hausfrauen einberechnet, die so gut wie nichts in die Rentenkasse einbezahlt haben. Schaut man sich dagegen allein die Rentner an, die 35 Versicherungsjahre aufweisen können, so kommen Männern im Westen etwa auf 1298 Euro im Schnitt.

Hinzu kommt: Die meisten Bundesbürger leben nicht von der Rente allein. Sie haben zusätzlich private Lebensversicherungen oder Betriebsrenten, Einnahmen aus Kapitaleinkünften oder Immobilien. Nach Angaben des Versicherungsverbands gab es Ende 2017 mehr als 88 Millionen Lebensversicherungsverträge, über zehn Millionen Riester-Renten, rund zwei Millionen Basisrentenverträge. Zudem haben Arbeitnehmer weitere 15,7 Millionen Betriebsrentenverträge, die allein von der Versicherungswirtschaft organisiert werden.

Arbeitsministerium weist Kritik zurück

Der jüngste Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeichnet daher auch ein anderes Bild von der Finanzlage der Ruheständler. Danach erreichen Ehepaare im Alter von 65 Jahren und älter in Deutschland ein durchschnittliches Einkommen von 2543 Euro im Monat – netto.

Im Bundesarbeitsministerium weist man die Kritik an der unzureichenden Absicherung im Alter daher zurück. „Ziel der Bundesregierung ist es, das gut entwickelte System von Sozialleistungen in Deutschland zu stärken und zu verbessern“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel und verweist auf die Sicherung des aktuellen Rentenniveaus von 48 Prozent bis zum Jahr 2025. Zudem habe man mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz aus der vergangenen Legislaturperiode bereits die Rahmenbedingungen für die zusätzliche Altersversorgung gerade für Geringverdiener deutlich verbessert.

Für die laufende Legislaturperiode stehen weitere Reformen an. „Die Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, soll honoriert und ihnen ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs zugesichert werden. Ferner soll auch eine Altersvorsorgeverpflichtung für alle selbständig Tätigen eingeführt werden“, heißt es im Ministerium.

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