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Weil die Wirtschaft weniger stark wächst, nimmt der Staat nicht mehr so viele Steuern ein wie bislang erwartet.

© picture alliance / dpa

Streit unter Ökonomen: Sollte sich der Staat wieder stärker verschulden?

Die Konjunktur schwächelt, die Steuereinnahmen wachsen weniger stark. Ökonomen sind uneins, ob die Schwarze Null noch zu halten ist. Eine Analyse

Von Carla Neuhaus

Schulden zu machen, das galt in Deutschland lange als verpönt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) brachte das vor zehn Jahren, kurz nach Ausbruch der Finanzkrise, auf den Punkt: „Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Das ist der Kern der Krise“, sagte sie damals. Lieber solle man sich ein Beispiel an der schwäbischen Hausfrau nehmen. Das tat die Bundesregierung dann auch – und führte die Schuldenbremse ein. Diese Regel, die seit 2009 im Grundgesetz verankert ist, besagt, dass sich der Staat nur bedingt verschulden darf. Im Jahr darf er maximal neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen. Eine Regel, die die Bundesregierung seitdem stets eingehalten hat. Mehr noch: Sie hat sie sogar übererfüllt. Wolfang Schäuble (CDU) war als Bundesfinanzminister stets stolz darauf, Jahr um Jahr einen Haushalt vorzulegen, der ganz ohne neue Schulden auskam. Die Schwarze Null, das war das Ziel – und ist es noch heute.

Die Wunschliste der Politiker ist lang

Denn inzwischen sitzt mit Olaf Scholz zwar ein SPD-Mann im Bundesfinanzministerium. Doch er scheint geradezu beweisen zu wollen, dass auch ein Sozialdemokrat die Schwarze Null trotz immer weiter steigender Ausgaben halten kann. Anders als Schäuble muss Scholz sich für das Festhalten am Haushalt ohne Schulden jedoch zunehmend rechtfertigen. Denn die fetten Jahre, das hat der Bundesfinanzminister unlängst selbst festgestellt, sind vorbei. Die Konjunktur schwächt sich ab – mit der Folge, dass die Steuereinnahmen weniger stark steigen. Der jüngsten Steuerschätzung zufolge muss der Bund bis 2023 mit 74,1 Milliarden Euro weniger auskommen, als noch im Herbst erwartet worden war. Mit anderen Worten: Es ist in den nächsten Jahren weniger Geld da, das man verteilen kann, als bislang angenommen. Gleichzeitig ist aber die Wunschliste der Politiker lang. Scholz’ Partei will mit der Grundrente ein Projekt umsetzen, dass jedes Jahr mehrere Milliarden kosten würde. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wiederum fordert Entlastungen für die Unternehmen. Und CSU-Spitzenpolitiker Alexander Dobrindt ruft bereits nach einem Konjunkturpaket. Bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen?

Beim Staat ist das nicht anders als beim Verbraucher. Wenn weniger Geld da ist, muss man entweder sparen – oder einen Kredit aufnehmen. Welche der beiden Optionen für die Politik nun die bessere wäre, darüber ist unter Ökonomen unlängst ein Streit entbrannt.

Macht die Schwarze Null noch Sinn?

Oliver Holtemöller zum Beispiel hat kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung weiterhin daran festhält, ganz ohne neue Schulden auskommen zu wollen. „Die Schwarze Null ist kein ökonomisch sinnvolles Konzept“, sagt der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). „Sie führt dazu, dass man ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die Konjunktur abschwächt, die Steuern erhöhen oder die Ausgaben kürzen muss.“ Beides aber sei kontraproduktiv. Schließlich schwächt es die Wirtschaft zusätzlich, wenn die Menschen auf einmal mehr Steuern zahlen müssen oder der Staat die dringend nötigen Investitionen zurückfährt.

Begründet wird der Verzicht auf neue Schulden meist mit der Generationengerechtigkeit. Schließlich müssen die Jungen die Kredite, die die Bundesregierung heute aufnimmt, übernehmen. „Wenn der Verzicht der Neuverschuldung aber zum Abbau des realen Kapitalstocks führt, etwa weil Straßen nicht saniert werden, dann hat das nichts mehr mit Generationengerechtigkeit zu tun“, meint Holtemöller.

Dabei hält er die Schuldenbremse an sich für richtig. „Dass wir sie haben, ist durchaus positiv“, sagt er. Allerdings sollte man seiner Meinung nach auch den Spielraum nutzen, den sie der Politik bewusst einräumt. Denn das ist gerade der Unterschied zwischen der Schuldenbremse und der Schwarzen Null: Die Schuldenbremse lässt neue Schulden in einem gewissen Rahmen zu, während die Schwarze Null neue Schulden komplett ausschließt. Und während die Schuldenbremse eingehalten werden muss, weil sie in der Verfassung steht, ist die Schwarze Null lediglich ein selbstgestecktes Ziel der Bundesregierung.

Muss die Schuldenbremse reformiert werden?

Trotzdem gibt es durchaus Ökonomen, die sich nicht nur mit der Schwarzen Null schwer tun – sondern auch an die Schuldenbremse ran wollen. Allen voran sind das Marcel Fratzscher und Michael Hüther. Beide sind überzeugt, dass die Schuldenbremse in ihrer heutigen Form nicht mehr so recht in die Zeit passt. „Angesichts eines unübersehbar großen Investitionsbedarfs mindert die Schuldenbremse den politischen Handlungsspielraum und entbehrt einer ökonomischen Grundlage“, schreibt Hüther, der das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln leitet. Er fürchtet, dass die Politik sich aufgrund der Bremse mit Investitionen zurückhält, die jedoch dringend nötig wären.

Marcel Fratzscher stimmt ihm da zu. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung  (DIW), sagt, es gebe schon jetzt einen enormen Investitionsstau „gerade in Bereichen wie Bildung, Verkehrsinfrastruktur und Digitalisierung“. Er fordert deshalb, dass die Schuldenbremse um eine Regel ergänzt wird, die dem Staat die Aufnahme neuer Kredite für solchen Investitionen ermöglicht. „Damit wäre garantiert, dass unser Land nicht länger auf Verschleiß fährt“, sagt Fratzscher.

Doch längst nicht alle Volkswirte können solchen Ideen etwas abgewinnen. Der Wirtschaftsweise Lars P. Feld etwa hält die Schuldenbremse für gut, so wie sie ist. Selbst ein Konjunkturprogramm, für das es zwar seiner Meinung nach noch keinen Anlass gibt, würde die Schuldenbremse mit Kanzlermehrheit zulassen, argumentiert er. Die niedrigen Zinsen, durch die der Staat sich besonders günstig verschulden kann, sind für ihn ebenfalls kein Argument. „Ich rate dazu, sich von einer Zwischenphase niedriger Zinsen nicht zu einer unsoliden Haushaltspolitik verleiten zu lassen“, sagt Feld. Die Politik müsse Prioritäten setzen und entscheiden, welche Projekte jetzt noch finanziert werden könnten. „Strukturelle Mehrausgaben lassen sich nun so einfach nicht mehr realisieren“, sagt Feld. Ganz so, wie es die schwäbische Hausfrau verlangt.

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