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Nur bei 15 Prozent lag der Frauenanteil bei den Workshops für Expertinnen und Experten in den Ministerien zur Erarbeitung der KI-Strategie des Bundesregierung.

© jim/Fotolia

Strategie Künstliche Intelligenz: „Armutszeugnis für Karliczek und Bär"

Vor allem Männer aus Wirtschaft und Wissenschaft werden als Experten zur KI-Strategie befragt. Die Grünen-Abgeordneten Christmann kritisiert das heftig.

Bei ihrem Konsultationsprozess für eine Strategie zur Künstlichen Intelligenz (KI) setzt die Bundesregierung vor allem auf männliche Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft, Frauen sind in den Expertenworkshops deutlich unterrepräsentiert, zivilgesellschaftliche Gruppen kaum eingebunden (komplette Liste am Ende des Textes). Das zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Anna Christmann, die dem Tagesspiegel Background Digitalisierung vorliegt. Der Chaos Computer Club und der Verein Digitale Gesellschaft kritisieren im Gespräch mit Tagesspiegel Background Digitalisierung, dass auch beim öffentlichen Konsultationsprozess wenig wert darauf gelegt werde, die  Zivilgesellschaft einzubinden.

Diskriminierung muss diskutiert werden

„Bei der Konsultation handelt es sich mal wieder um eine auf die Förderung der Wirtschaft ausgerichtete Initiative der Bundesregierung“, beklagt Dirk Engling, Sprecher des Chaos Computer Clubs. Dabei würden jedoch zahlreiche Aspekte außer Acht gelassen, „die uns als Gesellschaft später auf die Füße fallen werden.“ Schon heute zeige sich, dass Algorithmen Menschen bestimmter Herkunft oder Hautfarbe diskriminieren würden. Beispielsweise in den USA, wo Leute mit bestimmten Vornamen schlechtere Kreditraten bekämen. Für einen Roboter, der mithilfe von KI bestimmte Muster besser erkennen und dadurch Schrauben schneller von links nach rechts sortieren könne, sei die Anwendung von KI unproblematisch, erklärte Engling. Doch sobald es um Menschen gehe, wie beispielsweise beim autonomen Fahren oder der Nutzung von Gesundheitsdaten, müssten die zivilgesellschaftlichen Folgen „zwingend“ mitdiskutiert werden.

Kompetenzen digitaler Organisationen ignoriert

Auch Elke Steven, Geschäftsführerin des Vereins Digitale Gesellschaft, kritisiert das Vorgehen der Regierung. „Sie ignoriert mal wieder die Kompetenzen digitaler und netzpolitischer Organisationen, die aus der Perspektive von Menschenrechten auf die Entwicklung Künstlicher Intelligenz blicken.“ Daten würden im Interesse derer, die damit Geld verdienen können, gesammelt und ausgewertet werden. „Fragen danach, welche Folgen dies für die Bürgerinnen und Bürger und die Demokratie haben wird, werden an den Rand gedrängt“, ärgert sie sich. Das Ziel der Regierung, Deutschland mit der Strategie weltweit führend im Bereich KI zu machen, ist aus ihrer Sicht ohnehin falsch formuliert: „Weltweite Unternehmen sind oder werden führend, das hat mit Nationalitäten nichts mehr zu tun.“ 

„Heimlichtuerei ist unverständlich“

Die Online-Konsultation läuft noch bis Sonntag, die Workshops fanden in den vergangenen zwei Wochen in fünf Ministerien statt – doch welche Expertinnen und Experten daran teilnahmen und damit die Strategie beeinflussen, wollte die Regierung zunächst nicht veröffentlichen, wie der Background Digitalisierung berichtete. Erst nach Christmanns Anfrage, gab sie die Teilnehmer bekannt. Dieses Vorgesehen sei für sie „völlig unverständlich“, sagte Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik und Obfrau der Grünen in der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz.

Frauenanteil von weniger als 15 Prozent

„Richtig wäre gewesen, von Anfang an transparent zu machen, wer in die Entstehung der KI-Strategie einbezogen wird. Für die Akzeptanz Künstlicher Intelligenz bei den Bürgerinnen und Bürgern ist diese Hinterzimmer-Mentalität auf jeden Fall kontraproduktiv“, so Christmann. Zumal die Regierung ihre „Heimlichtuerei“ auch nicht begründe. „Mir wäre es allerdings auch unangenehm, einen so niedrigen Frauenanteil in den Foren von unter 15 Prozent offen zu legen“, erklärt Christmann. Zwei Foren haben sogar ganz ohne Beteiligung von Frauen stattgefunden, nämlich das zur Mobilität im Bundesverkehrsministerium (BMVI) und das Forum zur Produktion/Industrie 4.0 im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). „Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft massiv und wird dies noch weiter tun. Eine so gravierende gesellschaftliche Veränderung wie die digitale Revolution muss von Frauen und Männern gleichermaßen gestaltet werden“, betonte Christmann.

„Armutszeugnis“ für Karliczek und Bär

Es sei „ein fatales Zeichen“ für die Frauen in der Digitalbranche, wenn nicht einmal die Bundesregierung sie in wichtige Entscheidungsprozesse einbeziehe. „Das ist ein frauenpolitisches Armutszeugnis sowohl für die Forschungsministerin als auch für die Staatsministerin für Digitalisierung“, kritisierte Christmann insbesondere Anja Karliczek (CDU) und Dorothee Bär (CSU).

Notwendige Infrastruktur sei „verrottet“

CCC-Sprecher Dirk Engling findet es ohnehin fraglich, wie „sinnstiftend“ der Konsultationsprozess sei, nachdem die Eckpunkte der Strategie bereits im Sommer vorgestellt wurden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch viel von dem Feedback einfließt. Der Prozess wirkt eher wie ein später Versuch, eine Legitimation für die Strategie einzuholen.“ Dass sich die Regierung so singulär auf Künstliche Intelligenz als Technologie stürzen, ist aus seiner Sicht nicht nachvollziehbar: „Einfach eine Technologie rauszupicken und zu fördern, macht keinen Sinn, wenn die Regierung die dafür notwendige digitale Infrastruktur über die vergangenen Jahre verrotten lassen hat.“

Die Regierung will ihre Strategie Künstliche Intelligenz beim Digitalgipfel am 3. und 4. Dezember in Nürnberg vorstellen, beschlossen werden soll sie bei einer Klausurtagung am 13. und 14. November auf Schloss Meseberg.

Diese Experten haben an den sechs Workshops in den in fünf Ministerien teilgenommen:

Fachforum Arbeitswelt/Arbeitsmarkt im Arbeitsministerium (BMAS):

Elisabeth André (Universität Augsburg), Ayad Al-Ani (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft gGmbH), Lars Adolph (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), Thomas Beschorner (Universität St. Gallen) Svenja Falk (Accenture GmbH), Matthias Peissner (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation), Oliver Suchy (DGB), Dan Wucherpfennig (Leverton), Lorena Jaume-Palasi (AlgorithmWatch), Janett Kampf (IG Metall), Johannes Landvogt (BfDI)

Fachforum Forschung im Forschungsministerium (BMBF):

Manfred Broy (TU München), Volker Markl (TU Berlin), Wolfgang Marquardt (Forschungszentrum Jülich), Katharina Morik (TU Dortmund), Matthias Klingner (Fraunhofer IVI), Ulrike von Luxburg (Uni Tübingen, MPI Fellow), Daniel Siewert (Ubermetrics), Philipp Slusallek (DFKI), Oliver Eidel (KI-Bundesverband), Matthias Uhl (TU München)

Fachforum Gesundheit/Pflege im Gesundheitsministerium (BMG):

Galia Assadi (Evangelische Hochschule Nürnberg), Philipp Berens (Universität Tübingen), Hans Dietl (Ottobock), Wolfgang Ertel (Hochschule Ravensburg-Weingarten), Stephanie Kaiser (Heartbeat Labs), Philipp Kellmeyer (Universität Freiburg), Heyo Klaus Kroemer (Universität Göttingen), Michael Meyer (Siemens Healthineers), Jonas Muff (Merantix), Matthieu-P. Schapranow (Hasso-Plattner-Institut), Johannes Schröder (Ada Health), Daniel Sonntag (DFKI), Silja Vönekey (Universität Freiburg)   

Fachforum Mobilität im Verkehrsministerium (BMVI):

Gernot Liedtke (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), Sebastian Stiller (TU Braunschweig), Roland Vollgraf (Zalando), Michael ten Hompel (Fraunhofer IML), Clemens Viernickel (Merantix), Martin Hofmann (Volkswagen), Ilja Radusch (Fraunhofer Fokus), Sascha Knake-Langhorst (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), Till Ackermann (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen), Jürgen Beyerer (Fraunhofer IOSB), Ulrich Baldauf (Hamburg Port Authority), Oliver Pulcher (DFS Deutsche Flugsicherung), Klaus Jennewein (T-Systems), Thomas Thiele (Deutsche Bahn), Uwe Reiter (PTV Planung Transport Verkehr), Wolfgang Ecker (Infineon), Tilman Santarius (TU Berlin), Andreas Liebl (UnternehmerTUM), Simon Fürst (BMW), Roland Norden (Bosch), Stephan Ewen (Data Artisans) 

Fachforum Produktion/Industrie 4.0 im Wirtschaftsministerium (BMWi):

Arnold Beckhoff (Beckhoff Automation), Peter Post (Festo), Christian Bauckhage (Fraunhofer IAIS), Ralf Klinkenberg (RapidMiner), Sami Haddadin (TU München), Karsten Hiltawsky (Drägerwerk), Daniel Valenzuela (Actyx), Ulrich Spiesshofer (ABB), Benjamin Brake (IBM), Georg von Wichert (Siemens), Dietmar Dengler (DFKI), Jens Ottnad (Trumpf), Moritz Hämmerle (Fraunhofer IAO), Bernd Kosch (Fujitsu), Harald Schöning (Software AG), Christoph Mager (Karlsruher Institut für Technologie), Christoph Baum (Fraunhofer IPT)

Fachforum Transfer/Gründungen im Wirtschaftsministerium (BMWi):

Stefan Arbanowski (Fraunhofer Fokus, TU Berlin), Hermann Behrens (DIN), Jörg Bienert (KI-Bundesverband, Aiso-Lab), Alex Diehl (Hasso Plattner Ventures), Daniela Hartig (Bayer), Ingo Hoffmann (Cyber Valley AI Unit), Petra Jenner (Salesforce), Wolfgang Kersten (TU Hamburg), Andreas Liebl (TU München), Thomas Martinetz (Institut für Neuro- und Bioinformatik), Thomas Reuner (Arago), Martin Ruskowski (DFKI), Thomas Seidl (LMU München), Axel Sikora (Hahn-Schickard-Gesellschaft), Uwe Weiss (Blue Yonder), Sebastian Wieczorek (SAP), Jan Wiesenberger (FZI Forschungszentrum Informatik Karlsruhe) 

- Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel Background Digitalisierung erschienen: https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung/

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